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5. Thesen
1. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Anwerbestopps 1973 veränderte sich
durch dessen primäre Folgewirkung – verstärkte Zuwanderung im Wege der Familienzusammenführung – das Gesellschaftsbild in Deutschland. Es entwickelte
sich eine neue Heterogenität, die die Politik vor Herausforderungen stellte.
2. Das neue Zuwanderungsrecht normiert – auch durch die Bleiberegelungen des
Änderungsgesetzes 2007 – eine kontrollierte und qualitative Zuwanderung in die
Bundesrepublik. Selektive Auswahlkriterien orientieren sich primär an wirtschaftlichen Interessen. Die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat
nicht zwingend die Aufenthaltssicherung zur Folge. Hierfür, d.h. die Erlangung
einer Niederlassungserlaubnis oder einer Daueraufenthaltserlaubnis-EG, sind von
dem Ausländer vielmehr weitere Faktoren zu erfüllen, die negative Folgewirkungen von Zuwanderung reduzieren sollen.
3. Die langen Aufenthaltszeiten der ausländischen Unionsbürger sowie der türkischen Staatsbürger dokumentieren, dass unter ihnen überwiegend ein positives
Bekenntnis zur Bundesrepublik vorherrscht. Der Lebensmittelpunkt wurde nach
Deutschland verlagert. Hier entwickelte sich mehrheitlich sowohl eine berufliche
als auch eine gesellschaftliche »Verwurzelung«.
4. Die Untersuchung und der Vergleich der rechtlichen Aufenthaltssituation der
Gruppe der in Deutschland lebenden ausländischen Unionsbürger (insbesondere
Italiener und Griechen) mit der Gruppe der hier lebenden türkischen Staatsbürger
zeigt deutliche Unterschiede. Unionsbürger verfügen ganz überwiegend über einen gesicherten Status. Dies kann bezüglich vieler hier geborener und aufgewachsener türkischer Staatsangehöriger bisher nicht festgestellt werden. Möglicherweise leitet das Änderungsgesetz 2007 diesbezüglich eine Wende ein, die
heute noch nicht erkennbar ist.
5. Das Bildungsprofil ausländischer Schüler spiegelt das ausdifferenzierte deutsche Bildungssystem wider. Während deutsche Schüler relativ gesehen in ausgeprägtem Maße Übertrittsquoten in weiterführende Schulen und qualifizierte Abschlüsse vorweisen, kann dies jedenfalls bezüglich ausländischer Schüler aus den
klassischen Anwerbestaaten (Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Portugal,
Jugoslawien) nicht konstatiert werden. Insbesondere bei italienischen und
türkischen Schüler zeigen sich insoweit Mängel, die vor dem Hintergrund der Arbeitswelt besorgniserregend sind.
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6. Die schlechten Bildungschancen der ausländischen Schüler resultieren aus erheblichen Defiziten im deutschen Bildungssystem. Soziale Schichtzugehörigkeit
bedingt deutlich den schulischen Erfolg. Die PISA-Studie zeigt auf, dass ausländische Schüler aus der unteren Gesellschaftsschicht – Zugehörigkeit zur sog. Arbeiterschicht – im deutschen Bildungssystem benachteiligt werden.
7. Die Bildungssituation der ausländischen Schüler bedingt hinsichtlich Beschäftigung und finanzieller Ressourcenausstattung eine Kettenreaktion, die negative
Folgewirkungen für die Gesamtgesellschaft hat. Schlechte Berufsqualifizierung
und die damit einhergehende schwache Positionierung auf dem Arbeitsmarkt bedingen eine hohe (und kostspielige) Arbeitslosigkeit unter Ausländern.
8. Schlechtes Bildungsprofil und hohe Arbeitslosigkeit bei jungen Ausländern
verursachen auch Integrationshindernisse. Nicht zuletzt drückt sich dies in einem
erhöhten Armutsrisiko aus, von dem gerade junge Ausländer überdurchschnittlich betroffen sind.
