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Rom II-Verordnung kein Raum für eine autonome Regelung des deutschen internationalen Privatrechts.3445
Zunächst soll jedoch in einem ersten Schritt für das bisherige Kollisionsrecht ein
hypothetischer Lösungsvorschlag erarbeitet und an den europarechtlichen Vorgaben
gemessen werden und erst in einem zweiten Schritt eine neue europäische Sonderregelung für die Rom II-Verordnung vorgeschlagen werden. Dadurch soll eine umfassende Analyse der Problemstellung gewährleistet werden. Es wird gezeigt, dass die
vorliegende Problematik sowohl nach bisheriger als auch nach neuer Rechtslage
einer Lösung zugeführt werden kann, die sich in das System des internationalen
Privatrechts einfügt. Indem zunächst auf die bisherige kollisionsrechtliche Ausgangslage eingegangen wird, soll verdeutlicht werden, dass die Anpassungslage
sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene nicht nur systemimmanent
ausgelöst, sondern auch behoben werden kann.
Auch wenn für die Zukunft eine neue autonome Kollisionsregel zur Erfassung der
vorliegenden Problematik kein Raum verbleibt, wird durch diese Vorgehensweise
eine ganzheitliche Betrachtung sichergestellt. Zudem ist es vorteilhaft, die Analyse
zunächst in den Kontext des in Deutschland vollständig ausgebildeten Systems des
internationalen Privatrechts einzubetten und sodann die gewonnenen Einsichten auf
die europäische Ebene zu übertragen.
B. Hypothetische Lösungsalternativen im bisherigen Kollisionsrecht
Im Bereich des bisherigen internationalen Privatrechts sind verschiedene Alternativen in Erwägung zu ziehen, um eine sachgerechte Berücksichtigung der berufsbezogenen Erwägungen zu erreichen. Neben der völligen Neubildung einer Kollisionsnorm ist zunächst die Neuregelung durch Umbildung der bestehenden Kollisionsnormen zu erörtern. Dabei ist unter Bezugnahme auf die vorstehenden Erwägungen
zu berücksichtigen, dass die Erörterungen hypothetisch und unter dem Vorbehalt
erfolgen, dass die ab 11. Januar 2009 geltende Rom II-Verordnung keinen Raum für
eine autonome Neuregelung lässt.
I. Gesellschaftsrechtliche Kollisionsregel
Da die Anpassungslage in concreto durch irreguläre gesellschaftsrechtliche Qualifikation der professional liability aufgelöst worden ist3446, soll zunächst die Möglichkeit einer Abwandlung der richterrechtlichen Kollisionsregeln des internationalen
Gesellschaftsrechts erörtert werden. Zusätzlich ist im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen auf den Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privat-
3445 Junker, NJW 2007, 3675; MünchKomm/Junker Art. 42 Anh. Rdnr. 33.
3446 Siehe oben Teil 3 D IX 5.
450
recht3447 für die Neuregelung des internationalen Gesellschaftsrechts einzugehen.
Insbesondere ist von Interesse, ob sich auf der Grundlage dieses Konzepts eine
Möglichkeit zur Erfassung der zu erörternden Problematik ergibt. Schließlich ist auf
den Referentenentwurf eines Gesetzes zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 7. Januar 2008 einzugehen, der
erstmalig eine Kodifizierung des internationalen Gesellschaftsrechts unter Festschreibung der Gründungstheorie vorsieht.3448
1. Erweiterter Geltungsbereich des Gesellschaftsstatuts
a) Grundlegung
Die erste Lösungsmöglichkeit besteht darin, die Regeln des internationalen Gesellschaftsrechts abzuwandeln. Es wäre möglich, den Bereich der als gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Aspekte und somit den Geltungsbereich des Gesellschaftsstatuts zu erweitern.
b) Erfassung jedweder deliktischer Haftung des Gesellschafters
Zunächst könnte nicht nur die funktionsbezogene Haftung der Gesellschafter für
Gesellschaftsschulden, sondern jedwede Haftung der Gesellschafter aus unerlaubter
Handlung gesellschaftsrechtlich qualifiziert werden. Es würde genügen, die richterrechtlichen Beschränkungen aufzuheben. Auf den ersten Blick erscheint es durchaus
realisierbar, dass sich die Haftung des Gesellschafters vollumfänglich nach dem
Gesellschaftsstatut beurteilt. Schließlich wurde diese Organisationsform von den
Gesellschaftern gewählt und sie treten als Gesellschafter eben dieser Rechtsform
auf.
