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IX. Auflösung des Normenwiderspruchs
1. Einführung
Fraglich ist, ob und wie der Normenwiderspruch im Wege der kollisionsrechtlichen
oder materiellrechtlichen Anpassung aufgelöst werden kann. Es wurde oben3253
gezeigt, dass kein Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Anpassungstechniken
besteht. Folglich ist nach dem Grundsatz des geringsten Eingriffs zu prüfen, welche
Anpassungsmethode zur Beseitigung der Anpassung am besten geeignet ist.3254
Zunächst sind die bisherigen Lösungsansätze zu erörtern. Sodann ist auf die verschiedenen Lösungsalternativen einzugehen und ein sachgerechter Lösungsweg
auszuwählen. Da die inländische Nutzung einer englischen Gesellschaft betroffen
ist, sind die europarechtlichen Vorgaben3255 zu beachten.
2. Bisherige Lösungsansätze
Henssler und Mansel schlagen die kollisionsrechtliche Anpassung im Wege der
irregulären gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der englischen professional liability vor.3256 Dadurch wird sichergestellt, dass der Gesellschafter einer in Deutschland
niedergelassenen Anwalts-LLP für Berufsfehler persönlich nach den Grundsätzen
der professional liability haftet.3257 Da Schnittker einen Normenmangel ablehnt,
wird kein Lösungsansatz vorgeschlagen.3258 In den sonstigen Veröffentlichungen,
die auf die LLP eingehen, wird dies nicht erörtert.3259 Insgesamt ist angesichts des
Fehlens einer ausführlichen Diskussion in der Literatur nachstehend im Einzelnen zu
untersuchen, welche Lösungsansätze in Frage kommen und ob dem Ansatz von
Henssler und Mansel3260 im Ergebnis zuzustimmen ist.
3253 Siehe oben Teil 3 D III 1 d); Kegel/Schurig, § 8 III; Kropholler, § 34 IV; Dannemann, S. 439;
a. A. Looschelders, S. 210f.
3254 Kegel/Schurig, § 8 III; Kropholler, § 34 IV.
3255 Siehe auch die Diskussion der europarechtlichen Rahmenbedingungen oben Teil 2 B.
3256 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
3257 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
3258 Schnittker, S. 117ff.
3259 Siehe Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233; Weller/Kienle, DStR 2005, 1060; Weller/Kienle,
DStR 2005, 1102; Dahns, NJW-Spezial 2005, 333; Bank, S. 404ff.; BRAK, Empfehlung des
Ausschusses Internationale Sozietäten, BRAK-Mitt. 4/2005, 182.
3260 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
416
3. Mögliche Lösungswege
a) Sachrechtliche Anpassung
aa) Einführung
Teilweise wird in der Literatur nicht im Einzelnen dargelegt, welche Rechtstechniken bei der sachrechtlichen Anpassung angewendet werden, sondern allgemein festgestellt, dass die Rechtsnormen so verändert werden, dass der Normenwiderspruch entfällt.3261 Stattdessen erfolgt eine detaillierte Analyse anhand von Fallbeispielen.3262 Zum Teil wird zusätzlich erläutert, dass es bei der Modifikation des
Sachrechts um eine Einschränkung, Ergänzung oder Umbildung 3263 gehe.3264
Hingegen hat Mansel klargestellt, dass es primär darum geht, die anwendbaren Vorschriften in Tatbestand oder Rechtsfolge zu verändern.3265 Zusätzlich kommt die
Herausbildung einer speziellen Sachnorm für den Anpassungsfall in Betracht.3266
bb) Modifizierte Grundsätze der culpa in contrahendo
(1) Lösungsweg
Es könnte erwogen werden, eine Anpassung des Sachrechts durch Erweiterung des
Anwendungsbereichs der Haftung aus c. i. c. nach deutschem Recht zu erreichen.
Beispielsweise könnte im Tatbestand eine Reduktion der rechtlichen Anforderungen
an die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens erfolgen, so dass die Ausübung des
Anwaltsberufes diesen Tatbestand erfüllen würde.3267 Allerdings würde eine Ausweitung des Tatbestandes der Haftung aus c. i. c. eine erhebliche Abweichung von
den in der Rechtsprechung herausgebildeten Grundlagen der c. i. c. beinhalten.3268
Auch würde eine sachrechtliche Lösung erzielt, die von beiden Rechtsordnungen
bisher nicht vorgesehen ist.
3261 Siehe nur Kegel/Schurig, § 8 III 1).
3262 Siehe nur Kegel/Schurig, § 8 III 1).
3263 Kropholler, § 34 IV 1).
3264 Kropholler, § 34 IV 1).
3265 Mansel, Liber amicorum Kegel, S. 111.
3266 Mansel, Liber amicorum Kegel, S. 111.
3267 Siehe oben Teil 3 C V 1 b) aa).
3268 Siehe oben Teil 3 B 2 c), C V 1 b) aa), 2.
417
(2) Europarechtliche Zulässigkeit
Zudem wurde oben3269 ausführlich gezeigt, dass ein Rückgriff auf die c. i. c. nicht
nur kollisionsrechtlich, sondern auch europarechtlich nicht Erfolg versprechend ist.
Selbst wenn von der grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Rechtsgrundsätze ausgegangen werden könnte, würde es eine Verletzung der europäischen Niederlassungsfreiheit darstellen, wenn die Haftung des Gesellschafters durch Anwendung
der c. i. c. sichergestellt würde.3270 Somit ist der Rückgriff auf die c. i. c. im Wege
der Anpassung ausgeschlossen.
cc) Modifizierte Grundsätze der Rechtsscheinhaftung
(1) Lösungsweg
Henssler und Mansel gehen unter anderem auf die Möglichkeit ein, im Wege der
sachrechtlichen Anpassung auf die Rechtsscheinhaftungsgrundsätze des deutschen
Rechts zurückzugreifen.3271 Diese Alternative wird mit der Begründung abgelehnt,
dass objektiv kein entsprechender Rechtsschein gesetzt würde und nicht unterstellt
werden könne, dass dem deutschen Rechtsverkehr die englischen Grundsätze der
professional negligence bekannt seien.3272 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Auch
im Wege der abmildernden Modifikation des Tatbestandes scheint keine Möglichkeit gegeben, die objektiven Voraussetzungen an die Erregung eines Rechtsscheins
derart zu reduzieren, dass vorliegend eine Erregung des Anscheins der persönlichen
Haftung zu begründen wäre.3273 Überdies käme es zu einer erheblichen Verformung
des Sachrechts.
(2) Europarechtliche Zulässigkeit
Es wurde oben3274 gezeigt, dass die Begründung der persönlichen Haftung des LLP-
Gesellschafters nach den Grundsätzen der deutschen Rechtsscheinhaftung nicht nur
kollisionsrechtlich, sondern auch europarechtlich zum Scheitern verurteilt ist. Folglich wäre auch eine Heranziehung dieser Rechtsscheingrundsätze zur Begründung
der persönlichen Haftung im Wege der Anpassung europarechtlich unzulässig.
3269 Siehe oben Teil 3 C V 1 b) aa), c) aa) (2), 2.
3270 Siehe oben Teil 3 C V 1 c) aa) (2), 2.
3271 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 420; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
3272 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 420; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
3273 Siehe auch oben Teil 3 C VI 3 c).
3274 Siehe oben Teil 3 C VI 4 b), 5.
418
dd) Modifiziertes deutsches Deliktsrecht
(1) Lösungsweg
Ferner könnte in Betracht gezogen werden, das materielle Deliktsrecht durch Anpassung von § 823 Abs. 1 BGB in concreto derart umzugestalten, dass dieses Rechtsinstitut in eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden umgewandelt würde. Es
könnte in Erwägung gezogen werden, das Vermögen als solches zu den sonstigen
Rechten im Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB zu zählen. Dadurch würde der Schadensersatzanspruch auf bloße Vermögensschäden erstreckt.
Jedoch würde eine derartige Umformung des deutschen Sachrechts zu einem gravierenden Systembruch führen. Dadurch wird das bei der Anpassung zu wahrende
Interesse an einer realen Entscheidung3275 erheblich beeinträchtigt. Ferner ist eine
abgewandelte Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB nicht deckungsgleich mit der englischen Konzeption der professional liability. Auch in Bezug auf die sonstigen
Voraussetzungen und die Schadensberechnung ist nicht garantiert, dass ein vergleichbares Ergebnis erzielt wird. Damit würde im Ergebnis eine Lösung herbeigeführt, die in dieser Form in keiner der beteiligten Rechtsordnungen existiert.
(2) Europarechtliche Zulässigkeit
Zudem würde ein Rechtsinstitut des deutschen Sachrechts zur Begründung einer
Haftung des LLP-Gesellschafters herangezogen. Letztlich würde basierend auf der
bloßen Gesellschafterstellung eine persönliche Haftung nach deutschem Deliktsrecht
eintreten. Folglich sieht sich dieses Vorgehen ähnlich gelagerten europarechtlichen
Bedenken ausgesetzt wie die zuvor diskutierte Anwendung der c. i. c.3276 oder der
Rechtsscheinhaftung3277.
ee) Modifiziertes englisches Gesellschaftsrecht
(1) Lösungsweg
Schließlich könnte die Idee entwickelt werden, das anwendbare englische Gesellschaftsrecht im Wege der Anpassung um eine ausdrückliche Normierung der persönlichen Gesellschafterhaftung für anwaltliche Berufsfehler zu erweitern. Dadurch
würde der misslichen Lage abgeholfen, die gerade dadurch entstanden ist, dass der
3275 Kegel/Schurig, § 8 III; Kropholler, § 34 IV.
3276 Siehe oben Teil 3 C V 1 b) aa), c) aa) (2), 2.
3277 Siehe oben Teil 3 C VI 4b), 5.
419
englische Gesetzgeber eine Regelungslücke in der Annahme bestehen ließ, dass eine
Ausfüllung durch die Grundsätze der professional liability erfolgt.3278
Als Vorbild müsste nicht unbedingt das Regelungsgefüge des § 8 Abs. 1 und 2
PartGG dienen, welches eine uneingeschränkte akzessorische Gesellschafterhaftung
mit der Haftungskonzentration auf den Handelnden kombiniert. Vielmehr könnte
eine Regelung hinzugedacht werden, die folgendes besagt: Ist die LLP als Berufsausübungsgesellschaft durch Rechtsanwälte bzw. Angehörige der freien Berufe
gegründet worden, so haften die für die Auftragsbearbeitung verantwortlichen Gesellschafter in ihrer Funktion als Berufsträger neben der LLP unmittelbar persönlich für fahrlässige Berufsfehler, welche Vermögensschäden verursachen.