9. Ungleiche schulische Chancen und ungünstige Sozialstrukturen begünstigen
deviantes Verhalten. Deviantes Verhalten wird weiter durch Innenkonflikte bei
hier geborenen und aufgewachsenen ausländischen Jugendlichen begünstigt. Das
Aufeinandertreffen unterschiedlicher Normen- und Wertesysteme während der
Sozialisation destabilisiert die Jugendlichen. In Folge wird soziale Kontrolle minimiert und es erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit für deliquentes Verhalten.
10. Die soziale Schlechterstellung führt zu erhöhten Kriminalitätsraten. Auch
wenn aufgrund der fehlenden Differenzierung des Datenmaterials eine eindeutige
Aussage nicht möglich ist, zeigt sich doch, dass in Deutschland geborene türkische Staatsangehörige insoweit überdurchschnittlich auffällig sind. Insbesondere im Bereich der Rauschgiftdelikte weisen sie Signifikanzen auf. Im Vergleich
hierzu sind ausländische Unionsbürger relativ unauffällig.
11. Die Kombination von schlechten schulischen und beruflichen Chancen sowie
destabilisierenden Innenkonflikten mit dem Wegfall von familiären und sozialen
Schutzfaktoren führt gerade bei in Deutschland geborenen und aufgewachsenen
Ausländern zu Belastungssituationen. Dies zieht statistisch erheblichen Drogenkonsum und somit den Verstoß gegen das BtMG nach sich. Insbesondere in den
deutschen Ballungszentren lässt sich deshalb eine hohe Anzahl von Drogenkonsumenten ausländischer Herkunft nachweisen.
12. Die Ausweisungsregelungen für straffällige Ausländer orientieren sich aufgrund der Verhältnismäßigkeitsprüfung im ersten Schritt am Aufenthaltsstatus
des Betroffenen. Je unsicherer der Aufenthaltsstatus ist, desto geringer ist auch
der Ausweisungsschutz. Erst eine Einbürgerung des Ausländers schützt diesen
absolut vor Ausweisung und Abschiebung bei Straffälligkeit. Die hohen Einbür-
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gerungszahlen verdeutlichen, dass der Wunsch nach einem sicheren Aufenthaltsstatus von großer Bedeutung ist. Auffallend ist, dass überdurchschnittlich viele
türkische Staatsangehörige sich einbürgern lassen. Dies dürfte auch eine Folge
des relativ ungesicherten Aufenthalts vieler türkischer Staatsangehöriger sein.
Gleichzeitig stellt dies ein bewusstes Bekenntnis zu Deutschland dar.
13. Erleichterte Voraussetzungen sollen den seit langem hier lebenden Ausländern die Möglichkeit eröffnen, sich bei Erfüllen wirtschaftlicher Faktoren einbürgern zu lassen. Mit dem Inkrafttreten des Geburtsortsprinzips werden in Deutschland geborene Kinder von Ausländern automatisch Deutsche, wenn die Eltern gewisse Voraussetzungen erfüllen.
14. Die Ausweisung will keine juristische Strafe sein, sondern eine ordnungsrechtliche Maßnahme. Je nach Schwere der Straftat und der Höhe des verhängten
Strafmaßes wird eine der drei im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Ausweisungsformen ausgelöst. Bei geringfügigen Verstößen wird nach Ermessen ausgewiesen
(Ermessensausweisung), bei schweren Delikten im Regelfall (Regel-Ausweisung); bei Kapitaldelikten muss grundsätzlich ausgewiesen werden (Zwingende
Ausweisung).
15. Im Falle der Ausweisung wird das Aufenthaltsrecht entzogen und die Ausreise verpflichtend eingeleitet. Kommt der Ausländer der Ausreisepflicht nicht
fristgerecht nach, wird er abgeschoben, die Ausreise wird mithin zwangsweise
vollzogen.