Mithin würde die Gesellschafterstellung als solche auch für Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Allgemeinen die Anknüpfung an das Recht des Gründungsstaates nach sich ziehen. Daneben würde kein Raum für die allgemeine Anwendung der
Tatortregel nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB bestehen. Denn die gesellschaftsrechtliche
Qualifikation der unerlaubten Handlung bei Innehabung der Gesellschafterposition
führt zur Zuweisung zum Gesellschaftsstatut.
Jedenfalls müsste der Versuch, die Berufshaftung über Art. 40 EGBGB zusätzlich
in Stellung zu bringen, daran scheitern, dass eine akzessorische Anknüpfung des
Deliktsstatuts an das Gesellschaftsstatut nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zu erfolgen hätte. In diesem Zusammenhang müsste Ähnliches gelten wie bei dem Versuch,
3447 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1.
3448 Ref-E IntGesR, Nr. 5 (Art. 10 EGBGB-E), S. 2; s. hierzu Wagner/Timm, IPRax 2008, 81;
Knof/Mock, GmbHR 2008, R 65; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451.
451
einem Rechtsinstitut, welches dem einheitlichen Gesellschaftsstatut zugeordnet
wird, durch Abstellen auf eine deutsche Deliktsnorm zur Geltung zu verhelfen.3449
Doch gibt es viele denkbare Konstellationen, in denen die deliktische Haftung für
Schäden, die unabhängig von der Gesellschafterposition im privaten Bereich verursacht werden, betroffen ist. Hier ist der Umstand, dass der Verursacher gleichzeitig
die Gesellschafterposition in einer Gesellschaft einnimmt, schlechthin irrelevant.
Daher ist eine Ausweitung der Qualifikation auf jegliche Form der deliktischen
Haftung eines Gesellschafters kaum sachgerecht. Schließlich spielt im Bereich des
internationalen Deliktsrechts das allgemeine Verkehrsinteresse daran, dass jeder sein
Verhalten an der Rechtsordnung des Tatorts ausrichtet3450, eine wesentliche Rolle.
Demgegenüber kommt im Bereich des internationalen Gesellschaftsrechts die Gründungstheorie dem Parteiinteresse an der freien Wahl des geltenden Rechts sehr weit
entgegen.3451 Dabei wird jedoch nur dem Parteiinteresse der Gesellschaft und mittelbar dem der Gründer Rechnung getragen.
Zudem ist fraglich, inwieweit das Parteiinteresse auf die Geltung des deliktischen
Haftungsrechts des Gründungsstaates erstreckt werden kann. Schließlich sind Träger
des Verkehrsinteresses an der Geltung des Tatortrechts alle potentiell Beteiligten.3452
Daraus folgt, dass abstrakt betrachtet in Bezug auf die Interessenlage des Gesellschafters als Schädiger eine Konfliktsituation vorliegt. Allenfalls bei Bejahung einer
Überlagerung des Deliktsrechts durch eine quasi-gesellschaftsrechtliche Haftungsregel könnte im konkreten Fall der Anwalts-LLP eine Erweiterung des Parteiinteresses
auf diese Haftungsregel überhaupt in Erwägung gezogen werden. Mithin ist die
vollumfängliche Verwirklichung des Parteiinteresses durch Wahl des anwendbaren
Rechts im Anwendungsbereich der Gründungstheorie nur insoweit anzustreben, als
die Gesellschafterstellung die Haftung tatsächlich auslöst.
Zudem ist bei Aufgabe des Abstellens auf die Verletzung einer gesellschaftsrechtlichen Pflicht im Innenverhältnis kein eingrenzendes Kriterium zur Abgrenzung des
Geltungsbereichs des Gesellschaftsstatuts mehr vorhanden. Daher entsteht das Risiko, dass das internationale Gesellschaftsrecht für Gesellschafter schlichtweg den
Regelungsbereich des internationalen Deliktsrechts übernimmt. Dies wäre ein exzessiver Eingriff in das bestehende Regelungsgefüge. Schließlich weist nicht jede
unerlaubte Handlung des Gesellschafters einen Bezug zum Handeln als Gesellschafter auf. Dies wird belegt durch das oben3453 diskutierte Beispiel des Eingehungsbetruges.
Insgesamt ist die unbeschränkte Erweiterung des Anwendungsbereichs des Gesellschaftsstatuts auf jegliche Haftung des Gesellschafters aus unerlaubter Handlung
abzulehnen.