Allerdings würde eine englische gesetzliche Regelung in englischer Sprache erfolgen und auf den englischen Konzepten, wie z. B. negligence aufbauen. Auch eine
englische Formulierung würde die entsprechende Authentizität eventuell nicht völlig
gewährleisten. Konkrete Vorschläge könnten möglicherweise wie folgt lauten: The
members of an LLP which is incorporated by solicitors/members of the professions
for the purpose of exercising their profession in common are fully personally liable
for economic loss caused by their professional negligence according to case law. ,
oder aber: The incorporation of the LLP neither affects nor excludes the liability of
its members for economic loss caused by their professional negligence according to
case law.
(2) Stellungnahme
Insbesondere der letzte Formulierungsvorschlag unterstreicht, dass es zwar möglich
ist, die professional liability als Gesellschafterhaftung in das Gesellschaftsrecht zu
integrieren. Doch müsste klar zum Ausdruck gebracht werden, dass durch diese
Modifikation des Sachrechts nicht lediglich die Weitergeltung der Prinzipien der
deliktsrechtlichen Berufshaftung, sondern eine Gesellschafterhaftung vorgesehen
wird, wenn eine Abänderung des Ergebnisses erreicht werden soll. Andernfalls wäre
nur ein Verweis auf die deliktische Haftung gegeben und eine Zugehörigkeit zum
englischen Gesellschaftsrecht wäre nicht zweifelsfrei zu gewährleisten. Beispielsweise ist in Jersey für die LLP lediglich gesetzlich vorgesehen, dass durch das Bestehen der LLP die persönliche Haftung des Gesellschafters für Vermögensschäden
unberührt bleibt.3279
Zwar könnte die ins Auge gefasste Umformung des englischen Gesellschaftsrechts damit verteidigt werden, dass es letztlich nicht um die exakte Formulierung
einer entsprechenden Regelung, sondern um das Ergebnis gehe. Es sei lediglich das
englische Gesellschaftsrecht auf den konkreten Fall der Berufshaftung des Rechtsanwalts zu erstrecken. Doch zeigen die Schwierigkeiten einer Ausformulierung, dass
3278 Siehe oben Teil 1 D I, E III 4 u. Teil 3 B III; Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403,
S. 418.
3279 Morse, SJLS 2002, 455, 467; siehe s. 5 Limited Liability Partnerships (Jersey) Law 1997.
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es nicht ohne weiteres möglich ist, die englischen Konzeptionen in sachgerechter
Weise in eine Lösung einfließen zu lassen. Auch wird bei Gesellschaften die Gesellschafterhaftung im Allgemeinen akzessorisch ausgestaltet.
Überdies illustriert der Vorteil einer solchen Anpassung durch kontextuelle
Schließung einer bewusst lückenhaften Regelung gleichzeitig deren wesentlichen
Nachteil. Es wird nicht der Geltungsbereich einer anwendbaren Regelung ergänzt
oder erstreckt, sondern eine völlig neue Lösung geschaffen, die in dieser Form im
englischen Gesellschaftsrecht bisher nicht existiert. Ferner wird durch diese Anpassungstechnik eine gesellschaftsrechtliche Haftungsgrundlage geschaffen, die sich
von den Rechtsprechungsgrundsätzen zur deliktsrechtlichen professional negligence
unterscheiden könnte und dem englischen Recht bisher fremd ist. Dies erregt Zweifel an der Wahrung des Grundsatzes einer realen Entscheidung.
Letztlich läuft diese Ergänzung des englischen Gesellschaftsrechts sogar auf die
völlige Neubildung einer Regelung durch den Richter hinaus. Derartig tief greifende
Eingriffe in das anwendbare Sachrecht sollten nur in Erwägung gezogen werden,
wenn in besonders gelagerten Fällen weder eine kollisionsrechtliche Anpassung
möglich ist noch brauchbare Ansätze für eine Modifikation des Sachrechts vorhanden sind.3280
(3) Europarechtliche Zulässigkeit
Auch bestehen Zweifel an der Achtung der Niederlassungsfreiheit. Schließlich wird
in das englische Gesellschaftsrecht eine Regelung eingefügt, welche in dieser Form
bisher nicht existiert. Auch kann nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet
werden, dass diese Regelung deckungsgleich mit den in der englischen Rechtsprechung entwickelten Prinzipien der professional negligence gestaltet und angewendet
wird. Jedenfalls insoweit als daraus eine stärkere Belastung des Gesellschafters als
im Fall der Anwendbarkeit der englischen professional liability resultiert, würde die
Niederlassung in Deutschland für die LLP weniger attraktiv und es läge eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor3281, welche kaum zu rechtfertigen ist.
Im Übrigen wird formal betrachtet eine neue Sachnorm geschaffen, welche im
englischen Recht bisher nicht besteht und eine Gesellschafterhaftung anordnet. Mithin erfolgt streng genommen keine Anpassung im englischen Recht, sondern die
Normierung einer neuen gesellschaftsrechtlichen Sachnorm, die dem deutschen
Recht entspringt. Da die Niederlassungsfreiheit die Anwendung des deutschen Gesellschaftsrechts auf die LLP nicht gestattet3282, liegt ein Verstoß gegen die europarechtlichen Vorgaben vor.
3280 Kegel/Schurig, § 8 III 3).
3281 Zur Problematik des Vergleichs der inländischen Behandlung mit der Behandlung durch das
Gründungsrecht siehe auch unten Teil 3 D IX 3 b) cc) (2).
3282 Siehe oben Teil 2 B V 2 d) aa), bb), d).
421
ff) Sonstige Neubildung einer fallbezogenen Sachnorm
(1) Lösungsweg
Im Übrigen könnte auch die Neubildung sonstiger sog. Sachnormen im IPR 3283
durch den Richter erwogen werden.3284 Denkbar wäre z. B eine Sachnorm, welche
für anwaltliche Berufsträger bei inländischer Nutzung der LLP eine persönliche
Handelndenhaftung für berufliche Fehler statuiert.
(2) Stellungnahme
Allerdings wird dies primär für besonders schwierige Anpassungslagen vorgeschlagen.3285 Grundsätzlich ist der modifizierten Anwendung der berufenen Sachnormen
der Vorrang einzuräumen.3286 Zudem ist vorliegend die vermittelnde Bildung einer
Sachnorm durch Schaffung einer Anspruchsgrundlage, die mit der Vorgabe und
Definition der tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen auszustatten ist,
schwieriger als z. B. eine Mittelwertlösung im Witwenfall3287, die sich nur auf die
Höhe des Anspruchs bezieht. Überdies weisen Kegel und Schurig darauf hin, dass
angesichts der Unterscheidung zwischen Kollisions- und Sachrecht die Berufung
eines solchen materiellrechtlichen Satzes im IPR 3288 eigentlich durch eine
gleichfalls neu zu formulierende Ausnahmekollisionsnorm erfolgen müsste.3289 Dem
mag entgegengehalten werden, dass von selbstbegrenzten Sachnormen auszugehen
sei, die keines Anwendungsbefehls durch eine selbstständige Kollisionsnorm bedürfen.3290
Letztlich ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass es in den Fällen, in denen
eine Sachnormbildung erwogen wird, in der Sache um tief greifende Eingriffe in das
anwendbare Sachrecht geht. Daher kann der Begriff der Sachnormen im internationalen Privatrecht entbehrt werden.3291 Folglich wäre allenfalls dann, wenn weder die
Modifikation des anwendbaren Sachrechts noch die unten3292 zu prüfende Anpas-
3283 Kegel/Schurig, § 8 III 3); Looschelders, Vorb. zu Art. 3-6 EGBGB Rdnr. 59.
3284 Looschelders, Vorb. zu Art. 3-6 EGBGB Rdnr. 59; Looschelders, S. 171f., S. 220ff.;
Kropholler, § 34 IV 1); Kropholler, Festschr. f. Ferid, S. 279, S. 284; MünchKomm/
Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 613; kritisch Kegel/Schurig, § 8 III; a. A. Raape/Sturm,
§ 14 2) c), S. 253.
3285 Looschelders, Vorb. zu Art. 3-6 EGBGB Rdnr. 59; Looschelders, S. 171f., S. 220ff.; Münch-
Komm/Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 613; kritisch Kegel/Schurig, § 8 III.
3286 Looschelders, S. 222.
3287 Siehe Looschelders, S. 220ff.
3288 Kegel/Schurig, § 8 III 3).
3289 Kegel/Schurig, § 1 VIII 3) u. § 8 III 3); a. A. Looschelders, S. 219f.
3290 Looschelders, S. 219f.
3291 Kegel/Schurig, § 1 VIII 3) u. § 8 III 3).
3292 Siehe oben Teil 3 D IX 3 b).
422
sung auf der Ebene des Kollisionsrechts eine sachgerechte Lösung herbeiführen
können, möglicherweise auf die Neubildung von Sachnormen im internationalen
Privatrecht zurückzugreifen.
(3) Europarechtliche Zulässigkeit
Zudem bestünden europarechtliche Bedenken gegen die Bildung einer auf dem Boden der deutschen Rechtsordnung entwickelten neuen Sachnorm, die eine Gesellschafterhaftung anordnet. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der in Erwägung gezogenen Sachnorm, die stark an die gesellschaftsrechtliche Handelndenhaftung nach
§ 8 Abs. 2 PartGG erinnert. Schließlich verstößt die Anwendung deutschen Sachrechts zur Begründung der Gesellschafterhaftung auf der Grundlage der bloßen
Gesellschafterstellung gegen die Niederlassungsfreiheit.3293
gg) Zusammenfassung
Insgesamt ist festzustellen, dass die sachrechtlichen Lösungsalternativen im Allgemeinen mit wesentlichen Systembrüchen einhergehen. Das Interesse an einer realen
Entscheidung wird erheblich beeinträchtigt. Dies gilt vor allem in Bezug auf die
Anpassung des deutschen Deliktsrechts. Überdies ist die Modifikation des englischen Gesellschaftsrechts, welche nicht nur die Ergänzung einer sachrechtlichen
Vorschrift, sondern eine völlige Neubildung der Regelung beinhaltet, besonders
problematisch. Im Ergebnis ist eine reale Entscheidung durch die sachrechtliche
Anpassung kaum zu erreichen. Es erscheint vorzugswürdig, eine Anpassung auf der
Ebene des Kollisionsrechts ins Auge zu fassen. Zusätzlich verletzt die untersuchte
modifizierte Anwendung deutschen Sachrechts zur Begründung der persönlichen
Haftung des LLP-Gesellschafters die Niederlassungsfreiheit. Auch die europarechtliche Zulässigkeit der Adaptation des englischen Gesellschaftsrechts ist nicht
gewährleistet.
