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schriften über das Gesellschaftskapital und die Kapitalerhaltung gelten, zu zwingen.816 Zielsetzung der Sitztheorie ist es, das Schutzinteresse des am stärksten betroffenen Staates817 zu realisieren.818 Dem Sitzstaat, der das Wächteramt 819 inne
hat, fällt die Aufgabe zu, zu entscheiden, welche Gesellschaften in seinem Hoheitsgebiet zulässig sind.820 Der Sitzstaat verhindert die Umgehung nationaler Schutzinteressen durch die Auslandsgründung.821 Daher realisiert die Sitztheorie das Schutzund Kontrollbedürfnis des Staates, in dem der tatsächliche Verwaltungssitz liegt.822
b) Konsequenzen für die LLP in Deutschland
Für die LLP als juristische Person des englischen Rechts bedeutet dies hypothetisch
betrachtet, dass sie im Fall eines deutschen Verwaltungssitzes nach der in England
geltenden Gründungstheorie823 weiter besteht. Doch wendet der deutsche Richter
das deutsche internationale Gesellschaftsrecht an. Da die LLP nur in Deutschland
zur Rechtsberatung niedergelassen ist, liegt dort ihr Hauptverwaltungssitz. Somit
wäre nach der deutschen Sitztheorie deutsches Recht maßgebliches Gesellschaftsstatut. Da keine Eintragung als juristische Person in Deutschland erfolgt ist, besteht
nach deutschem Sachrecht keine juristische Person.824 Die Identität als LLP wird in
Deutschland ignoriert. Nach der modifizierten Sitztheorie 825 kommt nur eine Behandlung als deutsche Personengesellschaft in Betracht. 826
IV. Die Anerkennung von EU-Auslandsgesellschaften durch den EuGH
1. Einführung
Nunmehr ist diese Missachtung des ausländischen Status einer juristischen Person
innerhalb der EU infolge der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit
beendet. Insbesondere aufgrund der Urteile Überseering827 und Inspire Art828 sind
816 Eidenmüller/Eidenmüller, § 1 Rdnr. 6.
817 Dies ist in der Regel der Sitzstaat, s. MünchKomm/Kindler, IntGesR Rdnr. 401.
818 MünchKomm/Kindler, IntGesR Rdnr. 401.
819 MünchKomm/Kindler, IntGesR Rdnr. 403.
820 MünchKomm/Kindler, IntGesR Rdnr. 403.
821 MünchKomm/Kindler, IntGesR Rdnr. 403.
822 Eidenmüller/Eidenmüller, § 1 Rdnr. 6.
823 Kegel/Schurig, § 17 II 1; Brown, S. 65.
824 MünchKomm/Kindler, IntGesR Rdnr. 339.
825 Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 950; Behrens, IPrax 2003, 193, 199 verwendet die Bezeichnung neue Sitztheorie ; Paefgen, GmbHR 2005, 957, 959 spricht von der Wechselbalg -Theorie .
826 BGH, Urt. v. 1.7.2002 II ZR 380/00, BGHZ 151, 204.
827 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.
121
EU-Auslandsgesellschaften bei Wahl eines Hauptverwaltungssitzes in einem anderen Mitgliedstaat durch dieses EU-Mitglied anzuerkennen.829 Ferner wird die Tendenz des EuGH zur Stärkung des Rechts auf freie Niederlassung durch die zur Hineinverschmelzung ergangene Entscheidung SEVIC830 belegt. Aufgrund der aktuellen
Cartesio831-Entscheidung des EuGH bleibt lediglich die Sanktionierung der Verwaltungssitzverlegung einer Gesellschaft durch ihren Gründungsstaat als Gestaltgeber
vorerst europarechtlich zulässig.
Nachstehend ist darzulegen, dass die generelle Stigmatisierung als sog. Scheinauslandsgesellschaften in der EU infolge dieser EuGH-Urteile832 nicht mehr zulässig ist. Die durch den EuGH angestoßene Trendwende ist zu diskutieren, weil sie für
die in einem weiteren Schritt zu erörternde Integration der LLP in das deutsche
Rechtssystem, insbesondere im Hinblick auf das Berufsrecht833, das Registerrecht834
und die Postulationsfähigkeit835 bedeutsam ist.
