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gen. Dabei muss nicht zwangsläufig die Problematik eines Normenmangels Relevanz gewinnen. Das obige2914 Beispiel des im Todesfall unversorgten Ehegatten ist
nicht zuletzt aufgrund seiner offenkundigen Unstimmigkeit als klassischer Lehrbuchfall bekannt2915. Dies wirft die Frage auf, welche rechtlichen Erwägungen das
Ergebnis der Rechtsanwendung unstimmig oder unbefriedigend erscheinen lassen
bzw. welche rechtlichen Voraussetzungen an die Feststellung und Behebung eines
Normenmangels zu stellen sind. Die Anpassung ist ein kontroverses Rechtsinstitut
und die Terminologie ist sehr uneinheitlich.2916 Beispielsweise werden im sog.
Witwenfall durchaus verschiedene Lösungen vorgeschlagen.2917
Im Folgenden werden die traditionellen Grundlegungen und moderne Literaturansichten, die hilfreiche Einsichten in die Methodik vermitteln, diskutiert. Weiter werden die bisher für die LLP entwickelten Lösungsansätze vorgestellt. Sodann wird
anhand des traditionellen Ansatzes und unter Berücksichtigung moderner Entwicklungen zur Frage des Bestehens einer Anpassungslage und der Durchführung der
Anpassung Stellung genommen.
II. Traditionelle Grundlegungen
Im Folgenden sind die traditionellen Grundlagen der Angleichung zu erörtern. Dabei
wird im Wesentlichen die klassische Einteilung nach Kegel zugrunde gelegt.
1. Feststellung eines Normenwiderspruchs
Nach Kegel sind der logische Normenwiderspruch, sog. Seinswiderspruch 2918 und
der teleologische Widerspruch, sog. Sollenswiderspruch 2919 zu unterscheiden.2920
Ein Seinswiderspruch liege vor, wenn das gleichzeitige Eintreten der verschiedenen
Rechtsfolgen denkgesetzlich ausgeschlossen ist.2921 Hingegen bestehe ein Sollenswiderspruch, wenn es zweckwidrig sei, dass die verschiedenen Rechtsfolgen nebeneinander vorliegen.2922 Führt die Anwendung zweier Rechtsordnungen zu einem
Ergebnis, das den Intentionen beider Rechte widerspricht, liege ein beiderseitiger
2914 Siehe oben Teil 3 D I 1.
2915 Siehe nur Kegel, Vor Art. 7 Rdnr. 72; Ferid, Rdnr. 4-66 und 4-74ff.; Rauscher, S. 123f;
Coester-Waltjen/Mäsch, S. 239ff., insbesondere S. 254f. (Fall 10).
2916 Vgl. Henssler/Mansel, Festschr. f. Horn, S. 403, S. 414; siehe nur Looschelders, S. 1ff.;
Dannemann, S. 3ff., S. 219ff.; MünchKomm/Sonnenberger, Einl. IPR Rdnr. 593ff.
