228
Auch wenn die Angaben für beide Gruppen der Unionsbürger gering ausfallen,
so muss diese doch in Relation zu den Statistiken über die Ausweisungsverfügungen der unteren Ausländerbehörden gesetzt werden (Abbildung 28). Demnach haben sich bei den Italienern drei Personen, gegen die eine Ausweisungsverfügung erging, der Ausreiseaufforderung widersetzt.
Bei den Türken sind vergleichbare Sachverhalte zu beobachten. Türkische
Staatsangehörige, gegen die eine Ausweisungsverfügung erging, widersetzten
sich allerdings relativ häufig der Ausreise. Grund hierfür ist die Kenntnis der
Betroffenen, dass sie bei einer Ausreise – auch nach Ablauf der Sperrfrist – nicht
ohne weiteres mehr nach Deutschland einreisen können.521
4.2.4 Ausweisungsstatistiken deutscher Großstädte
Im Folgenden werden die Ausweisungsstatistiken der Ausländerbehörden (AB)
deutscher Großstädte betrachtet, die über einen hohen Ausländeranteil verfügen.
4.2.4.1 Ausweisungsstatistik der Stadt Stuttgart
In Stuttgart leben rund 592.000 Menschen. Der Ausländeranteil beträgt mit etwa
130.000 Personen ca. 21,9 Prozent. Davon sind 22.538 Personen türkische,
14.669 griechische und 14.192 italienische Staatsangehörige. 522
521 Ebd.
522 Stadt Stuttgart (2006), Stuttgarter Bündnis für Integration – Grundlagen der Integrationspolitik in der Landeshauptstadt Stuttgart, S. 9; eigene Berechnungen.
229
Abbildung 32:523
Allgemein lässt sich erkennen, dass die Ausländerbehörde der Stadt Stuttgart seit
dem Jahr 2000 insgesamt weniger Ausweisungen verfügt hat. Während im Jahr
2000 noch 435 Ausländer ausgewiesen wurden, verringerte sich die Anzahl der
Ausweisungsverfügungen im Verlauf der Folgejahre und sank im Jahr 2006 auf
200. Somit nahm innerhalb dieses Zeitraums die Anzahl der Ausweisungsverfügungen, die die Ausländerbehörde der Stadt Stuttgart erließ, um mehr als die
Hälfte ab.
523 Angaben der Ausländerbehörde der Stadt Stuttgart.
AB Stadt Stuttgart: Ausweisungen insgesamt (1999-2006)
200
170
233
354
250
435
361
284
0
50
100
150
200
250
300
350
400
450
500
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
230
Abbildung 33:524
Betrachtet man die Anzahl der Ausweisungsverfügung, die gegenüber türkischen
Staatsangehörigen erging, so zeigt sich ebenfalls, dass sich diese verringert hat.
Zwischen den Jahren 1999 und 2006 ist eine Abnahme um nahezu die Hälfte zu
verzeichnen. Aufgrund der ausgeweiteten europarechtlichen Schutzbestimmungen im Bereich der Ausweisung von assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen verfügt die Ausländerbehörde der Stadt Stuttgart seit dem Jahr 2005
keine Ausweisungen gegen diese Personengruppe. Das bedeutet, dass die Ausweisungsverfügungen der Jahre 2005 und 2006 gegenüber türkischen Staatsangehörigen ergingen, die keinen ARB-Status besaßen.525
Bei den Unionsbürgern zeigt sich ein ähnliches Bild. Während im Zeitraum 1999-
2003 noch Ausweisungsverfügungen gegen Unionsbürger ergingen, so wurden
diese seit dem Jahr 2004 aufgrund der europarechtlichen Schutzbestimmungen
weitgehend eingestellt.526 Die Ausweisung von Unionsbürgern bzw. die Feststellung nach § 6 FreizügG/EU (Recht auf Einreise und Aufenthalt) obliegt in Baden-
Württemberg den Regierungspräsidien.
524 Angaben der Ausländerbehörde der Stadt Stuttgart.
525 Ebd.
526 Ebd. Ausweisungen von Unionsbürgern: Jahr 1999: 14 Personen, 2000: 23, 2001: 6, 2002:
3, Jahr 2003: 4 Personen.