3449 Siehe oben Teil 3 C IV 2 c) cc).
3450 Kegel/Schurig, § 18 1) a).
3451 Kegel/Schurig, § 17 II 1).
3452 Kegel/Schurig, § 2 II 2).
3453 Siehe oben Teil 3 C IV 2 c) cc).
452
c) Beschränkung auf Tätigkeit für die Gesellschaft
Zwar könnte erwogen werden, den Geltungsbereich des Gesellschaftsstatuts nur
eingeschränkt auf solche unerlaubten Handlungen zu erstrecken, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Gesellschafters für die Gesellschaft stehen. Eine Beschränkung auf die bloße Tätigkeit für die Gesellschaft ohne Berücksichtigung der
Berufsbezogenheit lässt den Kreis der erfassten unerlaubten Handlungen jedoch
nicht wesentlich schrumpfen. Überdies greifen auch bei einer entsprechenden Beschränkung die obigen3454 Bedenken gegen einen generellen Übergang zur ausschließlichen gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der Haftung von Gesellschaftern
unter völliger Vernachlässigung der Verkehrsinteressen. Diese Lösungsalternative
ist nicht sachgerecht.
d) Beschränkung auf berufsbedingte Haftung
Auch könnte die Berücksichtigung der Berufsbezogenheit der Haftung, welche in
besonderem Maße eine Verbindung zwischen der Haftungsauslösung durch die
Berufsausübung und der Tätigkeit für die Gesellschaft als Berufsausübungsgesellschaft herstellt, erwogen werden. Dies würde gedanklich an der in concreto entwickelten Lösung der Anpassungslage durch irreguläre gesellschaftsrechtliche Qualifikation der professional negligence3455 ansetzen.
Eine solche gesellschaftsrechtliche Qualifikation würde an die Voraussetzung der
berufsbedingten Haftung und der Haftungsauslösung durch Berufsausübung für die
Gesellschaft geknüpft. Der klare Vorteil dieser Regelung liegt in der bereichsbeschränkten Erweiterung der Kollisionsregel. Zudem können Parallelen zu Fragestellungen, welche bereits de lege lata dem Geltungsbereich des Gesellschaftsstatuts
unterstehen, gezogen werden.
Schließlich stellt auch die gesellschaftsrechtliche Qualifikation der Haftung des
Gesellschafters wegen Verletzung gläubigerschützender gesellschaftsrechtlicher
Pflichten bei Gesellschaften mit Haftungsbeschränkung letztlich darauf ab, dass dem
Gesellschafter die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben oder die Achtung bestimmter Grundsätze auferlegt wird. Somit besteht eine Ähnlichkeit insofern, als nicht die
bloß formale Gesellschafterposition, sondern die Tätigkeit als Gesellschafter für die
Gesellschaft bzw. der Umstand, dass der Gesellschafter für die Gesellschaft Pflichten erfüllt, einen Bezug zum Gesellschaftsstatut herstellt.
Allerdings sieht sich eine solche exklusive gesellschaftsrechtliche Qualifikation
denselben Einwänden ausgesetzt wie die vorstehend diskutierten Ansätze.3456 Folglich ist diese Alternative abzulehnen.
3454 Siehe oben Teil 4 B I 1 b).
3455 Siehe oben Teil 3 D IX 3 b) cc) (1), 4 a).
3456 Siehe oben Teil 4 B I 1 b), c).
453
e) Zwischenergebnis
Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Gesellschaftsstatuts auch bei entsprechender Beschränkung abzulehnen ist, weil bei
abweichender gesellschaftsrechtlicher Qualifikation der Berufshaftung des Gesellschafters eine völlige Vernachlässigung der Verkehrsinteressen in Kauf genommen
werden müsste.
f) Ungeeignetheit als allgemeine Kollisionsnorm
Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man sich gänzlich von der Betrachtung der
vorliegenden Anpassungsproblematik im deutschen Recht löst und berücksichtigt,
dass es sich bei den umzubildenden Kollisionsnormen um allgemeine allseitige
Kollisionsnormen handelt. Dann tritt offen zu Tage, dass eine gesellschaftsrechtliche
Qualifikation selbst bei Beschränkung auf die deliktische Berufshaftung des Gesellschafters3457 zwar im vorliegenden Anpassungsfall eine Lösung bereitstellt. Jedoch
gewährleistet dieser Ansatz in anderen Fallkonstellationen keine sachgerechten Ergebnisse.