2917 Siehe nur die Übersicht bei Dannemann, S. 458.
2918 Kegel/Schurig, § 8 II, S. 359; kritisch zum Begriff des Seinswiderspruchs Looschelders,
S. 117ff.
2919 Kegel/Schurig, § 8 II, S. 359.
2920 Kegel/Schurig, § 8 II.
2921 Kegel/Schurig, § 8 II.
2922 Kegel/Schurig, § 8 II.
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Normenwiderspruch vor.2923 Widerspricht das Ergebnis lediglich den Zielen einer
Rechtsordnung, sei ein einseitiger Normenwiderspruch gegeben.2924
2. Auflösung des Normenwiderspruchs
a) Anpassungsbedarf
Nach dieser Ansicht hat im Falle eines Seinswiderspruchs stets eine Anpassung zu
erfolgen.2925 Demgegenüber sei bei einem teleologischen Normenwiderspruch zu
differenzieren.2926 Ein einseitiger Sollenswiderspruch könne eher zu dulden sein als
ein beidseitiger Normenwiderspruch.2927 Dies gelte insbesondere für Konstellationen
des einseitigen Normenwiderspruchs, in denen die Zwecke des deutschen Rechts
nicht verfehlt werden.2928
Eine Angleichung wird von dieser Literaturauffassung bei einem beiderseitigen
teleologischen Normenwiderspruch zumeist für den Fall erwogen, dass aufgrund des
Nebeneinanders verschiedener Statuten ein Anspruch versagt wird, der nach den
beteiligten Rechtsordnungen isoliert betrachtet gewährt würde.2929 Sofern die
Rechtsfolgen in den beteiligten Rechtsordnungen in verschiedene systematische
Zusammenhänge eingebettet sind und diese Normen kollisionsrechtlich jeweils nicht
zur Anwendung berufen werden, liege ein beiderseitiger Normenwiderspruch in
Gestalt eines Normenmangels vor.2930 Im Falle eines beiderseitigen teleologischen
Normenwiderspruchs, bei dem durch die teilweise Anwendung verschiedener
Rechtsordnungen ein Ergebnis erzielt werde, welches separat betrachtet den
Intentionen beider Rechtsordnungen widerspricht, sei regelmäßig eine Anpassung
erforderlich.2931
2923 Kegel/Schurig, § 8 II; Schurig VersR 1971, 393, 397; OLG Hamm, Urt. v. 30.11.1970 3 U
312/68, VersR 1972, 308; OLG Celle, Urt. v. 30.11.1978 5 U 138/76, IPRspr. 1979, Nr. 20,
S. 82, S. 86.
2924 Kegel/Schurig, § 8 II.
2925 Kegel/Schurig, § 8 III.
2926 Kegel/Schurig, § 8 III.
2927 Kegel/Schurig, § 8 III.
2928 Kegel/Schurig, § 8 III; a. A. Looschelders, S. 121f.
2929 Kegel/Schurig, § 8 III; Schurig, VersR 1971, 393, 396f.; s. OLG Karlsruhe, Urt. v.
16.11.2005 2 UF 109/03, NJW-RR 2006, 369, 370 (Anpassungslage abgelehnt); OLG Celle, Urt. v. 8.5.2003 6 U 208/02, FamRZ 2003, 1876, 1880; OLG Köln, Urt. v. 8.3.1994
3 U 75/89, FamRZ 1995, 1200, 1201; OLG Celle, Urt. v. 30.11.1978 5 U 138/76, IPRspr.
1979, Nr. 20, S. 82, S. 86; OLG Hamm, Urt. v. 30.11.1970 3 U 312/68, VersR 1972, 308.
2930 Schurig, VersR 1971, 393, 397.
2931 Kegel/Schurig, § 8 III; OLG Stuttgart, Urt. v. 4.10.1988 17 UF 131/88, IPRax 1990, 113,
114.
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b) Lösungswege
Die Auflösung des Normenwiderspruchs kann nach Kegel durch abgeänderte Anwendung der inländischen Kollisionsnormen, sog. internationalprivatrechtliche Anpassung oder Anpassung der anwendbaren Sachnormen, sog. materiellprivatrechtliche Anpassung erfolgen.2932
Im Rahmen der internationalprivatrechtlichen Anpassung wird entweder die
Grenze zwischen zwei Kollisionsnormen verschoben oder eine neue Kollisionsnorm
für den Anpassungsfall formuliert.2933 Die gegebene internationalprivatrechtliche
Interessenlage unterscheide sich so sehr von der Interessenlage, auf der die Kollisionsnorm aufbaut, dass die Normanwendung nicht länger indiziert sei und ein Kontinuitätsinteresse die unveränderte Normanwendung nicht zu rechtfertigen vermag.2934
Diese Methode könne auch als besondere Qualifikation zur Vermeidung von Normenwidersprüchen angesehen werden.2935 Demgegenüber lasse die materiellprivatrechtliche Anpassung die Kollisionsnormen unverändert zur Anwendung gelangen.2936 Es erfolge eine Modifikation des Sachrechts, dessen Normen so verändert
werden, dass der Normenwiderspruch entfällt.2937 Dadurch werde das sachrechtliche Interesse an einer widerspruchsfreien, sachgerechten Lösung 2938 verwirklicht.2939
Bei der Durchführung der Anpassung sei nicht einer Anpassungsmethode der
Vorrang einzuräumen.2940 Vielmehr habe eine Interessenabwägung im Einzelfall zu
erfolgen.2941 Zudem müsse sich die Entscheidung am Prinzip des geringsten Eingriffs orientieren.2942 Letztlich erfolge eine Wertentscheidung.2943
3. Zusammenfassung
Insgesamt erscheint eine Bewältigung der Problematik ausgehend von den traditionellen Grundlagen möglich und wird unten2944 detailliert diskutiert. Möglicherweise
2932 Kegel/Schurig, § 8 III; Mansel, Festschr. f. Lorenz, S. 689, S. 702; Looschelders, Vorb. zu
Art. 3-6 EGBGB Rdnr. 59; Kropholler, § 43 IV.