AB Stadt Stuttgart: Ausweisungen von Türken, Griechen und Italienern
(1999-2006)
25
29
17 17
12 12
8
16
5
2
0 0 0 0 0 0
6
10
1 0
3
0 0 0
0
5
10
15
20
25
30
35
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Türken Griechen Italiener
231
Signifikant ist, dass die Summe der Ausweisungsverfügungen gegen griechische
und italienische Staatsangehörige im Jahr 1999 noch etwa 79% aller Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern ausmachte.527 Dieser Anteil sank in
den Folgejahren. Obwohl die Anzahl von Griechen und Italienern in Stuttgart in
etwa gleich hoch ist, ist doch die Anzahl der Ausweisungsverfügungen gegenüber
italienischen Staatsangehörigen in den Jahren 1999-2003 bedeutsamer.
Im Vergleich zwischen den Gruppen lässt sich wiederum feststellen, dass türkische Staatsangehörige weitaus auffälliger sind, als die untersuchte Gruppe der
Unionsbürger.
4.2.4.2 Ausweisungsstatistik der Stadt Mannheim
In Mannheim leben 325.433 Menschen. Der Ausländeranteil beträgt mit 64.115
Personen etwa 19,7 Prozent. Hiervon sind 19.237 Personen türkische, 7.849 italienische und 2.662 griechische Staatsangehörige.528
527 Ebd; eigene Berechnungen.
528 Angaben des Büros des Beauftragten für ausländische Einwohner der Stadt Mannheim.
Stand: 31.12.2006.
232
Abbildung 34:529
Generell hat die sich die Anzahl der Ausweisungsverfügungen der Ausländerbehörde der Stadt Mannheim innerhalb des Zeitraums von 2004 bis 2006 verringert.
Während im Jahr 2004 noch 185 Ausweisungen verfügt wurden, sank diese Anzahl im Jahr 2006 auf nur noch 109 Ausweisungsverfügungen. Zudem hat die AB
Mannheim seit dem Jahr 2004 ebenso wie die AB Stuttgart keine Unionsbürger
mehr ausgewiesen.530 Auffallend ist, dass innerhalb des gesamten betrachteten
Zeitraums keine griechischen und italienischen Staatsangehörigen ausgewiesen
worden sind. Von einer Ausweisung dieser Personengruppe wurde schon vor dem
Jahr 2004 abgesehen. Dies ist ein deutlicher Unterschied zur Ausländerbehörde
der Stadt Stuttgart.
Bei den Statistiken zu den Ausgewiesenen mit türkischer Staatsangehörigkeit
zeigt sich eine deutliche Abnahme der Fälle seit dem Jahr 2005. Diese Abnahme
ist auf die Schutzbestimmungen sowie die entsprechende EuGH-Rechtsprechung
gegenüber türkischen Staatsangehörigen mit ARB-Status zurückzuführen.
529 Angaben der Ausländerbehörde der Stadt Mannheim.
530 Ebd.
AB Stadt Mannheim: Ausweisungen von Türken, Griechen und
Italienern (2000-2006)
9
18
24 25
21
8 7
0 0 0 0 0 0 00 0 0 0 0 0 0
0
5
10
15
20
25
30
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Türken Griechen Italiener
233
4.2.4.3 Ausweisungsstatistik der Stadt Frankfurt
In Frankfurt leben 651.583 Menschen. Der Ausländeranteil beträgt mit 161.268
Personen ca. 24,8 Prozent. Hiervon sind 32.319 Personen türkische Staatsangehörige.531
Abbildung 35:532
Im Jahr 2000 verfügte die Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt nahezu viermal
so viele Ausweisungen wie im Jahr 2006. Ergingen im Jahr 2000 noch etwa 2%
aller Verfügungen gegenüber türkischen Staatsangehörigen, so erreichte diese mit
ca. 8% im Jahr 2003 ihren Höhepunkt innerhalb des beobachteten Zeitraums. Für
das Jahr 2006 kann dieser Wert mit 5,7% beziffert werden.533
Als häufigste Ausweisungsgründe wird von Seiten der AB Frankfurt der unerlaubte Aufenthalt angegeben. Hieran schließen die strafrechtlichen Verfehlungen
an, die den Angaben der Polizeilichen Kriminalstatistik entsprechen. Eigentums-
531 Statistisches Jahrbuch Frankfurt am Main (2006), S. 10 ff.
532 Angaben der Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt. Die Statistik beinhaltet auch türkische
Staatsangehörige mit illegalem Aufenthalt bzw. Duldungsstatus.
