64
halb der letzten Jahre gestiegen. Während im Jahr 1998 etwa 19,6% der Ausländer von Armut bedroht waren, so waren es im Jahr 2003 schon 24%. Dieser Wert
liegt weiterhin deutlich über der Armutsrisikoquote der Gesamtbevölkerung, die
im Jahr 2003 bei 15,4% lag. Bei näherer Betrachtung lässt sich feststellen, dass
innerhalb der ausländischen Bevölkerung wiederum Unterscheidungsmerkmale
bezüglich der Armutsgefährdung auszumachen sind. So bewegen sich Ausländer
aus westlichen Herkunftsländern in der Regel in höheren Einkommensschichten
als Ausländer aus sonstigen Staaten. Innerhalb der Gruppe der Nichtunionsbürger
sind primär Ausländer mit türkischer Herkunft und aus dem ehemaligen Jugoslawien von Armut betroffen. Diese haben in Relation zu den anderen Bezugsgruppen zudem die längste Verweildauer in Armut.
Die Aufenthaltszeit in Deutschland ist ein wichtiger Faktor, welche in Korrelation zur Armutsgefährdung steht. Demgemäß sind Ausländer, die länger in
Deutschland ansässig sind, häufiger in höheren Einkommensschichten anzutreffen als diejenigen mit kürzeren Aufenthaltszeiten. Des Weiteren sind binationale
Haushalte in geringerem Ausmaß von Armut betroffen als reine Ausländerhaushalte. Generell lässt sich feststellen, dass jüngere, ältere und weibliche Personen
vom Anstieg des Armutsrisikos überdurchschnittlich betroffen sind.
Bedenklich ist im Übrigen auch die Situation der Personen, die zur »zweiten Generation« gezählt werden. Etwa 34% dieses Personenkreises lebte im Jahr 2003
unter der Armutsrisikogrenze.92
Vorrangig sind die Gründe für ein erhöhtes Armutsrisiko in der Arbeitslosigkeit und den fehlenden Bildungsabschlüssen zu sehen. Bei einer Gesamtbetrachtung lässt sich feststellen, dass 40% der Arbeitslosen und ein Viertel der Personen
ohne abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung armutsgefährdet sind. Unter
den Erwerbstätigen (Vollzeit) liegt der Wert dagegen nur bei 4%.93
2.5.2 Ausländerkriminalität
2.5.2.1 Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik
Die Kriminalität der Ausländer wird mit Hilfe der Polizeilichen Kriminalstatistik
(PKS) von 2005 dargestellt. Danach besaßen 22,5% (2001:24,9%) der von der
Polizei ermittelten Tatverdächtigen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit94, obwohl der Ausländeranteil in Deutschland nur ca. 8,2% beträgt.
92 Vgl. Lebenslagen in Deutschland (2005), Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 166 ff.
93 Vgl. Statistisches Bundesamt (2006), Armut- und Lebensbedingungen – Ergebnisse aus
Leben in Europa für Deutschland 2005, Wiesbaden, S. 22 ff.
94 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 109.
65
Eine quantitative Bewertung oder ein Vergleich zwischen deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen ist jedoch anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik
aus verschiedenen Gründen nicht möglich.
So lässt die unterschiedliche strukturelle Zusammensetzung (Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur) von Deutschen und Ausländern, einen Vergleich
nicht zu. Gemessen an Alters- und Geschlechtsmerkmalen zeigt sich, dass die
ausländische Bevölkerung in Deutschland jünger und häufiger männlich ist. Sozialstrukturelle Unterschiede bestehen weiter, weil Ausländer häufiger in Großstädten leben, den unteren Einkommens- und Bildungsschichten angehören und
häufiger arbeitslos sind.95 Schließlich ist der Anteil der ausländerspezifischen
Delikte zu berücksichtigen. So wurden im Jahr 2005 gegen 16,9% aller ausländischen Tatverdächtigen wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz, Asylverfahrensgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU ermittelt. Hierbei handelt es sich um
Vergehen, die von Deutschen in aller Regel nicht begangen werden können. Wird
die Gesamtzahl der Straftatengruppen, die von Ausländern begangen wurden, um
diejenigen der ausländerspezifischen Delikte bereinigt, so beträgt die Gesamtzahl
der ausländischen Tatverdächtigen für das Jahr 2005 etwa 20%.96 Eine weitere
Problematik der Kriminalstatistik ist, dass illegal eingereiste Personen, Angehörige alliierter Streitkräfte sowie Touristen und Durchreisende darin registriert
werden, jedoch naturgemäß in der Bevölkerungsstatistik nicht erfasst werden.