Im Ergebnis ist aufgrund der Gefahr einer irrealen Entscheidung und der Notwendigkeit, die europarechtlichen Vorgaben zu achten, eine Auflösung der Anpassungslage im Wege der kollisionsrechtlichen Angleichung anzustreben.
3293 Siehe auch oben Teil 3 C V 1 b) aa), c) aa) (2), 2 zur c. i. c. und Teil 3 C VI 4 b), 5 zur
Rechtsscheinhaftung.
423
b) Kollisionsrechtliche Anpassung
aa) Einführung
Zur Durchführung der kollisionsrechtlichen Anpassung kommt eine irreguläre Qualifikation oder die Formulierung einer speziellen Kollisionsnorm für den Anpassungsfall in Betracht.3294
bb) Irreguläre Qualifikation von § 8 Abs. 1 und 2 PartGG
(1) Lösungsweg
Zunächst liegt der Gedanke nahe, das Regelungsgefüge des § 8 Abs. 1 und 2 PartGG
abweichend zu qualifizieren, um eine Anwendung auf die in Deutschland niedergelassene LLP als der Partnerschaft funktional vergleichbare Gesellschaft zu erreichen.3295 Doch ist bereits fraglich, welche konkrete irreguläre Qualifikation dieses
Ziel verwirklichen könnte. Insbesondere eine deliktsrechtliche Qualifikation würde
sich sehr weit von der gewöhnlichen Kollisionsregel entfernen.
Eine Übertragung von § 8 Abs. 1 und 2 PartGG würde überdies zu einer Haftungserweiterung im Vergleich zur professional negligence führen, weil eine grundsätzliche unbeschränkte Haftung für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten normiert
würde, welche bei der LLP nicht vorgesehen ist.3296 Dadurch wird der Grundsatz des
geringsten Eingriffs verletzt.3297
(2) Europarechtliche Zulässigkeit
Überdies würde im Ergebnis eine Rückkehr zur Geltung der Sitztheorie ermöglicht.
Dies erinnert an die in der Literatur feststellbaren Bestrebungen, in Reaktion auf die
EuGH-Rechtsprechung die Anwendung der traditionell gesellschaftsrechtlich eingeordneten Rechtsinstitute des Gläubigerschutzes durch delikts- oder insolvenzrechtliche Umqualifizierung sicherzustellen.3298 Diesbezüglich wurde oben3299 dargelegt,
dass die Umgehung der europarechtlichen Vorgaben durch strategische Qualifikation nicht Erfolg versprechend ist.
3294 Mansel, Liber amicorum Kegel, S. 111.
3295 Auch Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419 diskutieren die Anwendung von
§ 8 PartGG.
3296 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
3297 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
3298 Siehe hierzu oben Teil 2 B V 2 b) bb).
3299 Siehe oben Teil 2 B V B 2 b) bb).
424
Ferner wurde oben3300 ausführlich herausgearbeitet, dass jedwede Anwendung
des deutschen Gesellschaftsrechts auf EU-Auslandsgesellschaften eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt, die kaum jemals zu rechtfertigen ist. Daher
ist die Anwendung der Gründungstheorie praktisch unumgänglich.3301 Die Übertragung einer dem deutschen Recht entnommenen Gesellschafterhaftung auf die LLP
durch irreguläre Qualifikation von § 8 Abs. 2 PartGG führt zu einer europarechtlich
nicht zu rechtfertigenden Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.3302
cc) Irreguläre Qualifikation der professional liability
(1) Lösungsweg von Henssler und Mansel
Eine weitere Lösungsalternative, welche von Henssler und Mansel vorgeschlagen
wird, beinhaltet die irreguläre gesellschaftsrechtliche Qualifikation der professional
liability.3303 Diese Vorgehensweise führt dazu, dass die regelgerechte Verweisung
des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts auf das englische Gründungsrecht
gleichsam auf die abweichend gesellschaftsrechtlich eingeordnete professional
negligence erstreckt wird. Dadurch wird die unmittelbare Anwendbarkeit der englischen Berufshaftung sichergestellt.3304
(2) Europarechtliche Zulässigkeit
Ein entscheidender Vorteil dieser Lösungsvariante liegt darin, dass ohne Umwege
über ein Rechtsinstitut des deutschen Sachrechts oder die hochproblematische Übertragung des Regelungsgehalts von § 8 Abs. 1 und 2 PartGG die Anpassungslage
beseitigt wird. Daher ergeben sich nach vorzugswürdiger Ansicht von Henssler und
Mansel keine Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit dieser irregulären Qualifikation.3305 Schließlich wird der englischen LLP keinerlei Belastung auferlegt, die
über diejenige, welche nach dem englischen Heimatrecht besteht, hinausgeht.3306 Die
Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit wird durch diese Rechtslage, welche derjenigen im Gründungsstaat entspricht, weder behindert noch weniger attraktiv gemacht, so dass keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit eintritt.3307
3300 Siehe oben Teil 2 B V B 2 b) bb), d) aa), bb).
3301 Siehe oben Teil 2 B V 2 aa) bb), dd).
3302 So auch Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
3303 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
3304 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
3305 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
3306 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
3307 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
425
Vielmehr sieht sich die LLP der fortdauernden Anwendung des englischen Rechts
ausgesetzt. Es ist nicht die Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit, die englische
Gesellschaft bei Sitzverlagerung nach Deutschland vor der Anwendung der Regelungen des englischen Rechts zu schützen. Dies gilt zumindest hinsichtlich derjenigen Regelungen, die auch in England grundsätzlich Anwendung auf die ordnungsgemäß errichtete LLP finden.
Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Achtung des rechtlichen Status
der Gesellschaft die Weitergeltung der ihr zugrunde liegenden englischen Rechtsnormen stillschweigend voraussetzt. Zwar ist vorliegend nach deutschem Verständnis eine funktionale Qualifikation der professional liability als gesellschaftsrechtliches Rechtsinstitut ausgeschlossen.3308 Doch ist im Bereich der Anpassung eine
Erweiterung des Blickfeldes gestattet. Dann wird deutlich, dass der Umstand, dass
die allgemeine englische Berufshaftung kaum gesellschaftsrechtlich qualifiziert
werden kann3309, nicht das eigentliche Problem darstellt.
Vielmehr ist von Interesse, dass der englische Gesetzgeber in Anbetracht der gewachsenen inländischen Haftungsstruktur darauf verzichtet hat, eine redundante
Regelung zur Gesellschafterhaftung für berufliche Fehler in den LLPA 2000 aufzunehmen3310. Auf der Grundlage dieses bewussten Unterlassens einer Verdoppelung
der bestehenden Grundsätze der Berufshaftung ist eine zweite, quasi-gesellschaftsrechtliche Dimension der Berufshaftung des LLP-Gesellschafters anzuerkennen. Mithin kann vorgebracht werden, dass erst durch die im Wege der Anpassung erreichte Anwendung der professional liability gegenüber dem Gesellschafter
der LLP die authentische Achtung der LLP als Geschöpf des englischen Rechts in
einer dem Postulat der Niederlassungsfreiheit entsprechenden Weise ermöglicht
wird.
Denn der von der Niederlassungsfreiheit sicherzustellende Respekt vor der Regelungshoheit des englischen Gesetzgebers in Bezug auf die Ausgestaltung einer englischen Gesellschaftsform wird nur dann umfassend gewährt, wenn sich diese Achtung auf den gesamten rechtlichen Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Regelung
erstreckt. Daher ist eine bewusst unterlassene ausdrückliche Regel als stillschweigend vorausgesetzte Regelung mit einzubeziehen. Mithin könnte argumentiert werden, dass durch diese Anpassungsmethode die authentische Fortdauer der Anwendung der professional liability des LLP-Gesellschafters gewährleistet wird.
Etwas anderes könnte nur gelten, wenn das englische Sachrecht nicht weiterhin in
der Weise angewendet würde, wie dies auch in England der Fall ist, sondern inhaltlich verändert oder manipuliert zur Anwendung gebracht würde, um die Gesellschaft
zu benachteiligen. Überdies wäre in diesem Fall von einer Ummünzung der englischen Regelung in deutsches Recht auszugehen.
3308 Siehe oben Teil 3 C II 2, 6.
3309 Siehe oben Teil 3 C II 2, 6.
3310 Siehe oben Teil 3 B III.
426
Die Auffassung von Bank3311, dass aus Sicht der Grundfreiheiten keine Einwände
gegen die Besserstellung der LLP durch den Vorteil des Haftungswegfalls bestünden, zwingt vorliegend nicht zur Akzeptanz dieses Haftungsvorteils. Bank meint, die
LLP könne sich aufgrund der Sitzverlegung auf die Niederlassungsfreiheit berufen,
deren Schutzbereich sich nicht auf rein innerstaatliche Sachverhalte erstrecke.3312
Daher beinhalte die Besserstellung keinen Widerspruch, weil nicht grenzüberschreitende Sachverhalte nicht erfasst würden. 3313
Diese Literaturansicht vermag vorliegend eine abweichende Beurteilung der
europarechtlichen Zulässigkeit der Korrektur nicht zu begründen. Zwar trifft es
durchaus zu, dass reine Inlandssachverhalte nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht den Schutz der Grundfreiheiten genießen und die Inländerdiskriminierung zulässig ist.3314
Doch ist die von Bank angesprochene Problematik vorliegend nicht relevant.
Schließlich liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt vor. Hier geht es nicht darum, die Toleranz einer Besserstellung im Verhältnis zum Inlandssachverhalt durch
das Europarecht zu prüfen. Vielmehr ist zu untersuchen, ob eine Korrektur des Haftungswegfalls durch eine nationale Maßnahme europarechtlich zulässig ist. Mithin
kann durch Rückgriff auf den Problemkreis der Inländerdiskriminierung vorliegend
kein Argument gegen eine Korrektur des transnationalen Haftungsvorteils vorgebracht werden.3315
Ergänzend ist anzumerken, dass der Wegfall der persönlichen Haftung des Gesellschafters nach den Grundsätzen der professional liability für die LLP nicht mit
einer bloßen Besserstellung einhergehen würde. Vielmehr ergeben sich daraus erhebliche negative Konsequenzen für die Integration der Anwalts-LLP in die deutsche Rechtsordnung.3316 Bei Wegfall der persönlichen Haftung könnte die funktionale Vergleichbarkeit zur Partnerschaft zu verneinen sein und die LLP wäre als Kapitalgesellschaft zu behandeln.3317
Es spricht einiges dafür, dass die LLP sowohl berufs- als auch steuerrechtlich
einer Kapitalgesellschaft gleichzustellen wäre.3318 Nach der hier vertretenen Auffassung wäre bei fehlender Vergleichbarkeit mit der Partnerschaft die Durchführung
eines Zulassungsverfahrens zwingend erforderlich und Voraussetzung für die Erlangung der Postulationsfähigkeit.3319 Auch bestünde die Versicherungspflicht nach
3311 Bank, S. 408f.
3312 Bank, S. 408f.
3313 Bank, S. 408f.
3314 Streinz, Rdnr. 810ff.
3315 A. A. Bank, S. 408f.
3316 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 422f.
