219
von 14.145 auf 10.486 Personen sank und somit eine Abnahme von ca. 26% festzustellen ist.499 Der Grund für den Rückgang stellt auch insoweit mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit der europarechtliche Ausweisungsschutz dar, der
insbesondere durch die Rechtsprechungen des EuGH in den Fällen Orfanopoulos
& Oliveri sowie Çetinkaya assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen erwuchs.
Mit der Bereinigung des AZR wurden die Daten über die ausreisepflichtigen Unionsbürger und türkischen Staatsangehörige neu ermittelt. In beiden Gruppen ergaben sich Zahlen, die erheblich unter den Vorjahresangaben lagen.
Signifikant ist, dass bei beiden Gruppen für den weiteren Verlauf deutliche Abnahmen zu verzeichnen sind. Dies insbesondere bei assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen, die durch den erweiterten europarechtlichen Ausweisungsschutz begünstigt werden. Das zeigt zudem, inwiefern ARB-Türken von
Ausweisungs- und Abschiebungsmaßnahmen betroffen sind. Feste Beschäftigungsverhältnisse führen zu einer Assoziationsbegünstigung, die eine Ausweisung zusätzlich erschweren. Nicht zuletzt kann vor dem Hintergrund der Rechtssprechung des EuGH davon ausgegangen werden, dass sich die Ausweisungsund Abschiebungszahlen bei assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen in Zukunft weiter verringern werden.
4.2.2 Innenministerium Baden Württemberg: Ausweisungs- und
Abschiebungsstatistiken
Die Ausweisungs- und Abschiebungsstatistik des Innenministeriums (IM) von
Baden-Württemberg setzt sich aus den Statistiken der vier Regierungspräsidien
in Baden-Württemberg zusammen. Die Statistik des Innenministeriums unterscheidet im Bereich der Abschiebungen zusätzlich nach den Kategorien »Asyl«
und »Sonstige«. Bei der Anzahl der Personen in der Kategorie »Abschiebungen-
Asyl« handelt es sich um Personen mit nicht anerkanntem Asylbegehren. In der
Kategorie »Abschiebungen-Sonstige« sind Ausländer mit den unterschiedlichsten Aufenthaltstiteln vorhanden, die sich der Ausreisepflicht widersetzt haben
bzw. ihr nicht nachgekommen sind. Neben Ausländern mit langen Aufenthaltszeiten, die aus der Strafhaft abgeschoben wurden oder sich der Ausreisepflicht
widersetzt haben und aufgegriffen wurden, stellen hier auch Flüchtlinge eine
große Gruppe dar. So werden etwa Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien
aufgelistet, die abgeschoben worden sind. Diese erhielten nach der Einreise einen
Duldungsstatus und beantragten deshalb kein Asyl. Ähnliches galt für Kosovaren. Das »gentleman agreement« sah vor, diesen ein Aufnahmekontingent bereitzustellen. Im Gegenzug sollte von Asylanträgen abgesehen werden.
499 Ebd; eigene Berechnungen.
220
Die Kategorie »Ausweisungen« unterscheidet ebenfalls nicht nach dem unterschiedlichen Aufenthaltsstatus. Hier sind alle Personenkreise erfasst, gegen die
eine Ausweisungsverfügung erging. Das heißt, hier wurden sowohl Ausländer
mit langen Aufenthaltszeiten als auch nicht anerkannte Asylfälle und Bürgerkriegsflüchtlinge registriert.500
In Baden-Württemberg leben ca. 10,7 Millionen Menschen. Der Ausländeranteil
beträgt mit 1.177.560 Personen ca. 11 Prozent. Davon sind 295.580 Personen türkische, 165.992 italienische und 72.702 griechische Staatsangehörige.501
Abbildung 26:502
Grundsätzlich lässt sich ein Rückgang der Anzahl aller Ausweisungsverfügungen
in Baden-Württemberg feststellen. Während im Jahr 2002 noch gegen 3.551 Ausländer die Ausweisung verfügt wurde, gab es im Jahr 2006 nur noch 2.225 Ausweisungen. Insoweit sank die Anzahl zwischen 2003 und 2004 am stärksten von
3.433 auf 2.614.503
500 Angaben des Innenministeriums Baden-Württemberg.
501 Ebd. Stand: 31.12.2006.
502 Angaben des Innenministeriums Baden-Württemberg.
503 Ebd.
IM Baden-Württemberg: Ausweisungen von Türken, Griechen
und Italienern (2002-2006)
366
342
281
202 192
18 6 12 1 9
73
50 35 19 27
0
50
100
150
200
250
300
350
400
2002 2003 2004 2005 2006
Türken Griechen Italiener
221
Die Anzahl der Verfügungen gegenüber türkischen Staatsangehörigen sank innerhalb des beobachteten Zeitraums um nahezu die Hälfte. Einen nicht vernachlässigbaren Teil der Fälle innerhalb dieser Gruppe machen nach wie vor Personen
mit abgelehnten Asylfällen aus.504 Gleichzeitig stellen auch türkische Staatsangehörige mit langen Aufenthaltszeiten eine große Gruppe innerhalb dieser Betroffenen dar. Auch wenn das Verhältnis zwischen Türken mit langen Aufenthaltszeiten und abgelehnten Asylfällen innerhalb dieser Angabe numerisch nicht zu
ermitteln ist, so lässt sich doch aufgrund der Ausweisungspraxis und dem damit
verbundenen Erfahrungswert des Innenministeriums feststellen, dass der europarechtliche Ausweisungsschutz für ARB-Türken für die rückläufigen Zahlen entscheidend ist.505
Sowohl bei den Angaben zu griechischen als auch zu italienischen Staatsangehörigen lässt sich innerhalb des beobachteten Zeitraums generell eine Abnahme erkennen. Insbesondere bei der Anzahl der Ausweisungsverfügungen gegenüber
italienischen Staatsangehörigen innerhalb des Zeitraums 2002 bis 2005 wird dies
deutlich. Die Anzahl der Ausweisungsverfügungen gegen Italiener nahm innerhalb dieses Zeitraums von 73 auf 19 Fälle ab. Gleiche Tendenzen sind bei den
Griechen zu beobachten, auch wenn die geringe Fallzahl bei jeglicher Veränderung zum Vorjahr einen beachtbaren Veränderungseffekt verursacht.