Dies führt zu einer gewissen Verzerrung der Kriminalstatistik bzw. vergleichsweise zu einem höheren Anteil ausländischer Tatverdächtiger.97
Die oben aufgeführten Interpretationsprobleme der PKS lassen berechtigte Zweifel zu, ob und inwiefern diese hier verwertet werden kann. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es jedoch keine alternative Datenquelle, die herangezogen werden
könnte. Anhand der PKS können zumindest kriminalitätsrelevante Phänomene
und Tendenzen aufgezeigt werden.
2.5.2.2 Anteil aller ausländischen Tatverdächtigen an der jeweiligen
Gesamtzahl der Tatverdächtigen bei den Straftaten(gruppen)
Generell lässt sich feststellen, dass seit 1993 die Anzahl der tatverdächtigen Ausländer rückläufig ist.
95 Vgl. ebenda.
96 Vgl. ebenda.
97 Vgl. ebenda. Ebenso Pfeiffer, Christian (1995), Kriminalität junger Menschen im vereinigten Deutschland – Eine Analyse auf Basis der Polizeilichen Kriminalstatistik 1984-
1994, KFN Forschungsberichte Nr. 47, Hannover, S. 59.
66
Abbildung 11:98
Während im Jahr 1993 der Ausländeranteil an den begangenen Straftaten mit
33,6% beziffert wurde, sank dieser 2005 auf einen Wert von 22,5%. Werden beide
Angaben bereinigt – Abzug der Straftaten gegen das Aufenthaltsgesetz, Asylverfahrensgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU – so wurden 1993 26,7% und 2005
20% der Straftaten von Ausländern begangen. Der Anteil der Ausländer an den
einzelnen Straftaten(gruppen) lässt auf einige Zusammenhänge schließen.
98 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 109.
Entwicklung der ausländischen Tatverdächtigen seit 1993
Straftaten insgesamt Straftaten insgesamt ohne
Straftaten gegen AufenthaltsG, AsylverfahrensG und
FreizügigkeitsG/EU
Jahr Tatverdächtige Nichtdeutsche Tatverdächtige Nichtdeutsche
insgesamt insgesamt
100% absolut in % 100% absolut in %
1993 2.051.775 689.920 33,6 1.849.520 492.919 26,7
1994 2.037.729 612.988 30,1 1.848.087 430.075 23,3
1995 2.118.104 603.496 28,5 1.929.344 422.846 21,9
1996 2.213.293 625.585 28,3 2.019.186 440.904 21,8
1997 2.273.560 633.480 27,9 2.081.304 452.503 21,7
1998 2.319.895 628.477 27,1 2.122.307 441.694 20,8
1999 2.263.140 601.221 26,6 2.073.194 422.871 20,4
2000 2.286.372 589.109 25,8 2.106.900 421.517 20,0
2001 2.280.611 568.384 24,9 2.107.284 405.929 19,3
2002 2.326.149 566.918 24,4 2.163.629 415.526 19,2
2003 2.355.161 553.750 23,5 2.212.424 421.372 19,0
2004 2.384.268 546.985 22,9 2.267.920 438.775 19,3
2005 2.313.136 519.573 22,5 2.238.550 448.544 20,0
67
Abbildung 12:99
Im Jahr 2005 besaßen 22,5% der von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen
nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.100
Der hohe Anteil bei der Urkundenfälschung dürfte vor allem auf illegale Einreiseaktivitäten und Manipulationen an Aufenthaltstiteln zurückzuführen sein. Die
hohen Anteile bei gravierenden Gewaltdelikten wie Raub, Mord und Totschlag
sowie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung korrelieren mit den aufgezeigten
Unterschieden in der Alters- und Sozialstruktur sowie in den Lebens- und Wohnverhältnissen zwischen Deutschen und Ausländern. Dagegen liegt der Anteil der
ausländischen Tatverdächtigen bei Wettbewerbs-, Korruptions- und Amtsdelikten (7,2%), Brandstiftung/Herbeiführen einer Brandgefahr (9,7%), Verletzung
der Unterhaltspflicht (12,2%), oder bei Sachbeschädigung (11,6%) weit unter
dem Durchschnitt.101
99 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 113.