3317 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 422f.
3318 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 422f.
3319 Siehe oben Teil 2 D VIII 3, X zur Substitution bei funktionaler Vergleichbarkeit der ausländsichen Gesellschaft mit der GmbH.
427
§ 59 j BRAO3320. Insbesondere die steuerrechtlichen Folgen würden die LLP weitgehend ihrer Attraktivität berauben.3321
In der Literatur wird dieser Aspekt zumeist nicht problematisiert. Beispielsweise
wird von einer Auffassung die Vergleichbarkeit mit der Partnerschaft bejaht und
gleichzeitig der Wegfall der professional liability im Falle des Exports nach
Deutschland als zusätzlicher Vorteil angepriesen.3322 Dass der Vergleichbarkeit mit
der Partnerschaft dadurch gleichsam die Grundlage entzogen werden könnte, wird
nicht erörtert.3323 Auch zeigt sich, dass das Abstellen auf die europarechtliche Tolerierung einer Besserstellung durch Bank3324 dem wesentlichen Aspekt, dass diese
Besserstellung keineswegs lediglich rechtlich vorteilhaft wäre, nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt.
Eventuell könnte die Ansicht von Bank3325 dazu Anlass geben, einen ausführlichen Vergleich der Behandlung durch das Recht des Sitzstaates mit der rein innerstaatlichen Behandlung durch das Gründungsrecht vorzunehmen. Ein solcher Vergleich wird oftmals nahe liegen, wenn festgestellt werden soll, ob die allgemeinen
Vorschriften des Sitzstaates eine Belastung der Gesellschaft darstellen, indem sie zu
deren Nachteil von denjenigen des Gründungsrechts abweichen.
Schließlich ist der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nicht auf das Postulat
der Anwendung der Gründungstheorie beschränkt.3326 Vielmehr ist es erforderlich,
jede nationale Vorschrift daraufhin zu untersuchen, ob eine Beeinträchtigung der
Niederlassungsfreiheit vorliegt.3327 Die Erkenntnis des allgemeinen Vorhandenseins
von rechtlichen Standortbedingungen liegt auch der Keck-Rechtsprechung3328 zur
Eingrenzung des Beschränkungsbegriffs zugrunde. Schließlich finden Gesellschaften nicht nur im Zuzugsstaat, sondern auch in den Rechtsordnungen jedes Gründungsstaates rechtliche Rahmenbedingungen vor.
Überdies ist für die auswanderungswillige Gesellschaft der wesentliche Aspekt,
ob die ausländischen Standortbedingungen von den im Gründungsstaat vorgefundenen rechtlichen Verhältnissen negativ abweichen. Auch kann nicht geleugnet werden, dass die Grundfreiheiten auf die Idee zurückgehen, in einem gemeinsamen
Markt die Barrieren abzubauen und ein level playing field zu schaffen.3329 Folglich
ist schwer nachvollziehbar, dass eine Regelung des Sitzstaates, die inhaltlich einer
3320 Siehe oben Teil 2 D VIII 3, X zur Substitution und auch Teil 2 D XI zur Sonderproblematik
der Versicherungspflicht, die bei Wegbrechen der Haftung nicht mehr mit den oben dargelegten Argumenten abgelehnt werden könnte.
3321 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 423.
3322 Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1235, 1239, 1241.
3323 Vgl. Triebel/Otte/Kimpel, BB 2005, 1233, 1235, 1239, 1241.
3324 Bank, S. 408f.
3325 Bank, S. 408f.
3326 Siehe oben Teil 2 B V 2 b) bb); a. A. Kindler, NJW 2007, 1785, 1787f.
3327 Siehe oben Teil 2 B V 2 b) bb); a. A. Kindler, NJW 2007, 1785, 1787f.
3328 Siehe hierzu oben Teil 2 B V 3 b).
3329 Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 lit. C) sowie Art. 14 Abs. 2 EGV.
428
Regelung des Gründungsstaates entspricht, in concreto die Niederlassung in
Deutschland weniger attraktiv macht bzw. behindert.
Allerdings hat sich bisher kein klares Meinungsbild zu der Frage entwickelt, ob
eine Regelung des Sitzstaates, welche inhaltlich einer Vorschrift des Gründungsstaates entspricht, tatsächlich keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit beinhaltet.3330 Ferner ist zu berücksichtigen, dass zumeist vorrangig die Frage erörtert wird,
ob im Rahmen der Untersuchung der Rechtfertigung einer Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit bei der Erforderlichkeitsprüfung auch zu berücksichtigen sei,
inwieweit das (anwendbare) Gründungsrecht eine vergleichbare Regelung enthält.3331
Selbst wenn dies Rückschlüsse auf die Beurteilung der Frage einer Beschränkung
der Niederlassungsfreiheit gestatten sollte, wird dadurch für die Problematik, dass
die englische professional liability nur aufgrund der zu diskutierenden Anpassungsmethode Anwendung findet, keine zufrieden stellende Lösung ermöglicht. Schließlich würde im Rahmen der Prüfung des vierstufigen Rechtfertigungsstandards die
Erforderlichkeit der nationalen Maßnahme bei Berücksichtigung der Vorschrift des
Gründungsstaates nur im Falle ihrer tatsächlichen Anwendbarkeit abzulehnen
sein.3332 Für die vorliegende Prüfung ist die Möglichkeit, weiterführende Umkehrschlüsse zu ziehen, nicht gegeben.
In jüngerer Zeit hat der BGH in einer Entscheidung zur Rechtsscheinhaftung nach
deutschem Recht wegen Fortlassung des Rechtsformzusatzes eine mögliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch mittelbaren Zwang zur Beachtung des
deutschen Firmenrechts abgelehnt.3333 In der Begründung wurde darauf hingewiesen, dass das Recht des niederländischen Gründungsstaates in vergleichbarer Weise
zur Führung des Rechtsformzusatzes im Rechtsverkehr verpflichte.3334 Die Fragen,
ob diese Vorschriften in casu Anwendung finden und ob eine Pflicht zur Führung
des Rechtsformzusatzes bei Auftreten im deutschen Rechtsverkehr statuiert wird, hat
der BGH nicht erörtert.3335 Diese Entscheidung des BGH wird als Bestätigung der
3330 Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ablehnend Altmeppen, NJW 2005, 1911, 1913;
Altmeppen, ZIP 2007, 889, 891; Lutter/Huber, S. 355; BGH, Urt. v. 5.2.2007 II ZR 84/05,
DB 2007, 963; ähnlich Ulmer, NJW 2004, 1201, 1208ff.; Kindler, NJW 2007, 1785, 1787; a.
A. Behrens, IPRax 2003, 193, 206; Eidenmüller/Eidenmüller, § 3 Rdnr. 45f.;
Lutter/Fleischer, S. 104ff.; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Kieninger, ZEuP 2004, 685,
699.
3331 Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 14; Behrens, IPRax 2003, 193, 206; Kieninger, ZEuP 2004,
685, 699; Eidenmüller/Eidenmüller, § 3 Rdnr. 43ff.; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1208ff.;
Lutter/Fleischer, S. 104ff.
3332 Eidenmüller/Eidenmüller, § 3 Rdnr. 45, 60.
3333 BGH, Urt. v. 5.2.2007 II ZR 84/05, DB 2007, 963.
3334 BGH, Urt. v. 5.2.2007 II ZR 84/05, DB 2007, 963.
3335 BGH, Urt. v. 5.2.2007 II ZR 84/05, DB 2007, 963; nach MünchKomm/Kindler, IntGesR
Rdnr. 217; Hirte/Bücker/Mankowski/Knöfel, § 13 Rdnr. 51ff. ergibt sich die Pflicht zur Führung des Rechtsformzusatzes aus dem anwendbaren deutschen Recht; allerdings richtet sich
der Inhalt des Rechtsformzusatzes nach dem Gründungsrecht, siehe Eidenmüller/Rehberg, § 5
Rdnr. 52; a. A. MünchKomm/Kindler, IntGesR Rdnr. 218.
429
Literaturauffassung3336, welche bei inhaltlicher Äquivalenz den Beschränkungstatbestand nicht als erfüllt ansieht, interpretiert.3337
Dementsprechend wäre eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bei der
vorliegenden inhaltlichen Übereinstimmung der Anwendung der englischen professional liability infolge der Anpassung im deutschen Recht mit der Anwendung
dieser Haftungsregel durch die englische Rechtsordnung zu verneinen.
Es kann nicht prognostiziert werden, wie der EuGH die Frage, ob bei inhaltlicher
Äquivalenz der Normen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt,
beurteilen wird. Das Gericht wird zu berücksichtigen haben, dass die Niederlassungsfreiheit den Sitzstaat in die Pflicht nimmt und es a priori auf die Wirkung der
nationalen Maßnahme ankommt.3338 Doch ist es durchaus möglich, dass der EuGH
eine Relativierung des Geltungsbereichs der Niederlassungsfreiheit durch den Vergleich zwischen den Regelungen der konkret betroffenen Mitgliedstaaten zum
Zwecke der Feststellung einer Beschränkung zulassen wird.
Überdies ist vorliegend ein entscheidender Unterschied zu beachten. Es geht nicht
um die Anwendung des deutschen Sachrechts, sondern um die Fortdauer der Anwendung englischen Sachrechts im Falle der Grenzüberschreitung. Wenn schon die
Anwendung des englischen Rechts auf die englische Gesellschaft durch die englische Rechtsordnung dem englischen Gesetzgeber freigestellt ist, so ist kein zwingender Grund dafür erkennbar, in der identischen Anwendung des englischen Rechts
durch die deutsche Rechtsordnung eine europarechtlich bedenkliche Maßnahme zu
sehen.
Andernfalls könnte generell die Anwendung englischen Haftungsrechts, eventuell
sogar die Anwendung einer gesellschaftsrechtlichen Haftungsregel, mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Anwendung dieser englischen Vorschrift die
Niederlassung in Deutschland weniger attraktiv mache. Schließlich wird nach einer
Auffassung eine Besserstellung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit nicht
missbilligt3339. Dies würde eine Ausweitung der EuGH-Rechtsprechung zur Achtung
der Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft3340 beinhalten.