16. Die Ausweisungsvoraussetzungen wurden innerhalb der letzten Dekaden aufgrund der Zuwanderung in die Bundesrepublik mehrfach modifiziert. Die Entwicklung des Ausländergesetzes verdeutlicht den Ansatz, die tatsächlichen Lebensumstände eines Ausländers im Falle seiner Ausweisung differenziert zu berücksichtigen. Dies stellt eine besondere Ausprägung des verfassungsrechtlich
garantierten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dar. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht das Aufenthaltsgesetz durch die Regelung eines erhöhten Ausweisungsschutzes. Je stärker sich ein Ausländer in die bundesrepublikanische Gesellschaft integriert, um so verfestigter wird regelmäßig sein Aufenthalt, umso stärker sein Ausweisungsschutz. Diesen erlangen insbesondere
Ausländer, die über einen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen, mit Deutschen
verheiratet sind oder in lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft leben sowie Minderjährige bzw. Heranwachsende.
17. Ein absoluter Ausweisungsschutz für bestimmte Ausländergruppen, wie oftmals von Nichtregierungsorganisationen gefordert, wurde bislang nicht realisiert.
18. Die Ausweisung bzw. Abschiebung löst eine Sperrwirkung aus, die den Ausländer daran hindert, innerhalb einer – von der Ausländerbehörde nach Ermessen
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bestimmten – Zeit nach Deutschland zurückzukehren, wenn er sein Aufenthaltsrecht, wie häufig bei türkischen Staatsangehörigen, dadurch nicht ohnehin vollständig verloren hat. Durch die Befristungsregelung soll sichergestellt werden,
dass der Betroffene die öffentliche Sicherheit und Ordnung Deutschlands innerhalb des festgesetzten Zeitraumes nicht beeinträchtigt. Neben der Höhe des Strafmaßes und des verwirklichten Ausweisungstatbestandes werden bei der Bemessung der Sperrfrist die familiären, wirtschaftlichen und sozialen Lebensumstände
des Ausländers berücksichtigt. Die durchschnittlichen Sperrfristen unterscheiden
sich erheblich in den einzelnen Bundesländern.
19. Die Ausweisung bzw. Abschiebung eines Drittstaaters führt zum Eintrag einer Einreiseverweigerung in dem von der EG eingerichteten Schengener Informationssystem. Somit können etwa türkische Betroffene innerhalb der Sperrwirkung in den gesamten Schengenraum nicht mehr einreisen. Eine solche Beschränkung ist für Unionsbürger nicht zulässig, für die nach einer deutschen Ausweisung nur die Bundesrepublik gesperrt bleibt.
20. Gemeinschaftsrecht ist in Deutschland unmittelbar anwendbar. Zur Wahrung
der Rechtseinheit in der EU entfaltet es, wie auch Urteile des EuGH, zudem – sowohl inter partes als auch erga omnes – relativ umfassende Bindungswirkungen.
21. Die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts von Unionsbürgern ist gemäß
dem FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit möglich. Die Regelungen der zwingenden Ausweisung sind auf Unionsbürgern nicht anwendbar. Unionsbürger können nur noch auf der Grundlage einer
ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Das Urteil
des EuGH in den Fällen Orfanopoulos & Oliveri betont, dass immer eine umfassende Zweckmäßigkeitsprüfung stattfinden muss, bei der auch Veränderungen zu
berücksichtigen sind, wie z.B. eine verminderte Gefahren- bzw. eine positive Sozialprognose, und zwar zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw.
der Entscheidung des Tatsachengerichts. Ein absoluter Ausweisungsschutz besteht jedoch auch für Unionsbürger nicht.
22. Auch assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige können nur nach
diesen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen ausgewiesen werden. Durch Leitentscheidungen des EuGH wurde die durch das ARB 1/80 gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit kontinuierlich ausdifferenziert und in nationales Recht inkorporiert. Insbesondere im Bereich des Ausweisungsschutzes, der Aufenthaltserlaubnis und des Familienschutzes stärkte der EuGH die Rechtsstellung assoziationsbegünstigter türkischer Staatsangehöriger erheblich. Der Assoziationsratsbeschluss 1/80 räumt türkischen Arbeitnehmern und ihren Familienangehörigen
sowohl beschäftigungsrechtliche als auch aufenthaltsrechtliche Sonderstellungen
ein. Zudem gewährleistet der ARB 1/80 einen europarechtlich begründeten be-
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sonderen Ausweisungsschutz. Auch für assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige besteht jedoch kein absoluter Ausweisungsschutz.