100 Ebd.
101 Ebenda, S. 114.
Tatverdächtigenanteil Nichtdeutscher im Bundesgebiet insgesamt
(2005)
69,9%
70,0%
73,0%
79,0%
76,7%
80,1%
55,8%
72,9%
30,1%
30,0%
27,0%
21,0%
23,3%
19,9%
44,2%
27,1%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90%
Vergew altigung und sexuelle Nötigung
Raubdelikte
Mord und Totschlag
Einfacher Diebstahl
Schw erer Diebstahl
Betrug
Urkundenfälschung
Illegaler Handel mit und Schmuggel von Rauschgif ten
Deutsche Ausländer
68
2.5.2.3 Aufenthaltsstatus der ausländischen Tatverdächtigen
Abbildung 13:102
Die Sondergruppe der »Sonstigen« stellt mit 39,5% die größte Gruppe unter den
Tatverdächtigen dar. Diese heterogene Gruppe, zu der Erwerbslose, nicht anerkannte Asylbewerber mit Duldung, Bürgerkriegsflüchtlinge und Besucher gezählt werden, lässt aufgrund ihrer Zusammensetzung eine eindeutige Interpretation nicht zu. Weiterhin ist die Gruppe der »Erwerbslosen« innerhalb dieses Tatverdächtigenkreises nicht eindeutig zu interpretieren. Eine Konkretisierung, ob
es sich hierbei um Ausländer mit langen Aufenthaltszeiten handelt, ist nicht möglich. Betrug (22,9%), Diebstahl ohne erschwerende Umstände (22,2%), Körperverletzung (12,8%) und Rauschgiftdelikte (10,3%) sind die am meisten begangenen Straftaten innerhalb dieser Gruppe.103
Etwa 12,5% der ausländischen Tatverdächtigen hielt sich im Jahr 2005 illegal
in Deutschland auf. Neun von zehn der Tatverdächtigen in dieser Gruppe haben
gegen das Aufenthaltsgesetz, Asylverfahrensgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU
verstoßen. Gewalt- und Diebstahlsvergehen spielen nahezu keine Rolle.104 Es
102 Ebenda, S. 120.
103 Ebenda, S. 123.
104 Ebd.
Verteilung nichtdeutscher Tatverdächtiger nach dem
Aufenthaltsgrund (2005)
39,5%
0,7%
3,0%
8,2%
17,8%
10,2% 8,1%
12,5%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
So
ns
tig
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Sta
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ga
le
69
zeigt sich, dass es sich bei der Kriminalität der »Illegalen« um ausländerspezifische Sonderdelikte handelt. Hierbei sind der unerlaubte Aufenthalt und der Verstoß gegen die asylverfahrensrechtliche Bestimmung ausschlaggebend.105
In der Gruppe der Arbeitnehmer wurde vor allem wegen (leichter) Körperverletzung (19,7%), Betrugs (18,2%) und (einfachen) Diebstahls (15%) ermittelt. Gegen Asylbewerber wurde wegen (einfachen) Diebstahls (28,7%), Straftaten gegen
das Aufenthaltsgesetz, Asylverfahrensgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU
(22,6%) und Betrug (18,0%) ermittelt. Gegen Touristen/Durchreisende wurde am
häufigsten wegen »einfachen« Diebstahls (35,4%) ermittelt. Auffallend ist, dass
bei den Touristen/Durchreisenden Rauschgiftdelikte mit 16,6% relativ hoch
sind.106
Soweit ersichtlich, machen Personen mit »Migrationshintergrund« bzw. langen
Aufenthaltszeiten nur einen geringen Anteil der Tatverdächtigen aus. Fasst man
die Tatverdächtigengruppen107 »Arbeitnehmer«, »Student/Schüler«, »Gewerbetreibende« zusammen, bei denen es sich um Personen mit langen Aufenthaltszeiten in Deutschland handelt, so erhält man einen Wert von ca. 29,7%.108 Demnach werden weniger als ein Drittel der Straftaten, die von Ausländern begangen
werden, von solchen mit Migrationshintergrund begangen. Wie hoch der Anteil
der Personen mit einem längeren Aufenthalt in Deutschland in der Gruppe der
»Sonstigen« ist, lässt sich nicht feststellen. Fasst man diese Gruppe hinzu, ergibt
sich ein Wert von etwa 69,2%. Dies bedeutet, dass auch in diesem Fall gut zwei
Drittel der ausländischen Straftaten von Ausländern mit langen Aufenthaltszeiten
begangen werden. Dieser Wert ist allerdings insofern »verzerrt«, als hier neben
den Erwerbslosen – die aller Wahrscheinlichkeit über längere Aufenthaltszeiten
verfügen – auch Personen mit kurzen Aufenthaltszeiten (Flüchtlinge, Besucher
u.a.) mitgezählt sind.
