35
Einführung
A. Problemstellung
Die Rechtsprechung des EuGH hat insbesondere durch die Urteile Überseering1 und
Inspire Art2 Gesellschaftsgründern die Möglichkeit eingeräumt, die Nutzung von
Gesellschaftsformen aus dem europäischen Ausland mit inländischem Verwaltungssitz anzustreben.3 Das Urteil des EuGH in Sachen Cartesio vom 16. Dezember 2008
führt zwar zu einem vorläufigen Weiterbestehen der Wegzugsproblematik .4 Die
Ausstrahlungswirkung der europarechtlich angestoßenen Trendwende für EU-
Auslandsgesellschaften, die sich in Deutschland niederlassen wollen, ist jedoch
nicht zu unterschätzen.
Damit geht die Gestattung eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen einher. So erfolgt durch das am 1. November 2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung
des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)5 eine Deregulierung und Modernisierung der GmbH. Dadurch soll ihre Attraktivität gegenüber
konkurrierenden ausländischen Rechtsformen gesteigert werden. 6 Auch in Frankreich7, Spanien8, Italien9, Schweden10 und England11 sind Änderungen des Gesellschaftsrechts initiiert worden.12 Zudem hat die Idee einer Europäischen Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung (EPG) die europäische Ebene erreicht.13
1 EuGH, Urt. v. 05.11.2002, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919 = ZIP 2002, 2037.
2 EuGH, Urt. v. 30.09.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331.
3 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393.
4 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. 210/06 (Cartesio), erhältlich in Beck, BeckRS 2008, 71325,
auch abrufbar unter ; zu diesem Urteil siehe unten Teil 2 B IV 4; zur
Irrelevanz der Wegzugsproblematik für die vorliegende Untersuchung der englischen Anwalts-LLP in Deutschland siehe unten Teil 2 B V 1 d).
5 BGBl. 2008 I 2026.
6 BR-Drucks. 354/07, MoMiG-RegE, Begr., S. 55.
7 Meyer/Ludwig, GmbHR 2005, 346; Lutter, GmbHR 2005, 1, 3; Seibert, ZIP 2006, 1157,
1159; Leuering, ZRP 2006, 201; Noack, DB 2006, 1475; Wachter, GmbHR 2005, 717, 719f.
8 Lutter, GmbHR 2005, 1, 2; Seibert, ZIP 2006, 1157, 1159; Leuering, ZRP 2006, 201; Noack,
DB 2006, 1475; Wachter, GmbHR 2005, 717, 719f.; zur innovativen Sociedad Limitada Nueva Empresa s. Embid Irujo, RIW 2004, 760; Lindner, ZfRV 2004, 204.
9 Lorenzetti/Strnad, GmbHR 2004, 731; Lutter, GmbHR 2005, 1, 3; Leuering, ZRP 2006, 201;
Noack, DB 2006, 1475; Wachter, GmbHR 2005, 717, 719f.
10 Noack, DB 2006, 1475.
11 Companies Act 2006 (CA 2006); s. Überblick bei Torwegge, GmbHR 2007, 195; Dierksmeier/Scharbert, BB 2006, 1517; Meyer, RIW 2007, 645; Lawlor, ZIP 2007, 2202.
12 Wachter, GmbHR 2005, 717, 719f.; Noack, DB 2006, 1475.
13 Siehe zur EPG Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925; Hommelhoff/Teichmann, GmbHR
2008, 897; Maul/Röhricht, BB 2008, 1574; Peters/Wüllrich, DB 2008, 2179.
36
In Deutschland bildet die englische private limited company by shares (Ltd) den
Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses.14 Dies beruht darauf, dass die Ltd als
Hauptkonkurrent der GmbH gilt.15 Im MoMiG wird sogar eine Unternehmergesellschaft 16 (UG) als Rechtsformvariante der GmbH vorgesehen, die ohne Mindestkapital gegründet werden kann.17 Dieser Vorstoß wird in der Literatur als strategisch
vorteilhafter Schachzug im internationalen Wettbewerb begrüßt.18 Die neue Mobilität der Gesellschaften geht mit facettenreichen kollisions- und europarechtlichen
Problemstellungen einher. Die Integration einer ausländischen Gesellschaft in die
deutsche Rechtsordnung betrifft aus kollisionsrechtlicher Perspektive nicht nur das
internationale Gesellschaftsrecht.