23. Das Fallbeispiel »Mehmet« dokumentiert eindrucksvoll, welche sozialen und
juristischen Folgen eine Ausweisung auslösen kann. Der Fall illustriert zudem,
dass neben dem europäischen Ausweisungsschutz bei Minderjährigen auch der
nationale Ausweisungsschutz greift. Er löste im Übrigen eine politische Diskussion aus, die verdeutlicht, wie unterschiedlich und parteiideologisch das Politikthema »Ausländer« und im Weiteren die Ausweisung von straffälligen Ausländern gehandhabt wird.
24. Einer gefestigten Rechtsprechung des EGMR kommt in Deutschland jedenfalls faktisch ebenfalls Anwendungsvorrang zu. Dies bedeutet, dass die allgemeine Gültigkeit beanspruchende EGMR-Auslegung einer Konventionsbestimmung von den (Verwaltungs-) Gerichten vorrangig zu berücksichtigen ist. Durch
das Bundesverfassungsgericht wurde im Fall »Görgülü« die Möglichkeit verdeutlicht, eine Konventionsverletzung mittelbar zu rügen bzw. diesbezüglich Verfassungsbeschwerde zu erheben.
25. Der EGMR legt in seiner Rechtsprechung einen besonderen Schwerpunkt auf
den Aspekt der »Verwurzelung« von Ausländern. Langjährige Aufenthaltszeiten,
soziale Verflechtungen und ein Familienleben führen zu gestärktem Ausweisungsschutz. Auch hierdurch entsteht ein relativ starker Schutz vor drohender
Ausweisung oder Abschiebung, in dessen Genuss vor allem Ausländer der zweiten Generation und Eheleute kommen. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei
die in Art. 8 EMRK normierte Achtung des Privat- und Familienlebens.
Zugleich stellt der EGMR auf den Grad der »Entwurzelung« des Ausländers aus
seinem Passstaat ab. Insbesondere bei Drogendelikten und schweren Straftaten
wird der Ausweisungsschutz allerdings signifikant reduziert. Einen absoluten
Ausweisungsschutz für einen bestimmten ausländischen Personenkreis anerkennt
auch der EGMR nicht.
26. Die Ausweisungspraxis in Deutschland ist von der politischen Struktur bzw.
der Kompetenzverteilung der Ausländerbehörden des jeweiligen Bundeslandes
beeinflusst. Das Ermitteln von entsprechendem Datenmaterial wurde sowohl
durch datenschutzrechtliche Bestimmungen als auch fehlende Erhebungsstandards von Seiten der Behörden stark erschwert. Die aufgefundenen Daten geben
dennoch in verschiedener Hinsicht Aufschluss über die nationale Ausweisungspraxis.
27. Die Stärkung des europäischen Ausweisungsschutzes insbesondere durch die
Urteile Orfanopoulos & Oliveri hat dazu geführt, dass sich die Anzahl der Ausweisungsverfügungen und somit die der ausreisepflichtigen Unionsbürger deut-
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lich verringert hat. Dies konnte anhand der Statistiken für das gesamte Bundesgebiet nachgewiesen werden.
28. Ebenfalls konnte ein bundesweiter Rückgang der Ausweisungsverfügungen
bei den ausreisepflichtigen assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen nachgewiesen werden. Dies ist insbesondere auf das EuGH-Urteil im Fall Çetinkaya zurückzuführen, in dem der Gerichtshof seine für Unionsbürger entwickelten Ausweisungsmaßstäbe auf sogenannte ARB-Türken übertrug.
29. Auch auf baden-württembergischer Ebene konnte die Wirksamkeit der europarechtlichen Schutzbestimmungen nachgewiesen werden. Sowohl bei assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen als auch bei den untersuchten Unionsbürgern hat sich die Anzahl der Ausweisungsverfügungen und die der Abschiebemaßnahmen signifikant verringert.