533 Ebd; eigene Berechnungen.
AB Stadt Frankfurt: Ausweisungen von Türken (2000-2006)
2.319
2.111
1.945 1.950
1.297
746
609
49 61 104
158 100 58 35
0
500
1.000
1.500
2.000
2.500
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Ausweisungen insgesamt davon Türken
234
delikte und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz stellen die beiden größten Tatgruppen dar. Auch wenn in dieser Statistik türkische Staatsangehörige mit
illegalem Aufenthalt oder Duldungsstatus aufgeführt werden, so kann auch hier
die deutliche Abnahme der Ausweisungsverfügungen seit dem Jahr 2005 den europarechtlichen Schutzbestimmungen zugeschrieben werden.
4.2.4.4 Ausweisungsstatistik der Stadt Duisburg (Zentrale)
In Duisburg leben 498.466 Menschen. Der Ausländeranteil beträgt mit 75.373
Personen etwa 15,1 Prozent. Hiervon sind 41.859 Personen türkische, 3.508 italienische und 1.943 griechische Staatsangehörige.534
Abbildung 36:535
Die Ausweisungsverfügungen der Ausländerbehörde der Stadt Duisburg (Zentrale) haben sich insgesamt innerhalb des beobachteten Zeitraums verringert.
Während im Jahr 2000 gegenüber 218 Ausländern die Ausweisung verfügt
wurde, waren es im Jahr 2006 noch 75.
534 Angaben des Presse- und Kommunikationsamts der Stadt Duisburg. Stand: 31.12.2006.
535 Angaben der Ausländerbehörde der Stadt Duisburg.
AB Stadt Duisburg (Zentrale): Ausweisungen von Türken,
Griechen und Italienern (2000-2006)
218
174
213
199
88
35
75
141112
k.A.k.A.k.A .k.A. 000k.A .k.A .k.A .k.A . 000k.A.k.A.k.A .k.A .
0
50
100
150
200
250
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Ausweisungen insgesamt Türken Griechen Italienern
235
Auch wenn der beobachtbare Zeitraum nur die Angaben für die drei Gruppen ab
dem Jahr 2004 enthält, so zeigt sich doch, dass auch hier keine Ausweisungen gegenüber Unionsbürgern erlassen wurde. Auch hier sind also die Auswirkungen
der europarechtlichen Schutzbestimmungen zu erkennen. Bei türkischen Staatsangehörigen ist innerhalb der dokumentierten Zeit keine signifikante Veränderung hinsichtlich der Anzahl festzustellen.
4.2.4.5 Ausweisungsstatistik der Stadt Berlin
In Berlin leben 3.340.897 Menschen. Der Ausländeranteil beträgt mit 463.723
Personen etwa 13,9 Prozent. Hiervon sind 116.665 Personen türkische, 14.026
italienische und ca.10.102 griechische Staatsangehörige.536
Abbildung 37:537
Die Ausländerbehörde der Stadt Berlin ist zuständig für alle drei Ausweisungsformen. Im beobachteten Zeitraum ergingen insgesamt 1.823 Ausweisungsverfügungen an Ausländer, die im Zuständigkeitsbereich der Berliner Ausländerbehörde wohnhaft bzw. gemeldet waren. Gegenüber türkischen Staatsangehörigen wurden 273 Ausweisungen verfügt. Diese machten damit etwa 15% aller Ausweisungen innerhalb des beobachteten Zeitraums aus. Betrachtet man die Verfügungen gemäß dem alten Ausländergesetz, so zeigt sich, dass innerhalb des Zeitraums vom 1.1.2004 bis 31.12.2004 (bis Inkrafttreten des AufenthG) bei der Auflistung nach dem AuslG 190 türkische Staatsangehörige ausgewiesen worden