Hinzu kommt eine Überlagerung des Rechts der Mitgliedstaaten durch europarechtliche Vorgaben, deren exakte Reichweite in kollisions- und materiellrechtlicher
Hinsicht bisher unklar ist. Von besonderem kollisionsrechtlichem Interesse ist in
diesem Zusammenhang die Auslandsgründung durch Angehörige der freien Berufe,
weil nicht nur die Ausübung des Berufes als solche reglementiert wird, sondern auch
die gemeinsame Berufsausübung regelmäßig eine tief greifende berufsrechtliche
Ausgestaltung erfährt. Zudem spielt bei den freien Berufen und insbesondere für die
14 Siehe nur Wachter, GmbHR 2004, 88; Wachter, DStR 2005, 1817; Zöllner, GmbHR 2006, 1;
Kallmeyer, DB 2004, 636; Ebert/Levedag, GmbHR 2003, 1337; Schröder/Schneider,
GmbHR 2005, 1288; Dierksmeier, BB 2005, 1516; Römermann, NJW 2006, 2065; Römermann, GmbHR 2005, R305; Schumann, DB 2004, 743; Müller, BB 2006, 837; Ries, AnwBl
2005, 53; Heinz, AnwBl 2004, 612; Schall, ZIP 2005, 965.
15 Dierksmeier, BB 2005, 1516; Römermann, NJW 2006, 2065; Römermann, GmbHR 2005,
R305; Seibert, ZIP 2006, 1157; Heinz, AnwBl 2004, 612; Happ, ZHR 169 (2005), 6, 7; Lutter, BB 2006, Heft 37, BB-Special 7, S. 2; Noack, DB 2007, 1395, 1400; Hirte/Bücker/Hirte,
§ 1 Rdnr. 34ff.; Schmidt, RIW 2005, 827; Ries, AnwBl 2005, 53; Triebel/Otte, ZIP 2006,
311; Schall/Westhoff, GmbHR 2004, R381; Wilhelm, DB 2007, 1510; Wulfetange, BB 2006,
Heft 37, BB-Special 7, S. 19f.; siehe auch die Analysen der Verbreitung der Ltd bei Westhoff,
GmbHR 2007, 474; Westhoff, GmbHR 2006, 525; Kornblum, GmbHR 2008, 19, 25; Kornblum, GmbHR 2007, 25, 33f.; Niemeier, ZIP 2006, 2237; Jahn, AnwBl 2007, 573; siehe auch
die Analyse der Wahrnehmung der Ltd als Rechtsformalternative zur GmbH bei Bayer/Hoffmann, GmbHR 2007, 414.
16 Die Idee einer Unternehmer-Gesellschaft findet sich bereits bei Lutter, BB 2006, Heft 37,
BB-Special 7, S. 2, S. 4; auch Gehb/Drange/Heckelmann, NZG 2006, 88, schlugen als Alternative zur GmbH eine Unternehmensgründergesellschaft ohne Mindestkapital bzw. mit
dem symbolischen Mindestkapital von 1 Euro vor.
17 § 5 a GmbHG n. F. Die UG wird auch als 1-Euro-GmbH bezeichnet, s. Wachter, GmbHR
2007, R209, R210; Kleindiek, BB 2007, Heft 27, I ( Die Erste Seite ); zur Bezeichnung als
Mini-GmbH , s. Kleindiek, BB 2007, Heft 27, I ( Die Erste Seite ); Drygala, NZG 2007,
561; Jahn, AnwBl 2007, 573; Zypries, Bundesjustizministerin, Interview mit der FAZ, FAZ
v. 23.5.2007, S. 15; zur Bezeichnung als GmbH light , s. Freitag/Riemenschneider, ZIP
2007, 1485.