30. Dies konnte weiter für den Bezirk des Regierungspräsidiums Stuttgart nachgewiesen werden. Sowohl die Anzahl der ausgewiesenen assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen als auch die der untersuchten Unionsbürger ist
deutlich rückläufig. Auch bei den Abschiebungszahlen für die untersuchten
Gruppen konnten Rückgänge aufgrund der europarechtlichen Schutzbestimmungen festgestellt werden.
31. Die unteren Ausländerbehörden im Regierungsbezirk Stuttgart verfügen aufgrund der europarechtlichen Schutzbestimmungen zwischenzeitlich keine Ermessensausweisungen mehr gegen Unionsbürger. Gleiches gilt für assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige. Ferner konnte aufgezeigt werden, dass
sich gerade türkische, aber auch italienische Staatsangehörige der Ausreise häufig durch Untertauchen widersetzen.
32. Die Ausländerbehörden verschiedener Großstädte berücksichtigen ebenfalls
die neuen europarechtlichen Schutzbestimmungen. Bei allen befragten Ausländerbehörden – bis auf Duisburg – konnte ein Rückgang der Ausweisungsverfügungen gegenüber assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen beobachtet werden. Gegen Unionsbürger wurden – außer in Berlin – seit dem Jahr
2004 aufgrund des europarechtlichen Ausweisungsschutzes überhaupt keine
Ausweisungsverfügungen mehr erlassen. Auffallend ist, dass die Ausländerbehörde der Stadt Mannheim schon vor dem Jahr 2004 keine Ausweisungen gegen-
über Griechen und Italiener verfügte. Dies verdeutlicht, dass der Ausweisungsschutz von den unteren Ausländerbehörden in Baden-Württemberg recht unterschiedlich ausgelegt wurde.
33. Anhand verschiedener Fallbeispiele konnte die soziale Relevanz von Ausweisungen ausgeleuchtet werden. Die ermittelten Einzelfälle spielten sich fast ausschließlich im Bereich unterer Sozialschichten ab. Geringes Bildungsprofil, ein-
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hergehend mit Zeiten der Arbeitslosigkeit und Hilfstätigkeiten, charakterisierten
die Lebensläufe. Deviantes Verhalten, Drogenabhängigkeit und die daraus resultierenden Straftaten bekräftigen die Annahme, dass schwerwiegende Probleme
während der Kinder- und Jugendzeit nicht erkannt bzw. behoben wurden.
34. Aus Deutschland Ausgewiesene empfinden die Ausweisung einhellig als
schlimme Strafe und finden sich in aller Regel nicht hiermit ab. Insbesondere bei
türkischen Staatsbürgern der zweiten Generation wirkt die »Verwurzelung« in
Deutschland weiter. Neben finanziellen Schwierigkeiten und Arbeitslosigkeit
machen die Umstände des Fremdseins und Heimwehs den Betroffenen schwer zu
schaffen. Im Zentrum ihrer Bemühungen steht die Rückkehr nach Deutschland.
Ob Ausweisungen kriminalpolitisch »Sinn« machen, d.h. ob Ausgewiesene regelmäßig nach Deutschland zurückkehren und ob sie hier dann nicht mehr straffällig werden, kann anhand ermittelbarer Daten nicht beurteilt werden.
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References
Zusammenfassung
Für straffällige Ausländer, die in Deutschland geboren oder im Kindesalter eingereist sind, stellt sich eine Ausweisung regelmäßig als „Doppelbestrafung“ dar. Auch die Verwurzelung im Bundesgebiet schützt nach nationalen Maßstäben hiervor nur begrenzt. Betrachtet man das sozioökonomische Profil der Ausgewiesenen, so zeigt sich, dass diese fast ausnahmslos der sog. Unterschicht angehören. Bildungsarmut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie der damit einhergehende unsichere Aufenthaltsstatus bestimmen ihr Leben. Im Gegensatz zum bisherigen nationalen Ausländerrecht stellt der Europäische Ausweisungsschutz nun insbesondere für Unionsbürger und assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige stärker auf faktische Bindungen in der „Heimat“ ab. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist nachweisbar, dass er hierdurch ausgesprochen effektiv wirkt und die Ausweisungszahlen in der Ausländerpraxis deutlich reduziert hat.