Folglich kann aus dem Ansatz von Bank3341 nicht die europarechtliche Notwendigkeit abgeleitet werden, den Haftungsvorteil zu tolerieren. Insgesamt ist die wesentliche Fragestellung aus einer dieser Auffassung3342 diametral entgegengesetzten
Blickrichtung zu beurteilen. Im Bereich der Grundfreiheiten geht es darum, dass
nationale Maßnahmen des Sitzstaates die freie Niederlassung nicht behindern sollen.3343 Folglich stellt sich nicht die Frage, ob eine Besserstellung durch Nichtan-
3336 Kindler, NJW 2007, 1785, 1787; Altmeppen, NJW 2005, 1911, 1913; Altmeppen, ZIP 2007,
889, 891; Lutter/Huber, S. 355; ähnlich Ulmer, NJW 2004, 1201, 1208ff.
3337 Kindler, NJW 2007, 1785, 1787.
3338 Siehe oben Teil 2 B V 2 b) bb).
3339 Bank, S. 408f.
3340 Siehe hierzu oben Teil 2 B IV, V 1 a)-c), 2 b) bb), 3 a)-c).
3341 Bank, S. 408f.
3342 Bank, S. 408f.
3343 Siehe oben Teil 2 B IV, V 1 a)-c), 2 b) bb), 3 a)-c).
430
wendung des Rechts des Heimatstaates europarechtlich toleriert wird. Vielmehr ist
danach zu fragen, ob die Niederlassungsfreiheit in ihrem Anwendungsbereich für
den Sitzstaat das Verbot errichtet, die Vorschriften des Gründungsstaates auf die
zugezogene Gesellschaft anzuwenden. Mithin ist festzustellen, ob darin eine nationale Maßnahme liegt, die zur ungerechtfertigten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führt.
Aus dieser Perspektive kann die vorliegende Anwendung des Rechts des Gründungsstaates nicht als europarechtswidrige nationale Maßnahme des deutschen
Rechts angesehen werden. Dies gilt jedenfalls solange, als das englische Recht auch
in Deutschland in der Weise gilt, wie es in England angewendet wird. Dann liegt
nach zutreffender Ansicht kein Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit vor.3344
Dieses Ergebnis wird in gewisser Weise dadurch bestätigt, dass in der Literatur
vorrangig auf die europarechtliche Problematik der Anwendung inländischer gesellschaftsrechtlicher Vorschriften oder sonstiger delikts- und insolvenzrechtlicher Vorschriften des Zuzugsstaates durch entsprechende kollisionsrechtliche Verweisung
eingegangen wird.3345 Auch die Urteile des EuGH in den Verfahren Überseering und
Inspire Art betrafen die Anwendung sachrechtlicher Vorschriften des Zuzugsstaates
auf die Auslandsgesellschaft.
Ergänzend könnte möglicherweise vorgebracht werden, dass bereits das Vorliegen einer nationalen Maßnahme nach Sinn und Zweck der Grundfreiheiten abzulehnen sei. Schließlich wird das Recht des Gründungsstaates authentisch angewendet.
Zusätzlich kann diese irreguläre Qualifikation darauf gestützt werden, dass sie zur
Anwendung einer deliktsrechtlichen Haftung führt. Anders als bei Regeln des Gesellschaftsrechts ist die Anwendbarkeit der allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätze regelmäßig europarechtlich unproblematisch.3346 Schließlich stellt die Konzeption der professional liability nicht auf die Gesellschafterstellung, sondern auf die
berufliche Tätigkeit ab. Überdies wird deutlich, dass diese Haftung nicht auf der
Verletzung spezifischer Organpflichten aufbaut. Dadurch wird die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft nicht tangiert.3347
Im Übrigen wäre auch bei Abstellen auf die vorstehende Befürwortung einer
zweiten quasi-gesellschaftsrechtlichen Dimension der professional liability des
LLP-Gesellschafters die europarechtliche Zulässigkeit nicht zu verneinen. Diesbezüglich kann darauf verwiesen werden, dass der Niederlassungsfreiheit durch Anwendung der ungeschriebenen quasi-gesellschaftsrechtlichen Regel des englischen
Gründungsrechts entsprochen wird.
3344 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
3345 Siehe nur Eidenmüller/Eidenmüller, § 3 Rdnr. 3ff.
3346 Siehe oben Teil 2 B V 3 b), c) u. Teil 3 C IV 2 e) zur Anwendung inländischen Deliktsrechts.
3347 Nach dem BGH, Urt. v. 5.2.2007 II ZR 84/05, DB 2007, 963, ist die Niederlassungsfreiheit
bereits dann nicht berührt, wenn es nicht um die Haftung für die Verletzung von Organpflichten geht.
431
Schließlich ist ergänzend anzumerken, dass selbst wenn man entgegen dem gewonnenen Ergebnis von einer die Niederlassungsfreiheit beschränkenden Maßnahme ausgehen sollte, diese Maßnahme unproblematisch auf europarechtlicher Ebene
zu rechtfertigen wäre. Denn die Toleranz der Haftungslücke würde letztlich auf eine
Negierung des Gläubigerschutzes hinauslaufen. Es wäre mit den Interessen der Allgemeinheit schlechthin unvereinbar, wenn der deutsche Berufsträger sich durch
Entwurzelung einer englischen LLP dieser Gesellschaftsform unter Ausschluss der
englischen Berufshaftung zum Nachteil des Mandanten bedienen könnte, obwohl die
Umgehung der persönlichen Haftung für Berufsfehler weder in England noch bei
der funktional vergleichbaren Partnerschaft erreicht werden kann.
Triebel und Silny3348 sowie Schnittker und Bank3349 verweisen ohne nähere Erörterung darauf, dass die Übertragung der englischen Rechtsprechungsgrundsätze zur
Haftung aus negligence eine europarechtlich unzulässige direkte Diskriminierung
aufgrund der Nationalität der englischen juristischen Person darstelle.3350 Unter
Bezugnahme auf die vorstehenden Argumente ist bereits das Eingreifen der Niederlassungsfreiheit zu verneinen. Ergänzend ist vorzubringen, dass die Anpassungsgrundsätze aus Wertungsgesichtspunkten eingreifen.3351 Würde die materiellrechtliche Ausgangssituation so umgebildet, dass sich eine vergleichbare Problematik für
eine deutsche Anwalts-LLP in England ergäbe, kämen diese Prinzipien zu einem
identischen Ergebnis.
Überdies sind nicht alle juristischen Personen funktional vergleichbar und folglich nicht ohne weiteres in jeder Hinsicht gleich zu behandeln. Dies zeigt sich bereits
bei der Frage des für die Zweigniederlassung einer Ltd. oder LLP zuständigen deutschen Registers. Bezeichnenderweise beschränken Triebel und Silny3352 ihre Ausführungen ausdrücklich auf Rechtsanwaltsgesellschaften deutschen Rechts, die der LLP
gesellschaftsrechtlich vergleichbar sind, ohne zu konkretisieren, welche Gesellschaften gemeint sind.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass bei deutschen juristischen Personen, die in
Deutschland tätig sind, kein Auslandsbezug vorliegt, so dass eine Anwendung des
internationalen Privatrechts, welches zur Anwendung englischen Deliktsrechts führen könnte, keine Relevanz gewinnt. Daher ist der Bezugspunkt dieser Argumentation zum Vorliegen einer Diskriminierung unklar.
Zudem ist mangelnde Konsequenz zu monieren, wenn die Gegenauffassung zunächst darauf beharrt, dass es um eine deliktische Haftung gehe3353, und sodann eine
Anwendung des englischen Deliktsrechts nach allgemeinen Regeln des internationalen Privatrechts in Frage stellt. Wenn diese Haftung, wie von der Gegenauffassung
dargelegt, keinen gesellschaftsrechtlichen Bezug zur Verbandsorganisation auf-
3348 Triebel/Silny, NJW 2008, 1034, 1036.
3349 Schnittker/Bank, Rdnr. 195, S. 67.
3350 Schnittker/Bank, Rdnr. 195, S. 67; Triebel/Silny, NJW 2008, 1034, 1036.
3351 Siehe oben Teil 3 D VII 2; Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 418; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1396f.
3352 Triebel/Silny, NJW 2008, 1034, 1036.
3353 Triebel/Silny, NJW 2008, 1034, 1036; Bank/Schnittker, Rdnr. 193.
432
weist3354, ist nicht ersichtlich, dass deren Anwendung zu einer Diskriminierung
aufgrund der Nationalität der Gesellschaft führen sollte. Auch sei erneut hervorgehoben, dass wie vorstehend dargelegt, ein Wegfall der Haftung keineswegs lediglich
rechtlich vorteilhaft wäre.
Im Ergebnis ist dem Ansatz von Henssler und Mansel3355 zuzustimmen. Die Anwendung der professional liability im Wege der irregulären gesellschaftsrechtlichen
Qualifikation ist europarechtlich zulässig.
dd) Bildung einer eigenen Kollisionsnorm
(1) Lösungsweg
Schließlich kommt alternativ zur irregulären Qualifikation die Herausbildung einer
eigenen Kollisionsnorm speziell für die vorliegende Anpassungslage in Frage. Eine
solche besondere Kollisionsnorm könnte lauten: Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen den in Deutschland als Rechtsanwalt für eine zum Zwecke der gemeinsamen anwaltlichen Berufsausübung nach englischem Recht gegründete LLP mit
deutschem Verwaltungssitz tätigen Gesellschafter wegen Vermögensschäden infolge
fahrlässiger beruflicher Fehler bei Bearbeitung von Mandaten der LLP unterliegen
dem Recht des Staates, nach dem die LLP organisiert ist.
Mithin wäre es erforderlich, eine detaillierte und umfangreiche neue Kollisionsnorm zu kreieren, die lediglich für den speziellen Anpassungsfall Relevanz gewinnt.
Im Vergleich zu den typisierenden Kollisionsnormen wirkt die verschachtelte, auf
Vollständigkeit und Präzision abzielende Formulierung nahezu überladen. Bereits
auf den ersten Blick ist zu konstatieren, dass die irreguläre Qualifikation der professional negligence die elegantere Lösung beinhaltet.