2. Überseering
Dem EuGH war in Überseering836 vom BGH ein Rechtsstreit zur Vorabentscheidung837 vorgelegt worden, in dem eine niederländische Gesellschaft, deren Geschäftsanteile von zwei deutschen Staatsangehörigen erworben worden waren, gegen
ein deutsches Bauunternehmen klagte.838 Das Landgericht wies die Klage als unzulässig ab und das Oberlandesgericht wies die Berufung zurück. Aufgrund des Anteilserwerbs sei der tatsächliche Sitz der niederländischen Gesellschaft nach
Deutschland verlegt worden. Als eine Gesellschaft niederländischen Rechts sei sie
in Deutschland nicht rechtsfähig und somit auch nicht parteifähig.839 Die Vorlagefragen des BGH lauteten im Wesentlichen, ob dieses Ergebnis der Niederlassungsfreiheit widerspreche und ob bejahendenfalls die Rechts- und Parteifähigkeit nach
dem Gründungsrecht zu beurteilen sei.840
828 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.
829 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919; EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art),
Slg. 2003, I-10155.
830 EuGH, Rs. C-411/03 (SEVIC), Slg. 2005, I-10805.
831 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), erhältlich in Beck, BeckRS 2008, 71325,
auch abrufbar unter .
832 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919; EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art),
Slg. 2003, I-10155.
833 Siehe unten Teil 2 C.
834 Siehe unten Teil 2 D.
835 Siehe unten Teil 2 E.
836 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.
837 Art. 234 EGV.
838 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919, Ziff. 1 - 12.
839 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919, Ziff. 1 - 12.
840 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919, Ziff. 21.
122
Der EuGH stellte fest, dass die Verweigerung der Anerkennung der Rechts- und
Parteifähigkeit im Fall der Sitzverlegung die Niederlassungsfreiheit beschränkt:
Das Erfordernis, dieselbe Gesellschaft in Deutschland neu zu gründen, kommt
daher der Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich. 841 Eine Rechtfertigung
scheide aus, wenn einer in einem Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft durch
einen anderen Mitgliedstaat die Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen wird.842
Die Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft nach dem Gründungsrecht sei zu
achten.843 Jedoch war ein weiterer Aspekt nicht Gegenstand dieser Vorabentscheidung des EuGH. Es wurde nicht klargestellt, inwieweit sonstige gesellschaftsrechtliche Aspekte nach dem Gründungsrecht zu beurteilen sind.844
Der BGH folgte dem EuGH und stellte fest, dass die niederländische Gesellschaft
hinsichtlich ihrer Rechtsfähigkeit dem Gründungsrecht zu unterstellen und rechtsfähig ist. Die Parteifähigkeit unterliegt der prozessrechtlichen lex fori-Qualifikation,
so dass aus der Rechtsfähigkeit die Parteifähigkeit nach deutschem Prozessrecht
folgt (§ 50 Abs. 1 ZPO).845 Die Entscheidung des EuGH begründet für den BGH die
Pflicht zur Anerkennung von Gesellschaften aus dem EU-Ausland bei Verlegung
des tatsächlichen Verwaltungssitzes nach Deutschland.846 Ferner stellte der BGH
fest, dass das Ergebnis der modifizierten Sitztheorie, die aufgrund der Umdeutung in
eine rechtsfähige GbR den Status als Gesellschaft ausländischen Rechts missachtete,
ebenso wie das der klassischen Sitztheorie, welche zur Behandlung als rechtliches
nullum führte, gegen die europarechtlichen Vorgaben verstoßen.847
3. Inspire Art
Das Ersuchen eines niederländischen Gerichts um Vorabentscheidung des EuGH in
dem Verfahren Inspire Art848 betraf die Anwendbarkeit niederländischer Vorschriften auf eine englische Ltd.849 In dem Rechtsstreit zwischen der niederländischen
Handelskammer und der englischen Ltd, die ihre Geschäftstätigkeit nur in den Niederlanden ausübte, ging es um Verpflichtungen aufgrund eines niederländischen
Gesetzes über formal ausländische Gesellschaften, die unter anderem das erforderliche Mindestkapital betrafen sowie um die angeordnete Sanktion der gesamtschuldnerischen Haftung der Geschäftsführer.850
841 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919, Ziff. 81.
842 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919, Ziff. 94 (erste Vorlagefrage).