Zum besseren Verständnis soll von folgendem Fallbeispiel ausgegangen werden:
Englische Rechtsanwälte gründen eine Auslandsgesellschaft mit englischer Hauptniederlassung, um in England rechtsberatend tätig zu sein und ein Rechtsanwalt soll
sich wegen professional negligence verantworten.
Nach dem zu erörternden irregulären Ansatz ist für die Frage der berufsbedingten
Haftung des Gesellschafters das Gesellschaftsstatut maßgeblich. Folglich findet das
Recht des Gründungsstaates Anwendung. Die Anwendung des englischen Sachrechts ist dementsprechend ausgeschlossen. Daneben müsste der Versuch, eine Anwendung der im Deliktsrecht wurzelnden Grundsätze der professional negligence
nach den Regeln des internationalen Deliktsrechts zu erreichen, jedenfalls an dem
Erfordernis der akzessorischen Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut gemäß Art.
41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB scheitern.3458
Besonders problematisch ist dies, wenn eine ausländische Gesellschaft, die der
LLP ähnelt und in vergleichbarer Weise keine Gesellschafterhaftung vorsieht, in
einer Rechtsordnung gegründet wird, die keine allgemeine Berufshaftung anerkennt.
Mithin könnte ein englischer Rechtsanwalt durch Auslandsgründung die professional negligence völlig umgehen. Da diese Haftung kollisionsrechtlich keine Anwendung fände, würde keine Gelegenheit bestehen, zu erörtern, ob sie trotz der Gesellschaftsgründung fortbesteht. Demgegenüber führt die Tatortregel des Art. 40 Abs. 1
EGBGB bei rechtsberatender Tätigkeit des Gesellschafters als Rechtsanwalt für eine
3457 Siehe oben Teil 4 B I 1 d).
3458 Siehe oben Teil 3 C IV 2 c) cc).
454
englische LLP in England unproblematisch zur Anwendbarkeit des englischen Deliktsrechts.
Zwar ist im Allgemeinen nicht davon auszugehen, dass deutsche Gerichte in einem solchen Fall angerufen werden. Doch ist nicht gänzlich auszuschließen, dass
die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts begründet wird, so dass sich eine solche
Kollisionsnorm als gänzlich ungeeignet erweist.
g) Schlussfolgerung
Überdies unterstreicht dieses Beispiel anschaulich, dass eine völlige Ausschaltung
der Verkehrsinteressen kaum sachgerechte Ergebnisse gewährleistet. Es wird deutlich, dass das herkömmliche Verständnis der Funktion des internationalen Gesellschaftsrechts, die durch die Gesellschafterposition ausgelöste Haftung der Gesellschafter in ihrer Funktion als solche 3459 zu erfassen3460, eine interessengerechte
Lösung bereitstellt.
Darüber hinausgehend ist das alleinige Abstellen auf das Gesellschaftsstatut nicht
zu befürworten. Zudem wäre eine Abwandelung der gesellschaftsrechtlichen Kollisionsnorm durch Erstreckung des Anwendungsbereichs des Gesellschaftsstatuts auf
jegliche Form der Haftung des Gesellschafters auch bei Beschränkung der Erweiterung durch Abstellen auf die Tätigkeit für die Gesellschaft bzw. auf die Berufsbezogenheit letztlich mit der weitgehenden Einverleibung des Geltungsbereichs des
Deliktsstatuts verbunden.
Ferner sind die kollisionsrechtlichen Interessen bei der Kollisionsnormbildung
durch Bündelung als Bündelungskriterien von entscheidender Bedeutung und
gleichzeitig Grundlage der Auswahl des Anknüpfungsmoments.3461 Folglich könnte
bei der Schnürung des Bündels der gesellschaftsrechtlichen Aspekte die berufsbedingte Haftung des Gesellschafters nur dann ausschließlich diesem Bündel zugewiesen werden, wenn eine vergleichbare kollisionsrechtliche Interessenabwägung festzustellen wäre. Vorliegend ist anders als bei der funktionsbezogenen Gesellschafterhaftung die exklusive Maßgeblichkeit der Anknüpfung an das Recht des Gründungsstaates nicht zu befürworten.
Diese Konsequenzen zeigen, dass ein exzessiver Eingriff in eine auf die Abwägung des Gesetzgebers zurückzuführende Aufteilung der Fragestellungen auf die
speziellen Kollisionsnormen erfolgen würde. Insgesamt ist die Ausweitung der gesellschaftsrechtlichen Qualifikation keine sachgerechte Lösungsalternative.