(2) Europarechtliche Zulässigkeit
Im Übrigen ist die europarechtliche Zulässigkeit dieser speziellen Kollisionsnorm
ebenso unbedenklich wie im Fall der vorstehend3356 erörterten irregulären Qualifikation der professional negligence. Schließlich wird das identische Ergebnis, namentlich die Verweisung auf die englischen Grundsätze der Berufshaftung ohne Umweg
über eine Rechtserscheinung des deutschen Rechts erreicht.3357
3354 Triebel/Silny, NJW 2008, 1034, 1035f.; Bank/Schnittker, Rdnr. 193.
3355 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419.
3356 Siehe oben Teil 3 D IX 3 b) cc) (2).
3357 Siehe auch oben Teil 3 D IX 3 b) cc) (2).
433
4. Sachgerechter Lösungsweg
Nachdem die verschiedenen Lösungswege zur Auflösung des Normenwiderspruchs
vorgestellt worden sind, gilt es nun, anhand einer Interessenabwägung in concreto
den sachgerechten Lösungsweg auszuwählen.
a) Ermittlung des sachgerechten Lösungsweges
Die sachrechtlichen Lösungswege sind mit einer starken Verformung des Sachrechts
verbunden. Insbesondere die Problematik der Einführung einer neuen deliktischen
Anspruchsgrundlage ins deutsche Recht verdeutlicht, dass die Gewährleistung einer
realen Entscheidung kaum möglich ist. Der Umstand, dass das deutsche Sachrecht
keine allgemeine Berufshaftung kennt, lässt die Varianten der Sachrechtsanpassung
als ausufernde Umformung wenig attraktiv erscheinen. Auch die oben3358 diskutierte
Neubildung von Sachnormen trifft dieser Vorwurf, so dass diese Alternative nur als
letzter Ausweg in Betracht zu ziehen wäre, wenn eine sachgerechte kollisionsrechtliche Anpassung ausscheidet.
Spiegelbildlich betrachtet, stellt es einen geringeren Eingriff dar, wenn von den
herkömmlichen Kollisionsnormen abgewichen wird, um eine in einer nicht berufenen Rechtsordnung zur Verfügung stehende Anspruchsgrundlage zum Zuge kommen zu lassen. Das Ordnungsinteresse an der kontinuierlichen Anwendung der allgemeinen Kollisionsregeln tritt vorliegend zurück.
Für die kollisionsrechtliche Anpassung spricht auch, dass die konkrete Interessenlage von diesen Kollisionsregeln nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt wird.
Denn der Umstand, dass die herkömmlichen Kollisionsnormen keinen entsprechenden Verweisungsbefehl enthalten, ist nach der hier vertretenen Auffassung vornehmlich darauf zurückzuführen, dass keine gesonderte Berücksichtigung des Aspekts
einer berufsbedingten Haftung erfolgt.
Dies ist wiederum im Zusammenhang mit der fehlenden Anerkennung der allgemeinen Berufshaftung durch das deutsche Sachrecht zu sehen. Bisher wird aus der
nationalen Perspektive das Bedürfnis zur differenzierenden Behandlung durch eine
gesonderte Kollisionsnorm nicht wahrgenommen. Wird hingegen die Berufsbezogenheit gleichsam als wesentlicher dritter Aspekt anerkannt und berücksichtigt,
erweisen sich die gesellschafts- und deliktsrechtlichen Kollisionsnormen als unvollständig.
Mithin weicht die Interessenlage in Bezug auf die Haftung für Berufsfehler stark
von den durch die delikts- und gesellschaftsrechtlichen Kollisionsnormen vorausgesetzte Interessenlage ab. Daher ist ein Festhalten an den herkömmlichen Verweisungsbefehlen nicht mehr geboten.
3358 Siehe oben Teil 3 D IX 3 a) ee) u. ff).
434
Zudem entspricht die Entscheidung für eine kollisionsrechtliche Anpassung der in
der Literatur feststellbaren Tendenz, jedenfalls im Falle des Normenmangels eine
kollisionsrechtliche Anpassung zu bevorzugen.3359 Letztlich scheiden die oben3360
diskutierten Varianten der sachrechtlichen Anpassung des deutschen Sachrechts und
wohl auch des englischen Gesellschaftsrechts aufgrund der europarechtlichen Vorgaben aus.
Werden die oben vorgestellten Techniken der kollisionsrechtlichen Anpassung
verglichen, erweist sich die irreguläre gesellschaftsrechtliche Qualifikation der
professional negligence als vorzugswürdige Methode. Der Versuch, § 8 Abs. 1 und
2 PartGG in Stellung zu bringen, führt zu einer überschießenden Haftungskompensation durch Anordnung einer allgemeinen persönlichen Haftung und scheitert zudem an den europarechtlichen Vorgaben.3361
Der Vergleich zwischen der irregulären Qualifikation und der Herausbildung einer neuen Kollisionsnorm zeigt, dass die Nutzung einer bestehenden Kollisionsnorm
einen deutlich geringeren Eingriff darstellt. Schließlich wird keine umfangreiche
einzelfallbezogene Kollisionsregel kreiert, sondern ein bestehendes Regelungsgefüge auf die offen geblieben Frage erstreckt. Dies stellt einen geringeren Eingriff in
das bestehende verweisungsrechtliche System dar als die Hinzufügung einer in casu
herausgebildeten Einzelfallkollisionsregel .
Insgesamt ist auf der Grundlage eines ausführlichen Vergleiches der in Frage
kommenden Lösungsalternativen die irreguläre Qualifikation der professional
negligence als sachgerechter Lösungsweg zur Durchführung der Anpassung heranzuziehen.3362
b) Europarechtliche Zulässigkeit der Anpassung
Es wurde oben3363 gezeigt, dass die Anpassungstechnik der irregulären gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der professional negligence europarechtlich unbedenklich
ist.
3359 Baetge, JuS 1996, 598, 604; Kropholler, § 34 IV 2 d); v. Hoffmann/Thorn, § 6 Rdnr. 36f.;
Rauscher, S. 125.
3360 Siehe oben Teil 3 D IX 3 a).
3361 Siehe oben Teil 3 D IX 3 b) bb) (2).
3362 I. E. so auch Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419; Henssler/Mansel, NJW
2007, 1393, 1397.
3363 Siehe oben Teil 3 D IX 3 b) cc) (2); Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419;
Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
435
5. Ergebnis
Im Ergebnis ist dem Ansatz von Henssler und Mansel3364 zuzustimmen. Die irreguläre gesellschaftsrechtliche Qualifikation der professional negligence ist als sachgerechter Lösungsweg zur Korrektur des vorläufigen Ergebnisses im Wege der Anpassung heranzuziehen. Diese Anpassungsmethode ist europarechtlich unbedenklich.
6. Neue europäische Rechtsentwicklung: Rom II
a) Problemstellung
Fraglich ist, ob sich durch die Anwendung der Rom II-Verordnung ab dem
11. Januar 2009 in Bezug auf die in dieser Arbeit befürwortete irreguläre gesellschaftsrechtliche Qualifikation der professional negligence im Wege der kollisionsrechtlichen Anpassung in Zukunft Probleme ergeben können. Schließlich werden
durch die Rom II-Verordnung die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse vereinheitlicht. Daher könnte vorgebracht werden, dass ein Abweichen
von diesen Regeln als Ergebnis der Anpassung nicht gestattet sei, weil dieser europäischen Verordnung abschließende Wirkung zukomme.
aa) Eröffnung des Anwendungsbereichs
Es wurde oben3365 erörtert, dass die professional negligence nicht auf der Grundlage
einer Ausnahmeregelung in Bezug auf die Haftung von Gesellschaftern vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung ausgenommen ist.
bb) Allgemeine Verweisung auf deutsches Deliktsrecht
Grundsätzlich erfolgt nach der Rom II-Verordnung eine Sachnormverweisung3366
auf das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt.3367 In der Regel wird das in
Deutschland belegene Vermögen der geschädigten Mandanten betroffen sein, so
dass basierend auf der Rom II-Verordnung deutsches Deliktsrecht anzuwenden ist.
Dies beinhaltet gleichzeitig, dass die im englischen Deliktsrecht anzusiedelnden
Haftungsgrundsätze der professional negligence nicht greifen. Auch die in der
Rom II-Verordnung vorgesehene Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem die
3364 Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 419; Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1397.
3365 Siehe oben Teil 3 C II 6.
3366 Art. 24 Rom II; Junker, NJW 2007, 3675, 3681; Junker, JZ 2008, 169, 178.
3367 Art. 4 Abs. 1 Rom II.
436
Beteiligten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben3368, begründet aufgrund des deutschen Aufenthaltsortes von Mandant und Rechtsanwalt in concreto
kein anderes Ergebnis.3369
cc) Ausweichklausel
Allerdings ist aufgrund der in der Rom II-Verordnung enthaltenen Ausweichklausel3370 ausnahmsweise die Anwendung des Rechtes eines anderen Staates möglich,
wenn das Delikt eine offensichtlich engere Verbindung zum Recht dieses Staates
aufweist.3371 Fraglich ist, ob die bisher im autonomen deutschen Recht bestehende
Beschränkung der akzessorischen Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut auf die
Verletzung einer gläubigerschützenden gesellschaftsrechtlichen Pflicht3372 Bestand
haben wird. Sofern dies nicht der Fall wäre, könnte für die Zukunft die Anpassungslage entfallen. Bei akzessorischer Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut wäre das
englische Deliktsrecht maßgeblich, so dass die professional negligence Anwendung
fände.
Zwar ist nicht abschließend vorhersehbar, ob auf der Grundlage dieser Ausweichklausel eine Erweiterung der Möglichkeit zur akzessorischen Anknüpfung des Deliktsrechts an das englische Gründungsrecht durch die Rechtsprechung erfolgen
wird.3373 Doch ist angesichts des Umstandes, dass die Haftung wegen professional
negligence die Gesellschafterstellung gerade nicht voraussetzt und keine gesellschaftsrechtliche Pflicht verletzt wird, nicht damit zu rechnen, dass auf europäischer
Ebene eine Ausweitung der akzessorischen Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut
vorgenommen wird.
dd) Ergebnis
Folglich ist nach der Rom II-Verordnung grundsätzlich das deutsche Deliktsrecht
zur Anwendung berufen, so dass die Grundsätze der professional negligence nicht
greifen.
3368 Art. 4 Abs. 2 Rom II.
3369 Siehe oben Teil 3 C IV 3.
3370 Art. 4 Abs. 3 Rom II.
3371 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 726.
3372 Siehe oben Teil 3 C IV 2 c) cc).
3373 Siehe auch oben Teil 3 C IV 3.
437
ee) Schlussfolgerung
Daher ist zu untersuchen, ob infolge der Geltung der Rom II-Verordnung ab dem
11. Januar 2009 durch diese Vereinheitlichung der Kollisionsregeln des internationalen Deliktsrechts die Durchführung der Anpassung ausgeschlossen sein könnte.