536 Angaben des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg. Stand: 30.6.2006.
537 Angaben der Ausländerbehörde der Stadt Berlin.
AB Stadt Berlin: Ausweisungen von Türken, Griechen und Italienern
(2004-2006)
Jahr Insgesamt
davon gegen
türkische
Staatsangehörige
griechische
Staatsangehörige
italienische
Staatsangehörige
1.1.2004 - 31.12.2006 1.823
davon Ausweisungen nach
§§45/46 AuslG 878 115 0 0
§47 AuslG 327 75 0 2
§53 AufenthG 94 14 0 0
§54 AufenthG 107 10 0 0
§55 AufenthG 337 44 0 0
ohne Angaben 80 15 0 0
236
sind. Von diesen wurden 115 Personen mittels einer Ermessensausweisung ausgewiesen. Bei 75 türkischen Staatsangehörigen wurde eine Zwingende- bzw. Regelausweisung verfügt.
Seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes wurden innerhalb von zwei
Jahren 68 türkische Staatsangehörige anhand der drei Ausweisungsformen
(§§ 53-55 AufenthG) ausgewiesen. Hierbei wurden etwa zwei Drittel der Betroffenen anhand einer Ermessensausweisung ausgewiesen. Etwa ein Drittel der Fälle
konzentrierte sich auf die beiden restlichen Ausweisungsformen.538 Bei 15 türkischen Staatsangehörigen wurden keine Angaben zur Ausweisungsform gemacht. Diese verteilen sich im Übrigen auf den gesamten Zeitraum.
Lässt man letztgenannte Fälle aufgrund der geringen Fallzahl außer Betracht, ergibt sich folgende Verteilung: Während im Jahr 2004 gegen 190 türkische Staatsangehörige eine Ausweisungsverfügung erging, nahm die Anzahl dieser hernach
ab. Innerhalb des Zeitraums 2005 bis 2006 ergingen 68 Ausweisungsverfügungen
gegenüber türkische Staatsangehörige. Auch wenn der Aufenthaltsstatus der Betroffenen nicht ermittelt werden kann, so lässt sich doch an der deutlichen Abnahme der Fallzahlen erkennen, dass der europarechtliche Ausweisungsschutz
türkische Staatsangehörige mit ARB-Status schützt.
Auffallend ist, dass innerhalb des beobachteten Zeitraums keine Ausweisungen
gegenüber griechischen und lediglich zwei Ausweisungen (Zwingende-/Regelausweisung) gegenüber italienischen Staatsangehörigen verfügt wurden. Auch
hier lässt sich der europarechtliche Ausweisungsschutz erkennen.
4.3 Die Befragung von Betroffenen anhand eines standardisierten
Fragebogens
Nach diesen mehr globalen Betrachtungen sollen nun Einzelschicksale ins Auge
gefasst werden. Zu diesem Zweck wurde mittels eines Fragebogens (abgedruckt
im Anhang dieser Arbeit) versucht, detaillierte Auskünfte von Betroffenen zu erlangen.
Im ersten Abschnitt wird auf die Konstruktion des Fragebogens und den damit
verbundenen Messbereich eingegangen. Es wird aufgezeigt, welche forschungsrelevanten Lebensbereiche der Betroffenen gemessen und mit welchen Fragen
diese erzielt wurden. Im Anschluss hieran wird auf die Problematik der Ermittlung von Ausgewiesenen und Abgeschobenen eingegangen und wie diese mitunter gelöst worden ist. Sodann werden die zehn Interviews wiedergegeben, die im
538 Ebd; eigene Berechnungen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für straffällige Ausländer, die in Deutschland geboren oder im Kindesalter eingereist sind, stellt sich eine Ausweisung regelmäßig als „Doppelbestrafung“ dar. Auch die Verwurzelung im Bundesgebiet schützt nach nationalen Maßstäben hiervor nur begrenzt. Betrachtet man das sozioökonomische Profil der Ausgewiesenen, so zeigt sich, dass diese fast ausnahmslos der sog. Unterschicht angehören. Bildungsarmut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie der damit einhergehende unsichere Aufenthaltsstatus bestimmen ihr Leben. Im Gegensatz zum bisherigen nationalen Ausländerrecht stellt der Europäische Ausweisungsschutz nun insbesondere für Unionsbürger und assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige stärker auf faktische Bindungen in der „Heimat“ ab. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist nachweisbar, dass er hierdurch ausgesprochen effektiv wirkt und die Ausweisungszahlen in der Ausländerpraxis deutlich reduziert hat.