843 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919, Ziff. 95 (zweite Vorlagefrage).
844 Spindler/Berner, RIW 2003, 949, 951.
845 BGH, Urt. v. 13.3.2003 VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185, 190.
846 BGH, Urt. v. 13.3.2003 VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185.
847 BGH, Urt. v. 13.3.2003 VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185.
848 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.
849 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.
850 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 2, 34 - 39.
123
Hinsichtlich der Berechtigung einer Gesellschaft, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, stellt der EuGH fest, dass es unerheblich sei, ob eine Gesellschaft
nur in einem Mitgliedstaat gegründet wurde, um sich in einem anderen Mitgliedstaat
niederzulassen und dort die wirtschaftliche Tätigkeit vorwiegend oder ausschließlich
aufgenommen werden soll.851 Sofern kein Betrug vorliegt, seien die Beweggründe
für die Gesellschaftsgründung in einem bestimmten Mitgliedstaat unbeachtlich.852
Die Gründung in einem Mitgliedstaat zum Zwecke der Ausnutzung attraktiver
Rechtsnormen stelle per se keinen Missbrauch dar, selbst wenn die Geschäftstätigkeit vorwiegend oder ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommen
wird.853 Die Errichtung der Zweigniederlassung in den Niederlanden durch die
Inspire Art Ltd erfolge in Ausübung der Niederlassungsfreiheit.854
Durch die geforderte Einhaltung niederländischer Gründungsvorschriften über
das Stammkapital und die Haftung der Gesellschafter werde die Ltd an der Aus-
übung der Niederlassungsfreiheit gehindert.855 Wird die Errichtung der Zweigniederlassung von Voraussetzungen abhängig gemacht, die im Inland zur Gründung einer
Gesellschaft vorgesehen sind, liege eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
vor.856
Eine Rechtfertigung anhand des vierstufigen Rechtfertigungstatbestandes857 wird
durch den EuGH abgelehnt.858 Die Ltd trete als Gesellschaft englischen Rechts und
nicht als niederländische Gesellschaft auf, so dass Gläubiger ausreichend informiert
seien.859 Ferner seien die Auslandsgründung in dem Mitgliedstaat, der die günstigsten gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zur Verfügung stellt und die anschließende
Gründung von Zweigniederlassungen im Inland als Ausübung der Niederlassungsfreiheit anzusehen.860 Selbst wenn die Gesellschaft ihre Tätigkeit ausschließlich oder
hauptsächlich im Mitgliedstaat der Zweigniederlassung entfaltet, liegt kein missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten vor.861 Die Vorschriften des niederländi-
851 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 95 unter Verweisung auf EuGH,
Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375, Ziff. 16 u. EuGH, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999,
I-1459, Ziff. 17.
852 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 95 unter Verweisung auf EuGH,
Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459, Ziff. 18.
853 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 96 unter Verweisung auf EuGH,
Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375, Ziff. 16 u. EuGH, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999,
I-1459, Ziff. 18.
854 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 98.
855 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 100f.
856 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 105.
857 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 133; EuGH, Rs. C-55/94
(Gebhard), Slg. 1995, I-4165, Ziff. 37; EuGH, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459,
Ziff. 34.
858 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 133ff.
859 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 135.
860 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 138.
861 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 139.
124
schen Gesetzes über das Mindestkapital und auch die Sanktion der unbeschränkten
Geschäftsführerhaftung sind nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar.862
4. Cartesio
Bisher herrschte beim Wegzug einer Gesellschaft hinsichtlich der europarechtlichen
Zulässigkeit einer Sanktionierung der Verwaltungssitzverlegung durch den Gründungsstaat Unsicherheit. In Daily Mail863 wurde im Ergebnis festgestellt, dass das
Herkunftsland die Verlegung des Hauptverwaltungssitzes ins Ausland sanktionieren
durfte.864 Ein overruling von Daily Mail865 ist weder in Überseering866 noch in
Inspire Art867 erfolgt.868
Es wurde erwartet, dass das beim EuGH anhängige Verfahren Cartesio zu einer
endgültigen Klärung führen könne.869 In diesem Verfahren hat sich der Generalanwalt Poiares Maduro dafür ausgesprochen, die grenzüberschreitende Verlegung des
Verwaltungssitzes zu gestatten.870 Im Ergebnis wird die Wegzugsfreiheit postuliert871, was Zustimmung verdient.872 Die Halbierung des Anwendungsbereichs der
Niederlassungsfreiheit 873 durch Unterscheidung zwischen Zuzugs- und Wegzugsfreiheit sollte aufgehoben werden.874
Der EuGH ist dem nicht gefolgt. Das Cartesio875-Urteil des EuGH vom 16. Dezember 2008 betrifft ein Vorlageverfahren, in dem es darum ging, ob ein Mitgliedstaat die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer nach dem Recht dieses Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft sanktionieren darf. Der EuGH hat
unter Berufung auf Daily Mail dargelegt, dass diese Frage Probleme aufwirft, welche angesichts des bisherigen Untätigseins des europäischen Gesetzgebers nicht
862 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 141.