3459 Eidenmüller/Eidenmüller, § 4 Rdnr. 8.
3460 Siehe oben Teil 3 C II 2.
3461 Kegel/Schurig, § 6 II 2).
455
h) Ergebnis
Im Ergebnis scheidet eine Problemlösung durch ausschließliche Erweiterung des
Anwendungsbereichs des Gesellschaftsstatuts aus.
2. Vorschlag des Deutschen Rates für internationales Privatrecht
a) Einführung
Zusätzlich ist zu erörtern, ob sich aus dem Vorschlag des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht, der eine Neuregelung des internationalen Gesellschaftsrechts
vorsieht, möglicherweise Ansätze für eine Lösungsalternative ableiten lassen. Der
Deutsche Rat für internationales Privatrecht schlägt einen allgemeinen Übergang
zur Gründungstheorie auf nationaler und europäischer Ebene vor.3462 Dies geht über
die oben3463 diskutierte praktische Notwendigkeit der Anwendung der Gründungstheorie innerhalb der EU hinaus.
b) Geltungsbereich des Gesellschaftsstatuts
Das Gesellschaftsstatut soll insbesondere für die Haftung der Gesellschafter für
Verbindlichkeiten der Gesellschaft3464 gelten. Doch bezieht sich diese Regelung
ausdrücklich auf die Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft und nicht auf
eigene Verbindlichkeiten der Gesellschafter.3465 Dadurch wird die deliktische Berufshaftung des Gesellschafters, die gerade nicht die Haftung für eine bestehende
Gesellschaftsverbindlichkeit betrifft, nicht erfasst.
Ferner soll das Gesellschaftsstatut für die Haftung wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten3466 maßgeblich sein. In der Begründung dieses Vorschlages wird nicht nur hervorgehoben, dass auch die Haftung gegenüber Dritten
erfasst werde, sondern auch, dass es generell um gesellschaftsrechtliche Pflichten
gehe.3467 Wird eine solche gesellschaftsrechtliche Pflicht verletzt, soll es gleichgültig
3462 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1, 3 (Art. 2 EG-VO), 4 (Vorschlag für
eine autonome Neuregelung in Art. 10 Abs. 2 und Abs. 3 EGBGB), 6f. (ausführliche Begründung des Regelungsvorschlages).
3463 Siehe oben Teil 2 B V 2 d) aa), bb), dd).
3464 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1, 3 (Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 EG-VO), 4
(Art. 10 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB).
3465 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1, 14.
3466 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1, 3 (Art. 3 Abs. 1 Nr. 8 EG-VO), 4
(Art. 10 Abs. 1 Nr. 8 EGBGB).
3467 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1, 15.
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sein, ob die Haftung gesellschaftsrechtlich oder deliktsrechtlich normiert ist.3468
Folglich betrifft diese Regelung nicht die professional negligence als Haftungsregel
des allgemeinen Deliktsrechts, sondern setzt die Verletzung einer gesellschaftsrechtlichen Pflicht voraus.3469
Zudem werden im Vorschlag des Deutschen Rates für internationales Privatrecht
nur bei Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten die einschlägigen deliktsrechtlichen Haftungsregeln unter dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass damit die
bisherige Praxis der akzessorischen Anknüpfung aufgegriffen werden soll, gesellschaftsrechtlich qualifiziert.3470 Es wurde oben3471 gezeigt, dass nach geltendem
Recht die akzessorische Anknüpfung der deliktischen Berufshaftung an das Gesellschaftsstatut daran scheitert, dass keine gläubigerschützende gesellschaftsrechtliche
Pflicht verletzt wird. Dadurch wird bestätigt, dass der Vorschlag des Deutschen
Rates für internationales Privatrecht vorliegend keine Relevanz gewinnt.
c) Ergebnis
Insgesamt berührt der Vorschlag des Deutschen Rates für internationales Gesellschaftsrecht die vorliegende Problematik nicht. Insbesondere führt die vorgeschlagene Konkretisierung des Geltungsbereichs des Gesellschaftsstatuts nicht zu dessen
Erstreckung auf die nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts bestehende
Berufshaftung.3472
3. Referentenentwurf eines Gesetzes zum internationalen Gesellschaftsrecht
Der Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht vom 7. Januar 2008
basiert auf den vorstehend diskutierten Vorarbeiten des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht.3473 Dementsprechend ergeben sich keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich des Übergangs zur Gründungstheorie. Auch der Referentenentwurf sieht vor, dass die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der
Gesellschaft dem Gründungsrecht untersteht.3474 Es wurde oben3475 gezeigt, dass
eigene Verbindlichkeiten der Gesellschafter gerade nicht erfasst werden sollen3476,
3468 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1, 15f.