Weiterhin kann festgestellt werden, dass in den Gruppen »Touristen/Durchreisende«, »Asylbewerber« und »Sonstige« Diebstahlsdelikte mit ein Drittel aller
Fälle überdurchschnittlich zu verzeichnen ist. Auch Rauschgiftdelikte wurden in
diesen Gruppen relativ häufig erfasst. Die Gruppen »Arbeitnehmer« und »Studenten/Schüler« hingegen weisen eine andere Zusammensetzung auf. In diesen
Gruppen sind die Straftaten weniger konzentriert. Neben Diebstahlsdelikten sind
105 Vgl. dazu Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik
Deutschland, Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 123; ebenso Rebmann, Matthias (1998),
Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland – Eine Analyse der polizeilichen registrierten Kriminalität von 1986 bis 1995, Freiburg i. Br. 1998, S. 122 f.
106 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 123.
107 Die Gruppe der »Stationierungsstreitkräfte und Angehörige« wird hier aufgrund der geringen Anzahl nicht beachtet.
108 In der Gruppe der Schüler/Studenten werden auch solche aufgeführt, die sich zum Auslandsstudium in Deutschland befinden oder die schulpflichtige Kinder von Asylanten sind.
70
auch Körperverletzungsdelikte zu verzeichnen. Rauschgiftdelikte sind im Vergleich zu den erst genannten Gruppen deutlich weniger auszumachen.
2.5.2.4 Tatverdächtige mit türkischer Staatsangehörigkeit
Im Jahr 2005 wurde gegen 110.886 straffällig gewordene türkische Staatsangehörige ermittelt.109 Dies entspricht 21,3% aller ausländischen Tatverdächtigen
(1997:20%). In 9.403 (8,5%) der im Jahr 2005 begangenen Straftaten von Seiten
türkischer Staatsangehöriger wurden wegen des Verstosses gegen das Aufenthaltsgesetz, Asylverfahrensgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU ermittelt.110 Wegen dieses Straftatbestands wurde im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen relativ selten ermittelt. So ergibt sich beim prozentualen Anteil der Türken an den
nichtdeutschen Tatverdächtigen ohne Straftaten gegen das Aufenthaltsgesetz,
Asylverfahrensgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU ein Wert von 22,9%.111 Im
Vergleich hierzu liegt der Durchschnittswert (insgesamt) bei 20%.112
Vergleicht man die Anzahl der türkischen Staatsangehörigen an der gesamten ausländischen Bevölkerung in Deutschland (2005: ca. 26,1%)113 mit dem prozentualen Anteil an den ausländischen Tatverdächtigen, so zeigt sich, dass Türken relativ auffällig sind.
Türkische Staatsangehörige stellten im Jahr 2005 ca. 2,1% der Gesamtbevölkerung und ca. 4,8% aller Tatverdächtigen insgesamt dar.114
109 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 116.
110 Der Anteil an den Straftaten gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz ist im Vergleich zu den 80er Jahren, insbesondere seit 1992, erheblich zurückgegangen. Dies ist auf
das Ausländergesetz von 1991 zurückzuführen, das den hier länger lebenden türkischen
Staatsangehörigen einen weitaus gesicherteren Aufenthaltsstatus zusprach als in den Jahren zuvor. Vgl. auch hierzu Rebmann, Matthias (1998), Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland – Eine Analyse der polizeilichen registrierten Kriminalität von
1986 bis 1995, Freiburg i. Br. 1998, S. 109 f.
111 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 117.
112 Ebenda, S. 109.
113 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006), Migration, Asyl und Integration;
14. Aufl., Nürnberg, S. 82.
114 Vgl. Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 109 ff; eigene Berechnungen.
71
2.5.2.4.1 Tatverdächtige türkische Staatsangehörige nach
Aufenthaltsdauer
Das Fehlen detaillierter bundesweiter Statistiken in Bezug auf Nationalität, Straftat und Aufenthaltszeit erfordert den Rückgriff auf die letzte Statistik dieser Art,
die von den Ländern Bayern und Niedersachsen für das Jahr 2001 erhoben wurde.
Diese wurde in der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Berichtsjahr 2002 aufgeführt. Sie verdeutlichen in diesem Zusammenhang Tendenzen, die Rückschlüsse auf das ganze Bundesgebiet ermöglichen.