863 EuGH, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483.
864 EuGH, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483, Ziff. 19ff.
865 EuGH, Rs. 81/87 (Daily Mail), Slg. 1988, 5483.
866 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.
867 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.
868 Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 682; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 694; Grohmann/Gruschinske, EuZW 2008, 463, 464.
869 Regionalgericht Szeged/Ungarn, Beschl. v. 20.4.2006, ZIP 2006, 1536 (Vorlagebeschluss) =
ABl. EG, Nr. C 165 v. 15.7.2006, S. 17 (Rs. 210/06); siehe auch Schmidtbleicher, BB 2007,
613; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451, 457.
870 Poiras Maduro, GA, EuGH, Schlussanträge v. 22.05.2008 Rs. 210/06 - Cartesio, ZIP 2008,
1067.
871 Poiras Maduro, GA, EuGH, Schlussanträge v. 22.05.2008 Rs. 210/06 - Cartesio, ZIP 2008,
1067, 1071, Ziff. 35; siehe bereits EuGH, Rs. C-438/05 (Viking Line), EuZW 2008, 246, 250,
Ziff. 69.
872 Ringe, ZIP 2008, 1072, 1074; Grohmann/Gruschinske, EuZW 2008, 464, 465.
873 Ringe, ZIP 2008, 1072, 1073.
874 Ringe, ZIP 2008, 1072, 1073; so auch Grohmann/Gruschinske, EuZW 2008, 464, 465.
875 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), erhältlich in Beck, BeckRS 2008, 71325,
auch abrufbar unter .
125
durch Abstellen auf die Niederlassungsfreiheit gelöst werden können.876 Bisher liege
keine einheitliche europarechtliche Definition der Gesellschaften, die sich auf die
Niederlassungsfreiheit berufen können auf Basis einer einheitlichen Anknüpfung
vor.877 Daher könne ein Mitgliedstaat bestimmen, welche Anknüpfung eine Gesellschaft aufzuweisen habe, wenn sie nach seinem Recht gegründet werden soll und
auch, um diese Eigenschaft zu behalten.878
Dabei stellt der EuGH klar, dass für die bloße Verwaltungssitzverlegung etwas
anderes gilt als im Falle einer Sitzverlegung zwecks Umwandlung in eine Gesellschaft, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaat unterliegt.879 Auch erfolgt eine
ausdrückliche Abgrenzung von den Fallkonstellationen in Überseering, Inspire Art
und Sevic.880 Schließlich hebt der EuGH hervor, dass zwischen der vorgelegten
Frage, ob eine Gesellschaft als eine Gesellschaft anzusehen sei, welche die Nationalität ihres Gründungsmitgliedstaates habe, und der Frage, ob sich eine die Nationalität eines Mitgliedstaates besitzende Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat
einer Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit ausgesetzt sehe, zu trennen sei.881
Insgesamt ist dem Urteil des EuGH zu entnehmen, dass es der freien Entscheidung des Mitgliedstaats der Gesellschaftsgründung überlassen bleibt, durch Anwendung seiner nationalen Vorschriften bei Verlegung des Verwaltungssitzes in einen
anderen Mitgliedstaat der Gesellschaft die Eigenschaft als Gesellschaft nach dem
Recht dieses Gründungsmitgliedstaates zu verwehren.882
5. Schlussfolgerung
In den Urteile Überseering883 und Inspire Art884 werden EU-Auslandsgesellschaften
anerkannt. Auch setzt der EuGH seine mobilitätsfreundliche Rechtsprechung fort.