Insgesamt wird deutlich, dass es darum geht, ob die Rom II-Verordnung als abschließende Regelung anzusehen ist, welche den Rückgriff auf die Anpassung als
allgemeine Rechtsfigur des Kollisionsrechts ausschließt.
b) Stellungnahme
aa) Abschließende Wirkung der Rom II-Verordnung
Gegen eine generelle abschließende Wirkung der Rom II-Verordnung im Verhältnis
zu den allgemeinen Techniken der nationalen Kollisionsrechte der Mitgliedstaaten
und zur Anpassung im Besonderen spricht jedoch, dass durch diesen Rechtsakt ausschnittweise im besonderen Teil des internationalen Privatrechts die Kollisionsregeln für außervertragliche Schuldverhältnisse vereinheitlicht werden sollen3374. Hingegen werden in der Rom II-Verordnung keine Regelungen für andere Bereiche des
internationalen Privatrechts, wie z. B. das Gesellschafts-, Vertrags-, Familien- und
Erbrecht vorgesehen.
Mithin wird in der Rom II-Verordnung begrenzt für die außervertragliche Haftung eine Vereinheitlichung der Verweisungsregeln vorgenommen. Dies spricht
gegen eine abschließende Wirkung dieses Rechtsakts in Bezug auf die Anpassung
als eine Methode des allgemeinen internationalen Privatrechts, welche dem Zweck
dient, eine Ergebniskorrektur von Normenwidersprüchen zu realisieren, die gerade
durch das Zusammenspiel der Verweisungsregeln des internationalen Deliktsrecht
mit anderen Kollisionsregeln ausgelöst werden können3375. Die vorliegende
Anpassungslage unterstreicht, dass durch das Nebeneinander verschiedener Kollisionsnormen bei einem einheitlichen Lebenssachverhalt das kollisionsrechtliche
dépeçage eintreten kann.3376
Letztlich würde die Bejahung einer abschließenden Wirkung der Rom II-
Verordnung über deren Regelungsgehalt hinausgehen und einen Übergriff in die
Regelungssphäre des allgemeinen Kollisionsrechts beinhalten. Jayme und Kohler
weisen darauf hin, dass ein Allgemeiner Teil des internationalen Privatrechts im
Rahmen der fortschreitenden Kodifikation des Gemeinschaftsrechts nicht vorgese-
3374 Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 540f., legen dar, dass auf europäischer Ebene nur einzelne
unkoordinierte Kodifikationsvorhaben existieren und kein Allgemeiner Teil des internationalen Privatrechts vorgesehen wird.
3375 Zur Anpassung siehe grundlegend oben Teil 3 D I.
3376 Zum Begriff dépeçage siehe oben Teil 3 D I 1.
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hen wird.3377 Mithin verbleiben die allgemeinen Grundsätze des Kollisionsrechts
prinzipiell in der Regelungshoheit der Mitgliedstaaten.3378 Etwas anderes gilt insoweit, als allgemeine Lehren in den jeweiligen Verordnungen verankert werden.3379
In diesem Zusammenhang erweist sich die an den gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmethoden3380 orientierte Auslegung der Rom II-Verordnung als hilfreich.
Die teleologische Auslegung des Gemeinschaftsrechts orientiert sich an Sinn und
Zweck des Rechtsakts.3381 Insbesondere ist bei teleologischer Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakts der Umstand, dass es um eine sachgerechte Erfassung des Lebensbereichs geht, zu berücksichtigen.3382 Ausführlich hat bereits
Goldschmidt gezeigt, dass Anpassungsprobleme dem System des internationalen
Privatrechts innewohnen und somit unvermeidlich auftreten.3383 Die Anpassung ist
im Kollisionsrecht im Bereich der Synthese zu verorten.3384 Da der Gesetzgeber die
vielfältigen Anpassungslagen nicht im Voraus vermeiden kann, fällt grundsätzlich
dem Richter die Aufgabe zu, durch Anpassung die Synthese im Auge zu behalten.3385
Sinn und Zweck der Rom II-Verordnung ist es nicht, die analytische Methode des
internationalen Privatrechts der systemimmanenten und für die innere Kohärenz
unabdingbaren Rechtsmethode3386 der Anpassung zu berauben. Vielmehr ist eine
punktuelle Regelung für den Bereich des internationalen Deliktsrechts erfolgt. In
gleicher Weise sieht z. B. das deutsche internationale Kollisionsrecht in Art. 40ff.
EGBGB eine gesetzliche Regelung des deliktischen Kollisionsrechts vor, ohne die
allgemeine, richterrechtlich anerkannte Rechtsmethode der Anpassung3387 in Frage
zu stellen.
Eine andere Auslegung würde bedeuten, dass der Zweck der Rom II-Verordnung
darin besteht, eine methodische Rechtsfigur, die integraler Bestandteil des kollisionsrechtlichen Gesamtgefüges ist, abzuschaffen. Hinweise auf eine solche Zielsetzung finden sich in der Verordnung nicht. Auch die vertragsakzessorische Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 Rom II ist eine Methode, welche Anpassungsbedarf verhindert.3388 Ferner bestünden bei einer solchen Auslegung erhebliche Bedenken
3377 Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 541.
3378 Siehe auch Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 540f.
3379 Siehe hierzu Leible, in Reichelt, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, S. 31, S. 48ff.;
Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 624 (Rom I).
3380 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 220 EGV, Rdnr. 12ff.; Oppermann, § 8 Rdnr. 18ff.; Bieber/Epiney/Haag, § 9 Rdnr. 14ff.
3381 Oppermann, § 8 Rdnr. 23; Bieber/Epiney/Haag, § 9 Rdnr. 17.
3382 Kropholler, § 10 III 2) e).
3383 Goldschmidt, Festschr. f. Wolff, S. 203, S. 208ff.; Neuhaus, S. 355; Kropholler, § 34 II 1).
3384 Goldschmidt, Festschr. f. Wolff, S. 203, S. 211f.
3385 Goldschmidt, Festschr. f. Wolff, S. 203, S. 212.
3386 Siehe ausführlich Goldschmidt, Festschr. f. Wolff, S. 203, S. 212.
3387 Zur Anerkennung der Anpassung siehe oben Teil 3 D I 1.
3388 Zur funktionalen Aufspaltung bei Verteilung von Schadensersatzansprüchen auf das Vertrags- und Deliktsstatuts s. ausführlich Looschelders, S. 325ff.; siehe hierzu oben Teil 3 D III
1 b).
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hinsichtlich der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips3389. Dies spricht gegen
die Sperrwirkung der Rom II-Verordnung gegenüber der Anpassung.
Diese Auslegung wird dadurch bekräftigt, dass bisher auf europäischer Ebene
keine einheitliche Kodifikation des internationalen Privatrechts erfolgt3390. Die Kodifikation des internationalen Privatrechts auf europäischer Ebene sieht sich zu
Recht dem Vorwurf des Fehlens einer Kodifikationsidee ausgesetzt.3391 Die verbleibenden Regelungslücken gefährden die Kohärenz des Systems.3392 Daher sind die
europäischen Regelungsfragmente auf die Ergänzung durch den allgemeinen Kontext des Kollisionsrechts der Mitgliedstaaten angewiesen.
Weiter sollen europäische Rechtsakte bei teleologischer Auslegung einen effet
utile3393 entfalten.3394 Mithin soll die Regelung praktisch wirksam sein.3395 Dies
rechtfertigt kaum das Festhalten an zweckwidrigen Ergebnissen, die den Wertungen
der beteiligten Mitgliedstaaten widersprechen und letztlich zu einer Rechtsanwendung führen, welche den beteiligten Rechtsordnungen für sich genommen fremd ist.
Zudem wohnt der punktuellen Ergebniskorrektur in konkreten Anpassungslagen
nicht das Potential inne, das Regelungsziel einer grundsätzlichen Vereinheitlichung
des Kollisionsrechts für außervertragliche Schuldverhältnisse zu gefährden.
Schließlich werden die Verweisungsregeln der Rom II-Verordnung im Allgemeinen befolgt. Nur in schwierig gelagerten Ausnahmefällen wird durch Angleichung
ein abweichendes Ergebnis erzielt.3396 Folglich spricht einiges dafür, dass die Anpassung auch bei Geltung der Rom II-Verordnung weiterhin Anwendung findet.
Überdies kann unter Berücksichtigung des europarechtlichen Grundsatzes der
rechtsvergleichenden Auslegung3397 die eigentliche Rolle der Anpassung in Europa
aufgedeckt werden. Nach dem Prinzip der rechtsvergleichenden Auslegung werden
allgemeine Rechtsgrundsätze, die weitgehend übereinstimmend in den Mitgliedstaa-
3389 Art. 5 Abs. 3 EGV; Oppermann, § 6 Rdnr. 66; Streinz, Rdnr. 39, 167; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EGV Rdnr. 50ff.
3390 Kegel/Schurig, § 1 IV 1) b) und § 4 II; Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 539ff.
3391 Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 539ff.
3392 Auch Leible, in: Reichelt, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, S. 31, S. 33, weist
darauf hin, dass zwischen den Verordnungen Disharmonien zu befürchten seien und stellt
Überlegungen zur Kodifikation eines Allgemeinen Teils des europäischen IPR an.
3393 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 220 EGV, Rdnr. 15; Kropholler, § 10 III 2) e).
3394 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 220 EGV, Rdnr. 15; Oppermann, § 8 Rdnr. 23; Bieber/Epiney/Haag, § 9 Rdnr. 19; Kropholler, § 10 III 2) e).
3395 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 220 EGV, Rdnr. 15; Oppermann, § 8 Rdnr. 23; Bieber/Epiney/Haag, § 9 Rdnr. 19; Kropholler, § 10 III 2) e).
3396 In ähnlicher Weise legt Looschelders, S. 207f. für staatsvertragliches Kollisionsrecht dar,
dass die ratio der Kollisionsregeln bei Versagen der Verweisungen eine Anpassung gleichsam
gebiete.
3397 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 220 EGV, Rdnr. 16; Kropholler, § 10 III 2) d).