18 Leuering, NJW-Spezial NJW 2007, 315, 316; Seibert, GmbHR 2007, 673, 675, 677; kritisch
zur UG: Römermann, GmbHR 2007, R193, R193f; Wachter, GmbHR 2007, R209, R210, der
bildhaft von einem Trainingsanzug spricht; Kleindiek, BB 2007, Heft 27, I ( Die Erste Seite ); Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491f.; DAV, Stellungnahme zum MoMiG
vom 5.9.2007, S. 7, Rdnr. 15; Veil, GmbHR 2007, 1080, 1085 plädiert für eine völlige Aufgabe des gesetzgeberischen Konzepts der UG im Gesetzgebungsverfahren.
37
Rechtsanwaltschaft die persönliche Expertenhaftung für berufliche Fehler eine hervorgehobene Rolle. Die Haftungsfrage gewinnt an Brisanz, wenn die Wahl auf eine
dem inländischen Rechtssystem unbekannte ausländische Gesellschaftsform fällt.
Diese Gesichtspunkte lassen eine vertiefende wissenschaftliche Befassung mit der
Problematik der Auslandsgründung durch Rechtsanwälte geboten erscheinen. Überdies könnte in Zukunft die Auslandsgründung von den Angehörigen der freien Berufe und den Rechtsanwälten im Besonderen zunehmend als Alternative zu deutschen
Gesellschaften wahrgenommen werden.19 Dabei spielt voraussichtlich nicht die
englische Ltd, sondern vielmehr eine innovative Gesellschaftsform des englischen
Rechts eine wesentliche Rolle.20 Es handelt sich um die limited liability partnership
(LLP21), welche durch den am 6. April 2001 in Kraft getretenen Limited Liability
Partnerships Act 200022 (LLPA 2000) neu eingeführt wurde.23 In England erfreut
sich die LLP als Kooperationsform für Rechtsanwälte wachsender Beliebtheit.24
Auch die großen und sog. top law firms haben sich dem Trend zur LLP-Gründung
angeschlossen.25
Auf der Grundlage der EuGH-Urteile Überseering und Inspire Art steht diese innovative Gesellschaftsform den deutschen Rechtsanwälten prinzipiell als Kooperationsform zur gemeinsamen Berufsausübung in Deutschland zur Verfügung.26 Vor
diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Arbeit die Gründung der LLP nach
dem Recht von England und Wales durch deutsche Rechtsanwälte.
Der Gegenstand der Untersuchung ist auf die nach dem Recht von England und
Wales gegründete LLP und die sonstige Rechtslage in England und Wales beschränkt. Sofern auf die englische LLP oder ohne zusätzliche Kennzeichnung auf
die LLP eingegangen wird, ist die LLP nach dem Recht von England und Wales
gemeint.
Aufgrund der Novität der jüngsten europarechtlichen Entwicklungen auch im Bereich des Kollisionsrechts, welche insbesondere die ab 11. Januar 2009 geltende
Rom II-Verordnung und die ab 17. Dezember 2009 geltende Rom I-Verordnung
19 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1394.
20 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393, 1394; zu Gesellschafts- und Steuerrecht der in Deutschland niedergelassenen LLP siehe die deutschsprachigen Veröffentlichungen von Bank;
Schnittker; Schnittker/Bank.
21 Soweit nicht anders gekennzeichnet, bezieht sich die Abkürzung LLP ausschließlich auf die
englische LLP.
22 Reg. 2 Limited Liability Partnerships Act 2000 (Commencement) Order 2000, SI 2000/3316.
23 Zur Einführung der LLP s. die deutschsprachigen Reaktionen bei Kilian, NZG 2000, 1008;
Triebel, RIW 2001, 1; Langhein, NZG 2001, 1123, 1124; auch Siems, ZVglRWiss 107
(2008), 60, 76 legt dar, dass die LLP attraktiv für deutsche Rechtsanwälte ist.
24 Rice, Gazette 2007, 104(33), 17; Rice, Gazette v. 17.5.2007; siehe auch Goswami, Lawyer
2007, 21(11), 6; Binham, Lawyer v. 29.10.2007; zu diesem Trend der LLP-Gründung stellt
auch Fennell, Times v. 21.9.2004, S. 9, fest: UNHAPPY the head that wears the partnership
crown.