2933 Kegel/Schurig, § 8 III; Mansel, Liber Amicorum Kegel, S. 111.
2934 Kegel/Schurig, § 8 III.
2935 Kegel/Schurig, § 8 III.
2936 Kegel/Schurig, § 8 III.
2937 Kegel/Schurig, § 8 III; Mansel, Festschr. f. Lorenz, S. 689, S. 702.
2938 Kegel/Schurig, § 8 III.
2939 Kegel/Schurig, § 8 III.
2940 Kegel/Schurig, § 8 III; Kropholler, § 34 IV.
2941 Kegel/Schurig, § 8 III.
2942 Kegel/Schurig, § 8 III; Kropholler, § 34 IV.
2943 Kropholler, § 34 IV.
2944 Siehe unten Teil 3 D V.
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könnte ein Sollenswiderspruch vorliegen. Schließlich ist die Haftungslücke nicht
logisch undenkbar.
III. Moderne Entwicklungen
Die traditionellen Grundlegungen sind durch moderne Literaturansichten kritisiert
und weiterentwickelt worden. Dabei handelt es sich teils um terminologische oder
methodische, im Ergebnis jedoch zumeist nicht um grundsätzliche Divergenzen.
1. Looschelders
a) Wesentliche Störung der sachrechtlichen Interessenwertung
Nach Looschelders setzt eine Anpassung bei Anwendbarkeit mehrerer Rechtsordnungen auf konnexe Rechtsfragen voraus, dass die gleichzeitige oder frühere Anwendbarkeit einer anderen Rechtsordnung die sachrechtlich vorausgesetzte Interessenlage so sehr verändert, daß die ratio der anwendbaren Sachnormen nicht (vollständig) zutrifft. 2945 In diesem Fall würden die Wertungen der berufenen
Rechtsordnung missachtet, so dass die Verweisung ihren Zweck verfehle.2946 Erforderlich sei eine wesentliche Störung der sachrechtlichen Interessenwertung, die
drohe, wenn aufgrund des Auslandssachverhalts die für die Auslösung der Rechtsfolgen relevanten Aspekte nicht vorliegen. Nur bei einer eindeutigen Verfehlung der
ratio der anwendbaren Sachnormen sei von einer wesentlichen Störung auszugehen.2947
Eine solche wesentliche Störung der sachrechtlichen Interessenwertung sei nicht
mit der bloßen Widersprüchlichkeit des Ergebnisses gleichzusetzen.2948 Vielmehr
komme es darauf an, ob diese Widersprüchlichkeit zur Verfehlung der ratio der
Sachnormen führe.2949 Allerdings sei die Widersprüchlichkeit bzw. die Abweichung
von den kongruenten Inhalten der Sachnormen als wichtiges Indiz anzusehen.2950
Zudem sei auch bei einseitiger Störung der Interessenlage eine Anpassung in Betracht zu ziehen.2951
2945 Looschelders, S. 114.
2946 Looschelders, S. 114.
2947 Looschelders, S. 115.
2948 Looschelders, S. 115.
2949 Looschelders, S. 120.
2950 Looschelders, S. 120.
2951 Looschelders, S. 121ff.; a. A. Kegel/Schurig, § 8 III für den einseitigen Normenwiderspruch,
der nicht in der deutschen, sondern in einer fremden Rechtsordnung auftritt.
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References
Zusammenfassung
Die englische Limited Liability Partnership (LLP) kann für in Deutschland niedergelassene Rechtsanwälte eine attraktive Alternative sein. Die Arbeit untersucht die in der Praxis für solche Anwalts-LLPs relevanten berufs-, haftungs-, gesellschafts- und registerrechtlichen Fragen aus internationalprivatrechtlicher und europarechtlicher Perspektive und vergleicht funktional die LLP mit Partnerschaft und GmbH. Insbesondere erörtert die Autorin die Haftung der LLP-Gesellschafter für Berufsfehler sowie die Frage, welche Normen der BRAO Anwendung finden. Die kollisionsrechtlichen Methoden der Substitution und der Anpassung werden diskutiert. De lege ferenda wird eine Neuregelung für das Kollisionsrecht vorgeschlagen.