3469 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1391, 1397, Fn. 51; Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW,
Heft 4/2006, 1, 15.
3470 Sonnenberger/Bauer, Beilage 1 zu RIW, Heft 4/2006, 1, 15f.
3471 Siehe oben Teil 3 C IV 2 c) cc).
3472 So auch Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397, Fn. 51.
3473 Ref-E IntGesR, S. 6.
3474 Ref-E IntGesR, Nr. 5 (Art. 10 Abs. 2 Nr. 7 EGBGB-E), S. 3.
3475 Siehe oben Teil 3 C II 4.
3476 Ref-E IntGesR, Zu Art. 10 Abs. 2 Nr. 7 EGBGB-E, S. 12.
457
so dass die deliktische Berufshaftung wegen professional negligence nicht unter
diese Regelung fällt.
Auch wurde oben3477 dargelegt, dass die Maßgeblichkeit des Gesellschaftsrechts
für die Haftung wegen der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten3478 nicht den
Übergang zur gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der professional negligence
beinhaltet. Zum einen wird ausdrücklich offen gelassen, ob die deliktische Haftung
wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten dem Gesellschaftsstatut untersteht.3479 Zum anderen wird der Begriff der gesellschaftsrechtlichen Pflicht nicht
völlig neu definiert. Gesellschaftsrechtliche Pflichten sollen sich nach dem Referentenentwurf aus dem Gesellschaftsvertrag oder aus gesellschaftsrechtlichen Gesetzen
ableiten lassen und treffen die Mitglieder einer Gesellschaft.3480 Folglich wird eine
berufsbedingte deliktische Haftung des Gesellschafters nicht erfasst.3481
Insgesamt kommt es durch diesen Entwurf nicht zu einer Öffnung des Gesellschaftsstatuts unter Einbeziehung der professional liability. Im Ergebnis wirkt sich
die geplante Gesetzesänderung nicht auf die den Gegenstand dieser Arbeit bildende
Problemstellung aus.
II. Ausweichklausel
Ferner kommt eine Abänderung der in Art. 41 EGBGB vorgesehenen Ausweichklausel in Betracht. Diese Vorschrift gewährt im internationalen Deliktsrecht die
Möglichkeit, auf die Anknüpfung an das Recht eines anderen Staates, zu dem eine
wesentlich engere Verbindung besteht, auszuweichen.
1. Akzessorische Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut
a) Grundlegung
Eine Lösungsalternative besteht darin, die Reichweite der im internationalen
Deliktsrecht eingeräumten Möglichkeit einer akzessorischen Anknüpfung an das
Gesellschaftsstatut nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB3482 auszuweiten, um z. B. die
professional negligence zur Anwendung zu bringen. Prinzipiell führt die originär
gesellschaftsrechtliche Qualifikation zur Geltung des Gesellschaftsstatuts. Daneben
sieht das internationale Deliktsrecht die Möglichkeit einer akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts an das Gesellschaftsstatut vor. De lege lata kommt eine
3477 Siehe oben Teil 3 C II 4.
3478 Ref-E IntGesR, Nr. 5 (Art. 10 Abs. 2 Nr. 8 EGBGB-E), S. 3.
3479 Ref-E IntGesR, Zu Art. 10 Abs. 2 Nr. 8, S. 12.
3480 Ref-E IntGesR, Zu Art. 10 Abs. 2 Nr. 8, S. 12.
3481 Siehe auch die bisherigen Ansätze oben Teil 3 C II 2, 6 u. Teil 3 C IV 2 c) cc).
3482 Siehe oben Teil 3 C IV 2 c) cc).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die englische Limited Liability Partnership (LLP) kann für in Deutschland niedergelassene Rechtsanwälte eine attraktive Alternative sein. Die Arbeit untersucht die in der Praxis für solche Anwalts-LLPs relevanten berufs-, haftungs-, gesellschafts- und registerrechtlichen Fragen aus internationalprivatrechtlicher und europarechtlicher Perspektive und vergleicht funktional die LLP mit Partnerschaft und GmbH. Insbesondere erörtert die Autorin die Haftung der LLP-Gesellschafter für Berufsfehler sowie die Frage, welche Normen der BRAO Anwendung finden. Die kollisionsrechtlichen Methoden der Substitution und der Anpassung werden diskutiert. De lege ferenda wird eine Neuregelung für das Kollisionsrecht vorgeschlagen.