Ausgeschlossen vom Liberalisierungstrend bleiben aufgrund des Cartesio885-Urteils
876 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), Ziff. 108, erhältlich in Beck, BeckRS 2008,
71325, auch abrufbar unter .
877 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), Ziff. 109, erhältlich in Beck, BeckRS 2008,
71325, auch abrufbar unter .
878 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), Ziff. 110, erhältlich in Beck, BeckRS 2008,
71325, auch abrufbar unter .
879 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), Ziff. 111f., erhältlich in Beck, BeckRS
2008, 71325, auch abrufbar unter .
880 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), Ziff. 121f., erhältlich in Beck, BeckRS
2008, 71325, auch abrufbar unter .
881 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), Ziff. 123, erhältlich in Beck, BeckRS 2008,
71325, auch abrufbar unter .
882 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), Ziff. 124, erhältlich in Beck, BeckRS 2008,
71325, auch abrufbar unter .
883 EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.
884 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.
885 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), erhältlich in Beck, BeckRS 2008, 71325,
auch abrufbar unter .
126
des EuGH vorerst jene EU-Gesellschaften, deren Gründungsstaat nationale Mauern
für ihren Wegzug durch bloße Verwaltungssitzverlegung errichtet.
V. Analyse der neuen Rechtsprechung des EuGH
1. Unmittelbare Konsequenzen der EuGH-Rechtsprechung für die LLP
Für die LLP, die ausschließlich über eine (Zweig)niederlassung in Deutschland
verfügt, hat die Anerkennung durch den EuGH weit reichende Konsequenzen.
a) Zweigniederlassung als de facto Hauptniederlassung
Im Rahmen der Niederlassungsfreiheit wird der Begriff Zweigniederlassung sehr
weit verstanden. Eine Zweigniederlassung muss weder kleiner als die Hauptniederlassung sein noch muss überhaupt eine Hauptniederlassung bestehen.886 In dem
Verfahren Inspire Art887 war die Zweigniederlassung die faktische Hauptniederlassung der Gesellschaft. Folglich genügt es, wenn eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat besteht.888 Somit ist die zu erörternde ausschließliche Geschäftstätigkeit in
Deutschland mittels einer Zweigniederlassung, die faktisch die Hauptniederlassung
darstellt, ohne weiteres möglich.889
b) Originärer deutscher Verwaltungssitz
In seiner Überseering-Entscheidung hat der BGH bestätigt, dass es im Rahmen von
Art. 43, 48 EGV unerheblich ist, ob der Hauptverwaltungssitz nach Deutschland
verlegt wird.890 Auch wenn die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich
im Inland aufnimmt, ist der Schutzbereich eröffnet.891 In dem Verfahren Inspire
Art892 ging es um eine englische Ltd, die von Anfang an ausschließlich in den Nie-
886 EuGH, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459, Ziff. 17; EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire
Art), Slg. 2003, I-10155, Ziff. 95ff.; Eidenmüller/Eidenmüller, § 2 Rdnr. 53.
887 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.
888 Eidenmüller/Eidenmüller, § 2 Rdnr. 54.
889 Palandt/Heldrich, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rdnr. 23.
890 BGH, Urt. v. 13.3.2003 VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185.
891 BGH, Urt. v. 19.9.2005, II ZR 372/03, RIW 2005, 945; OLG Zweibrücken, Beschl. v.
26.3.2003 3 W 21/03, NZG 2003, 537, 538; BayObLG, Beschl. v. 19.12.2002 2Z BR
7/02, NZG 2003, 290.
892 EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die englische Limited Liability Partnership (LLP) kann für in Deutschland niedergelassene Rechtsanwälte eine attraktive Alternative sein. Die Arbeit untersucht die in der Praxis für solche Anwalts-LLPs relevanten berufs-, haftungs-, gesellschafts- und registerrechtlichen Fragen aus internationalprivatrechtlicher und europarechtlicher Perspektive und vergleicht funktional die LLP mit Partnerschaft und GmbH. Insbesondere erörtert die Autorin die Haftung der LLP-Gesellschafter für Berufsfehler sowie die Frage, welche Normen der BRAO Anwendung finden. Die kollisionsrechtlichen Methoden der Substitution und der Anpassung werden diskutiert. De lege ferenda wird eine Neuregelung für das Kollisionsrecht vorgeschlagen.