Abbildung 14:115
Es zeigt sich, dass ca. drei von zehn türkischen Tatverdächtigen in Deutschland
geboren sind. Über 40% der Diebstahlsdelikte, Rauschgiftdelikte und der Gewaltkriminalität werden innerhalb dieser Gruppe von Türken, die in Deutschland geboren sind, begangen. Besonders hoch ist der Anteil an Rauschgiftdelikten mit
42,8%.
115 Bundeskriminalamt (2002), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2001, Wiesbaden, S. 127. Eine Statistik für das Bundesgebiet in der Rubrik
»Türkische Tatverdächtige nach Aufenthaltsdauer« wird nicht geführt. Für das Jahr 2005
wird diese länderbezogene Rubrik zudem nicht mehr aufgeführt.
Türkische Tatverdächtige nach Aufenthaltsdauer / Bereich Bayern und Niedersachsen
(2001)
Aufenthaltsdauer
Türkische
Tatverdächtige
hier
geboren
mehr
als 20
Jahre
bis zu
20
Jahren
bis zu
10
Jahren
bis zu 4
Jahren
bis zu 1
Jahr
bis zu 3
Monaten
Grenzübertritt bis zu
1 Woche
geprüft
aber nicht
feststellbar
100% in %
Straftaten
insgesamt
25.666 28,6 12,8 15,6 14,8 4,7 2,1 1,9 6,1 13,4
Diebstahl
insgesamt
5.176 40,2 8,6 15,5 17,2 4,8 1,3 0,8 0,2 11,3
Straftaten gg.
Ausländer-/
AsylverfG
4.022 2,8 5,2 5,4 8,9 9,3 8,9 8,9 36,5 14,2
Rauschgiftdelikte
2.279 42,8 7,9 11 7,8 2,9 1,7 0,8 1,5 23,7
Gewaltkriminalität
3.562 41,6 9,9 18,6 15,1 2,9 0,8 0,3 0,2 10,6
72
Signifikant ist hierbei der Unterschied zwischen der ersten Generation (mehr als
20 Jahre) und der hier geborenen Türken. Während die erste Generation der Türken eine relativ »geringe« Anzahl von Straftaten beging, ist der Anteil der hier
geborenen Türken an allen Straftätern sehr hoch. Dies lässt Rückschlüsse auf
mannigfaltige Gesellschaftsprobleme innerhalb der türkischen Gemeinde in
Deutschland zu.116
2.5.2.5 Tatverdächtige Unionsbürger
Im Jahr 2005 wurde gegen 124.747 straffällige Unionsbürger in Deutschland ermittelt.117 Das waren ca. 24% aller nichtdeutschen Tatverdächtigen.
Abbildung 15:118
Während Mitte der 80er Jahre der Anteil der tatverdächtigen Unionsbürger an allen ausländischen Tatverdächtigen bei etwa 25% lag, hat sich dieser Anteil innerhalb der letzten beiden Dekaden halbiert.119 Von den ca. 6,7 Millionen Auslän-
116 So z.B. sozioökonomische Aspekte, wie Bildung, Armut und Arbeitslosigkeit.
117 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 118.
118 Ebd.
119 Ebd.
Anteil der tatverdächtigen Unionsbürger an den
Tatverdächtigen ohne deutsche Staatsbürgerschaft
(1984-2005)
25,0%
14,7%
12,1% 12,1% 12,4% 12,6%
13,2% 13,7%
24,0%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
1984 1990 1995 2000 2001 2002 2003 2004 2005
73
dern, die im Jahr 2004 in Deutschland lebten, waren ca. 1,6 Millionen Unionsbürger. Somit war etwa jeder vierte Ausländer in Deutschland ein Unionsbürger.
Vergleicht man deren Anteil an den Ausländern in Deutschland mit dem prozentualen Anteil an den ausländischen Tatverdächtigen, so lässt sich feststellen, dass
die in Deutschland lebenden Unionsbürger hinsichtlich Kriminalität vergleichsweise unauffällig sind.120
Abbildung 16:121
120 Eine Vergleichbarkeit der Daten ab 2005 ist insofern nicht möglich, da mit der Erweiterung
der EU zum 1.5.2004 ca. 490.00 ehemalige Drittstaatler als EU-Bürger registriert wurden.
121 Bundeskriminalamt (2006), Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland,
Berichtsjahr 2005, Wiesbaden, S. 119.