Auch hier setzt sich die Tendenz fort, dass die europarechtlichen Schutzbestimmungen und ihre Ausweitung die Anzahl der Ausweisungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern verringert hat.506
504 Ebd. Größtenteils handelt es sich hierbei um Kurden.
505 Ebd.
506 Angaben des Innenministeriums Baden-Württemberg.
222
Abbildung 27:507
Grundsätzlich lässt sich ein Rückgang der Anzahl aller Abschiebungen in der Kategorie »Abschiebungen-Sonstige« feststellen. Während im Jahr 2002 noch 1.598
Ausländer (ohne Asyl) abgeschoben wurden, so sank dieser Wert im Jahr 2006
auf 984.508
Bei den Abschiebemaßnahmen gegen türkische Staatsangehörige lässt sich
innerhalb des beobachteten Zeitraums ein Rückgang um mehr als die Hälfte beobachten. Bei den türkischen Staatsangehörigen handelt es sich in der Regel um Personen mit langen Aufenthaltszeiten, die aus der Strafhaft heraus abgeschoben
wurden. Innerhalb des beobachteten Zeitraums halbiert sich die Anzahl der
Abschiebemaßnahmen gegen diesen Personenkreis. Wurden im Jahr 2002 noch
251 türkische Staatsangehörige abgeschoben, so sank dieser Wert im Jahr 2006
auf 122. Signifikant ist die Abnahme zwischen den Jahren 2004 und 2005 von 196
auf 129 Personen. Diese verdeutlicht mithin den hier entstandenen europarechtlichen Ausweisungsschutz von assoziationsbegünstigten türkischen Staatsangehörigen.509
507 Ebd.
508 Ebd.
509 Angaben des Innenministeriums Baden-Württemberg.
IM Baden-Württemberg: Abschiebungen von Türken, Griechen
und Italienern (2002-2006)
251
223
196
129 122
16 16 12 9 6
96
79
42
29 20
0
50
100
150
200
250
300
2002 2003 2004 2005 2006
Türken Griechen Italiener
223
Auch die Anzahl von griechischen und italienischen Staatsangehörigen, die
abgeschoben worden sind, hat sich in den letzten Jahren verringert. Insbesondere
im Fall der Italiener zeigt sich deutlich die abnehmende Tendenz. Während im
Jahr 2002 noch 96 italienische Staatsangehörige abgeschoben wurden, gab es im
Jahr 2006 nur noch 20 solcher Fälle. Ähnliches gilt auch für griechische Staatsangehörige, auch wenn hier aufgrund der geringen Fallzahl die Abnahme nicht so
ins Gewicht fällt.
4.2.3 Regierungspräsidium Stuttgart: Ausweisungs- und
Abschiebungsstatistiken
Wie aufgeführt sind in Baden-Württemberg die Regierungspräsidien die höheren
Ausländerbehörden. Während die unteren Verwaltungsbehörden als untere Ausländerbehörden die Ermessensausweisung verfügen – mit Ausnahme der Tatbestände gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG – erlassen die Regierungspräsidien die
Regel- und Zwingenden Ausweisungen. Dies beinhaltet insbesondere auch die
Ausweisung von straffälligen Ausländern, die sich auf richterliche Anordnung in
Strafhaft oder länger als eine Woche in Untersuchungshaft befinden bzw. befunden haben.510
Bei den Angaben des Regierungspräsidiums Stuttgart handelt es sich ausschließlich um Ausländer mit einem regulären Aufenthaltsstatus, d.h., es werden
hier weder Ausländer mit vorherigem Asyl (Duldungsstatus) noch solche mit illegalem Aufenthalt registriert.
510 Vgl. hierzu § 10 Abs. 1 und 2 AAZuVO.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für straffällige Ausländer, die in Deutschland geboren oder im Kindesalter eingereist sind, stellt sich eine Ausweisung regelmäßig als „Doppelbestrafung“ dar. Auch die Verwurzelung im Bundesgebiet schützt nach nationalen Maßstäben hiervor nur begrenzt. Betrachtet man das sozioökonomische Profil der Ausgewiesenen, so zeigt sich, dass diese fast ausnahmslos der sog. Unterschicht angehören. Bildungsarmut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie der damit einhergehende unsichere Aufenthaltsstatus bestimmen ihr Leben. Im Gegensatz zum bisherigen nationalen Ausländerrecht stellt der Europäische Ausweisungsschutz nun insbesondere für Unionsbürger und assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige stärker auf faktische Bindungen in der „Heimat“ ab. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist nachweisbar, dass er hierdurch ausgesprochen effektiv wirkt und die Ausweisungszahlen in der Ausländerpraxis deutlich reduziert hat.