25 Mitchell, Legal Week v. 14.6.2007; Rice, Gazette v. 17.5.2007; Herman, Times Online
v. 2.4.2007; Carter-Pegg/Potter, Lawyer 2006, 20(38), 35.
26 Henssler/Mansel, NJW 2007, 1393f.; siehe die Diskussion unten Teil 2 B IV, V.
38
umfassen, wird sowohl auf die bisherige Rechtslage als auch auf die durch europarechtliche Entwicklungen hervorgerufenen Neuerungen eingegangen. Dadurch wird
eine Analyse des kollisionsrechtlichen Systems unter Berücksichtigung punktueller
gesetzgeberischer Interventionen ermöglicht. Auch mit Blick auf die Praxis wird
eine kontinuierliche Erfassung der Problematik gewährleistet.
B. Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist es, den Export der LLP als neue englische Rechtsform durch
deutsche Rechtsanwälte zum Zwecke der gemeinsamen Berufsausübung in Deutschland unter Begründung eines deutschen Verwaltungssitzes insbesondere im Hinblick
auf die Frage der Anwaltshaftung für fahrlässig verursachte Vermögensschäden zu
untersuchen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf der besonderen Problematik der Anwaltshaftung. Daneben werden die wesentlichen kollisions- und europarechtlichen Grundvoraussetzungen einer Integration der englischen Anwalts-LLP
in die deutsche Rechtsordnung, mithin die registerrechtliche und die berufsrechtliche
Erfassung sowie die Postulationsfähigkeit, eingehend untersucht.
Aus kollisionsrechtlicher Perspektive soll untersucht werden, welches Recht zur
Anwendung berufen ist. Auf Tatbestandsebene soll die Erfassung der LLP durch das
deutsche Recht durch die Methode der Substitution diskutiert werden. Die durch in
Deutschland tätige Rechtsanwälte zur Rechtsberatung in Deutschland niedergelassene LLP soll im Einzelnen mit den deutschen Rechtsformen Partnerschaft und GmbH
verglichen werden, um daraus Schlüsse für die Behandlung der Anwalts-LLP zu
ziehen. Insgesamt sollen die europarechtlichen Vorgaben für die Anwendung deutschen Rechts Berücksichtigung finden.
Ferner soll de lege lata hinsichtlich des mit dem Export der Anwalts-LLP durch
das allgemeine kollisionsrechtliche Verweisungssystem ausgelösten Wegbrechens
der Haftung des LLP-Gesellschafters nach den englischen Grundsätzen der professional negligence eine Korrektur dieses transnationalen Haftungswegfalls durch
das spezielle Rechtsinstitut der Anpassung auch im Hinblick auf die europarechtliche Zulässigkeit untersucht werden.27 Darüber hinaus soll ein Vorschlag für eine
neue europäische Kollisionsnorm zur Problemlösung de lege ferenda entwickelt
werden.
C. Gang der Untersuchung
Um eine stringente Analyse zu gewährleisten, erfolgt eine Aufteilung dieser Arbeit
in vier Teile. Der erste Teil ist der Erörterung der Gründung der englischen Anwalts-
LLP in ihrem Heimatland und der Rechtslage nach dem materiellen englischen
27 Siehe die Diskussion unten Teil 3 C, D.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die englische Limited Liability Partnership (LLP) kann für in Deutschland niedergelassene Rechtsanwälte eine attraktive Alternative sein. Die Arbeit untersucht die in der Praxis für solche Anwalts-LLPs relevanten berufs-, haftungs-, gesellschafts- und registerrechtlichen Fragen aus internationalprivatrechtlicher und europarechtlicher Perspektive und vergleicht funktional die LLP mit Partnerschaft und GmbH. Insbesondere erörtert die Autorin die Haftung der LLP-Gesellschafter für Berufsfehler sowie die Frage, welche Normen der BRAO Anwendung finden. Die kollisionsrechtlichen Methoden der Substitution und der Anpassung werden diskutiert. De lege ferenda wird eine Neuregelung für das Kollisionsrecht vorgeschlagen.