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ten gelten, zur Lösungsfindung herangezogen.3398 Derartige allgemeine Rechtsgrundsätze werden in das Gemeinschaftsrecht übernommen.3399
Zwar ist in Deutschland vorrangig Goldschmidt die Erkenntnis zu verdanken,
dass die Anpassung ein Sicherungssystem darstellt, welches systembedingte Anomalien beseitigt und zweckwidrige Ergebnisse verhindert.3400 Doch ist diese Einsicht
in die kollisionsrechtlichen Zusammenhänge nicht auf den deutschen Rechtsraum
beschränkt. Vielmehr ist die Methode der Anpassung in vielen Mitgliedstaaten im
Grundsatz anerkannt.3401 Beispielsweise wird die Angleichung in Spanien als adaptación3402, in Portugal als adaptação3403 und in Frankreich als adaptation3404 bezeichnet. Auch dem englischen Recht ist die Anpassung nicht fremd3405.
Somit zeigt sich aus rechtsvergleichender Perspektive, dass die kollisionsrechtliche Figur der Anpassung auf einem allgemeinen europäischen Rechtsgedanken der
kollisionsrechtlichen Synthese und Kohärenz beruht. Dementsprechend ist die Angleichung als allgemeine Rechtfigur des europäischen Kollisionsrechts anzusehen.
Leible zeigt unter dem Titel Der Beitrag der Rom II-Verordnung zu einer Kodifikation der allgemeinen Grundsätze des Europäischen Kollisionsrechts auf, dass
sich aufgrund der zu befürchtenden Reibungspunkte zwischen den einzelnen Verordnungen die Frage nach der Kodifikation der allgemeinen europäischen Grundsätze des internationalen Privatrechts in einer speziellen Verordnung oder im Zuge
einer Gesamtkodifikation stelle.3406 Diese Analyse illustriert, dass Rom II nur ausschnittweise Elemente des allgemeinen Kollisionsrechts erfasst und Hinweise für
eine zukünftige Kodifikation eines Allgemeinen Teils des Kollisionsrechts bietet.3407
Dies bestätigt spiegelbildlich betrachtet, dass die Rom II-Verordnung die Anpassung
als allgemeines Rechtsinstitut des europäischen Kollisionsrechts nicht ausschließt.
Überdies geht Pfeiffer hinsichtlich der Rom I-Verordnung für vertragliche Schuld-
3398 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 220 EGV, Rdnr. 16; Kropholler, § 10 III 2) d); zur Auslegung
des Begriffs Zivil- und Handelssachen im EuGVÜ siehe EuGH, Rs. 29/76, Slg. 1976, 1541,
Ziff. 3; EuGH, Rs. C-172/91, Slg. 1993, I-1963, Ziff. 18ff.
3399 Kropholler, § 10 III 2) d).
3400 Goldschmidt, Festschr. f. Wolff, S. 203, S. 211f.
3401 Looschelders, S. 23f., S. 33f., S. 45ff., S. 58f.; siehe auch Staudinger/Sturm/Sturm, Einl. IPR
Rdnr. 216.
3402 Calvo Caravaca/Carrascosa González, Bd. 1, S. 294f.; Fernández Rozas/Sánchez Lorenzo,
S. 219ff.; Marin López, S. 286ff.; artículo 9.8 Código civil befasst sich mit dem Angleichungsproblem bei der Versorgung des überlebenden Ehegatten, s. González Beilfuss, IPRax
1992, 396, 398.
3403 De Lima Pinheiro, S. 416ff.
3404 Audit, S. 268ff.; Mayer/Heuzé, S. 255ff.
3405 Dem englischen Recht ist die Anpassung bekannt, s. Staudinger/Sturm/Sturm, Einl. IPR
Rdnr. 216. Üblicherweise erfolgt eine Erfassung als besonderes Problem im Rahmen der
Qualifikation, siehe Mansel, Liber amicorum Kegel, S. 111, S. 120; Looschelders, S. 5; vgl.
Dicey/Morris/Collins, Bd. 1, Rdnr. 2-045, S. 52.
3406 Leible, in: Reichelt, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, S. 31, S. 33.
3407 Siehe für eine ausführliche Analyse des Beitrags der Rom II-Verordnung zu einem Allgemeinen Teil des europäischen IPR: Leible, in: Reichelt, Europäisches Gemeinschaftsrecht und
IPR, S. 31, S. 48ff.
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verhältnisse auf die ausschnittweise Regelung von allgemeinen Lehren des Kollisionsrechts ein.3408
Da in der kollisionsrechtlichen Figur der Anpassung ein allgemeiner Rechtsgedanke des europäischen Kollisionsrechts zum Ausdruck kommt, wird sie durch die
Rom II-Verordnung nicht ausgeschlossen, sondern stellt gleichsam ein ungeschriebenes Institut dieses Rechtsakts dar. Somit stellt sich nicht die Frage, ob der Rom II-
Verordnung eine abschließende Wirkung unter Verdrängung der Anpassung zukommt. Im Übrigen wäre dies zu verneinen.
bb) Sachgerechte Anwendung des ordre public-Vorbehalts
Selbst wenn die hier vertretene Ansicht keine Zustimmung finden sollte, folgt daraus
nicht automatisch die Unumstößlichkeit der Sperrwirkung der Rom II-Verordnung
zu Lasten der Anpassung.
Vielmehr ist zu prüfen, ob in der Rom II-Verordnung eine rechtliche Basis für die
Anwendung der Anpassung enthalten ist. Insbesondere könnte die Anpassung auf
der Grundlage des in der Rom II-Verordnung verankerten ordre public-Vorbehalts3409 angewendet werden. Der ordre public-Vorbehalt könnte eine weite Auslegung erfahren, um die Anpassung zu gestatten. Dies ist durchaus nahe liegend.
Schließlich wurde die Anpassung in der Vergangenheit auf den ordre public-
Grundsatz gestützt und auf der Grundlage von Art. 30 EGBGB a. F. angewendet.3410
Auch Looschelders geht bei staatsvertraglichen Kollisionsnormen auf die Möglichkeit ein, beschränkt durch die staatsvertraglichen Ausnahme-Klauseln des ordre
public die Anwendung der Anpassung zu rechtfertigen.3411 Dieser Gedanke kann auf
die Rom II-Verordnung übertragen werden. Überdies legt Looschelders im Hinblick
auf staatsvertragliche Kollisionsnormen überzeugend dar, dass die kollisionsrechtliche Anpassung nicht auf Fälle des ordre public-Verstoßes zu beschränken sei.3412
Schließlich seien die staatsvertraglichen Verweisungen nicht durchführbar, so dass
die ratio dieser Kollisionsregeln eine Modifikation der vorgesehenen Verweisung
gleichsam gebiete.3413 Diese Erwägungen können prinzipiell auf die Rom II-
Verordnung übertragen werden, so dass die Anpassung basierend auf dieser Verordnung weiterhin möglich wäre.
Auch das in der Rom II-Verordnung Erwähnung findende Interesse am reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes3414 ist nur dann berührt, wenn die vorgese-
3408 Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 624.
3409 Art. 26 Rom II.
3410 BGH, Urt. v. 20.3.1963 VIII ZR 130/61, WM 1963, 506, 507; LG Krefeld, Beschl. v.
5.12.1966 5 T 266/66, FamRZ 1967, 510, 511.
3411 Looschelders, S. 206f.; siehe auch LG Aurich, Beschl. v. 1.12.1975 3a T 35/75, IPRspr.
1975, Nr. 95, S. 237, S. 238.
3412 Looschelders, S. 206f.
3413 Looschelders, S. 206f.
3414 Erwägung 6 Rom II.
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henen Verweisungen zu einem widerspruchsfreien Ergebnis gelangen.3415 In ähnlicher Weise hebt Looschelders im Hinblick auf staatsvertragliche Kollisionsregeln
hervor, dass die Verfehlung der ratio der Kollisionsregel bei Verursachung einer
Anpassungslage eine Anpassung gebiete.3416 Dann tritt auch das Interesse an der
einheitlichen Anwendung der Bestimmungen3417 zurück.3418 Gleiches gilt für den
Aspekt der Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen3419.
Weiter wären auch bei Ausgehen von einer abschließenden Wirkung der Rom II-
Verordnung die oben3420 in Bezug auf die teleologische Auslegung dargelegten
Erwägungen zu berücksichtigen. Dementsprechend wäre der ordre public-Vorbehalt
als Öffnung für die Gewährleistung der inneren Kohärenz der Kollisionsregeln im
Wege der Anpassung anzusehen.
c) Ergebnis
Insgesamt wird durch die Rom II-Verordnung die Zulässigkeit der befürworteten
Anpassungsmethode der irregulären gesellschaftsrechtlichen Qualifikation der
professional negligence nicht in Frage gestellt. Sollte entgegen der hier vertretenen
Auffassung der Rom II-Verordnung eine Sperrwirkung zukommen, kann die Anwendung der Anpassung insbesondere durch die sachgerechte Anwendung des ordre
public-Vorbehalts begründet werden.
X. Zusammenfassung
Es galt, zu untersuchen, ob die transnationale Haftungslücke durch Angleichung
behoben werden kann. Zunächst wurde gezeigt, dass die Mosaikmethode 3421 des
internationalen Privatrechts, die vorliegend zur gleichzeitigen Anwendbarkeit
mehrerer Rechtsordnungen auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt führt, mit der
Gefahr der Auslösung von Normenwidersprüchen einhergeht. Ferner wurden die
theoretischen Grundlagen der Angleichung skizziert. Ausgehend von diesen Erkenntnissen wurde sowohl anhand der traditionellen Grundlegungen als auch unter
Berücksichtigung moderner Entwicklungen das Vorliegen einer Anpassungslage
ausführlich geprüft. Dabei wurde herausgearbeitet, dass ein Normenmangel vorliegt,
der im Wege der Anpassung zu beseitigen ist.
3415 Art. 65 lit. b EGV, Erwägung 2 Rom II.
3416 Looschelders, S. 207.
3417 Erwägung 16 Rom II.
3418 Ähnlich Looschelders, S. 207.
3419 Erwägung 16 Rom II.
3420 Siehe oben Teil 3 D IX 6 b) aa).
3421 Basedow, in: Schlosser, S. 131, S. 151.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die englische Limited Liability Partnership (LLP) kann für in Deutschland niedergelassene Rechtsanwälte eine attraktive Alternative sein. Die Arbeit untersucht die in der Praxis für solche Anwalts-LLPs relevanten berufs-, haftungs-, gesellschafts- und registerrechtlichen Fragen aus internationalprivatrechtlicher und europarechtlicher Perspektive und vergleicht funktional die LLP mit Partnerschaft und GmbH. Insbesondere erörtert die Autorin die Haftung der LLP-Gesellschafter für Berufsfehler sowie die Frage, welche Normen der BRAO Anwendung finden. Die kollisionsrechtlichen Methoden der Substitution und der Anpassung werden diskutiert. De lege ferenda wird eine Neuregelung für das Kollisionsrecht vorgeschlagen.