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Erschwerend kommt hinzu, dass ausländische Eltern oftmals die Sucht ihrer Kinder nicht frühzeitig erkennen, um somit adäquat auf sie reagieren zu können. Hier
ist eine nicht ausreichende Sensibilisierung zu beobachten. Eine fortgeschrittene
Sucht und ihr Bekanntwerden innerhalb der Familie werden »privat« gehalten.
Das Aufsuchen professioneller Hilfe setzt regelmäßig viel zu spät ein.180
2.8 Zusammenfassung
Sowohl bei der Gruppe der Unionsbürger als auch der türkischen Staatsangehörigen konnten nahezu gleichlange Aufenthaltszeiten verzeichnet werden. Bezüglich des Aufenthaltsstatus waren jedoch erhebliche Unterschiede aufzufinden.
Während Unionsbürger aufgrund des Freizügigkeitsrechtes meist über unbefristete Aufenthaltsrechte verfügen, sind die Aufenthaltsrechte von einem Großteil
der türkischen Staatsangehörigen nicht eindeutig geklärt bzw. jedenfalls nicht
verfestigt. Dies trifft überraschenderweise insbesondere bei der zweiten und dritten Generation der türkischen Staatsangehörigen in Deutschland zu.
Der Integrationsprozess dieser zweiten und dritten Ausländergeneration ist allgemein durch erhebliche Mängel im Bereich Schulabschluss und Ausbildungsprofil
gekennzeichnet. Es zeigt sich eine Stagnation der schulischen Bildung im Vergleich zu den deutschen Altersgenossen. Der Zugang zu weiterführenden Berufen
mit Fach- und Hochschulreife gelingt lediglich einem geringen Anteil der ausländischen Jugendlichen. Ferner ist zu beobachten, dass eine Bildungsdivergenz
zwischen Jugendlichen aus Unionsstaaten und denjenigen aus der Türkei vorhanden ist. Türkische Schüler weisen ein geringeres Bildungsprofil auf. Die für beide
Gruppen zu beobachtende geringere Abschlussart im Vergleich zu deutschen Jugendlichen führt dazu, dass das Berufsspektrum eingeengt ist und demzufolge die
Berufschancen geringer sind. Während deutsche Jugendliche qualitativ höhere
Bildungsprofile und Ausbildungen anstreben, ist der Anteil dieser bei ausländischen Jugendlichen sehr gering. Erschreckend ist der hohe Anteil von ausländischen Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss.
Die hohe Arbeitslosigkeit unter Ausländern dürfte hier ihre Wurzeln haben. Dass
Ausländer statistisch doppelt so oft von Arbeitslosigkeit betroffen sind – insbesondere junge Ausländer der zweiten und dritten Generation – resultiert primär
aus der schlechten Bildungsqualifikation.
Schwache Schulbildung, schlechte Ausbildungen und hohe Arbeitslosigkeit führen unweigerlich zu beschränkten Teilhabemöglichkeiten innerhalb des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland und zu Integrationshindernissen. Die Folge
180 Türkische Eltern schicken ihre suchtkranken Kinder für die Behandlung häufig in die Türkei, was jedoch nur eine kurzfristige körperliche Entgiftung verursacht. Vgl. hierzu ebd.
S. 93.
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hiervon ist ein erhöhtes Armutsrisiko. Auch insoweit ist auffallend, dass vor
allem die zweite und dritte Ausländergeneration betroffen ist. Das Begehen von
Straftaten darf regelmäßig als Indiz für gescheiterte Integrationsprozesse gelten.
Während Unionsbürger aus den ehemaligen Anwerbestaaten als relativ unauffällig eingestuft werden können, ist der Anteil der türkischen Tatverdächtigen unter
allen ausländischen Tatverdächtigen hoch. Innerhalb dieser Gruppe fällt wiederum vor allem der Anteil der Angehörigen der zweiten und dritten Generation
auf. Diese Personen weisen erhöhte Anteilsraten in den Straftatsbereichen
»Rauschgift- und Diebstahldelikte« auf.
Inwiefern deviantes Verhalten auf kulturelle Konflikte – insbesondere bei türkischen Jugendlichen – zurückzuführen ist, bleibt ungeklärt. Sowohl die Beschaffungskriminalität als auch der Drogenhandel lassen jedoch die Vermutung zu,
dass in erhöhtem Maße hier auch defizitäre finanzielle Missstände vorhanden
sind. Ferner weist der Drogenkonsum auf schwerwiegende Folgewirkungen hin,
die bedingt sind durch eine problematische (bikulturelle) Sozialisation aufgrund
fehlender orientierungsstiftender Erziehungsrahmen.
Im Folgenden sei auf die schwerwiegende rechtliche Konsequenz eingegangen,
die diese Kriminalitätsproblematik nach sich zieht: Die Ausweisung.
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References
Zusammenfassung
Für straffällige Ausländer, die in Deutschland geboren oder im Kindesalter eingereist sind, stellt sich eine Ausweisung regelmäßig als „Doppelbestrafung“ dar. Auch die Verwurzelung im Bundesgebiet schützt nach nationalen Maßstäben hiervor nur begrenzt. Betrachtet man das sozioökonomische Profil der Ausgewiesenen, so zeigt sich, dass diese fast ausnahmslos der sog. Unterschicht angehören. Bildungsarmut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie der damit einhergehende unsichere Aufenthaltsstatus bestimmen ihr Leben. Im Gegensatz zum bisherigen nationalen Ausländerrecht stellt der Europäische Ausweisungsschutz nun insbesondere für Unionsbürger und assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige stärker auf faktische Bindungen in der „Heimat“ ab. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist nachweisbar, dass er hierdurch ausgesprochen effektiv wirkt und die Ausweisungszahlen in der Ausländerpraxis deutlich reduziert hat.