Tatverdächtige Unionsbürger nach Staatsangehörigkeiten (2005)
2005
Tatverdächtige aus absolut in %
Polen 36.241 29,1
Italien 26.031 20,9
Griechenland 10.251 8,2
Frankreich 8.557 6,9
Österreich 6.309 5,1
Niederlande 5.833 4,7
Litauen 4.646 3,7
Tschechische Republik 4.632 3,7
Portugal 4.399 3,5
GB und Nordirland 3.657 2,9
Spanien 3.627 2,9
Ungarn 2.648 2,1
Slowakei 1.725 1,4
Belgien 1.430 1,1
Lettland 973 0,8
Slowenien 877 0,7
Dänemark 853 0,7
Schweden 667 0,5
Irland 392 0,3
Luxemburg 375 0,3
Estland 367 0,3
Finnland 216 0,2
Malta 21 0,0
Zypern 20 0,0
74
Unter den straffälligen Unionsbürgern stellen die Italiener und Polen die beiden
größten in Deutschland lebenden Volksgruppen dar. Im Jahr 2005 waren etwa
15,2% der hier lebenden Unionsbürger Polen122, stellten jedoch ca. 29,1% aller
tatverdächtigen Unionsbürger dar, gegen die ermittelt wurde.123 Ein umgekehrtes
Verhältnis war bei den Italienern und Griechen zu beobachten. Der Anteil der Italiener an den hier lebenden Unionsbürgern betrug im Jahr 2005 etwa 25,2%124, jedoch stellten sie ca. 20,9% aller tatverdächtigen Unionsbürger dar. Der Anteil der
Griechen an den hier lebenden Unionsbürgern betrug 14,4%125, jedoch stellten sie
nur ca. 8,2% aller tatverdächtigen Unionsbürger dar.
2.6 Kriminalitätstheorien: Erklärungsansätze zur Ausländerkriminalität
Die Kriminalsoziologie ist durch eine Vielzahl von Theorien gekennzeichnet. Die
meisten dieser Theorien beziehen sich auf sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für das Entstehen von Kriminalität. Daneben sind auch Erklärungsmodelle
aus den Bereichen der Medizin und Biologie vorzufinden. Zur Systematisierung
dieser unterschiedlichen Erklärungsansätze lässt sich ein grobes Raster erstellen.
2.6.1 Systematische Einordnung von Kriminalitätstheorien
Hilfreich erscheint ein Koordinatensystem mit zwei Achsen. Die erste Achse
stellt an einem Ende diejenigen Theorien dar, welche die Kriminalität als objektive Gegebenheit ansehen (Ätiologische Ansätze). Dem können diejenigen Theorien entgegengesetzt werden, die Kriminalität als Ergebnis einer Zuschreibung
durch Strafverfolgung betrachten (Labeling-Ansätze).
122 Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006), Migration, Asyl und Integration;
14. Aufl., Nürnberg, S. 82; eigene Berechnungen.
123 Die hohe Anzahl der polnischen Tatverdächtigen ist wahrscheinlich auf Verstöße gegen
das Aufenthaltsgesetz, Asylverfahrensgesetz und Freizügigkeitsgesetz/EU zurückzuführen. Mit dem Beitritt der zehn neuen EU-Staaten hat die Bundesrepublik gegenüber Polen
Übergangsregelungen festgesetzt, die die Einreise und den Aufenthalt polnischer Staatsangehöriger zunächst regelmäßig nur befristet genehmigt.
124 Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006), Migration, Asyl und Integration;
14. Aufl., Nürnberg, S. 82; eigene Berechnungen.
125 Vgl. ebenda; eigene Berechnungen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für straffällige Ausländer, die in Deutschland geboren oder im Kindesalter eingereist sind, stellt sich eine Ausweisung regelmäßig als „Doppelbestrafung“ dar. Auch die Verwurzelung im Bundesgebiet schützt nach nationalen Maßstäben hiervor nur begrenzt. Betrachtet man das sozioökonomische Profil der Ausgewiesenen, so zeigt sich, dass diese fast ausnahmslos der sog. Unterschicht angehören. Bildungsarmut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie der damit einhergehende unsichere Aufenthaltsstatus bestimmen ihr Leben. Im Gegensatz zum bisherigen nationalen Ausländerrecht stellt der Europäische Ausweisungsschutz nun insbesondere für Unionsbürger und assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige stärker auf faktische Bindungen in der „Heimat“ ab. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist nachweisbar, dass er hierdurch ausgesprochen effektiv wirkt und die Ausweisungszahlen in der Ausländerpraxis deutlich reduziert hat.