51
cheren Aufenthaltsstatus verfügt, überrascht und kann angesichts ihrer Aufenthaltsdauer kritisch bewertet werden.
Wie aufgezeigt, werden gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die alten befristeten
Aufenthaltstitel in neue befristete Aufenthaltserlaubnisse umgeschrieben. Die alten unbefristeten Aufenthaltserlaubnisse und Aufenthaltsberechtigungen dagegen werden in Niederlassungserlaubnisse umgeschrieben. Somit dürften heute ca.
31,8% der türkischen Staatsangehörigen im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis und 61,4% im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach dem AufenthG sein.57 Offen bleibt, wie viele türkische Staatsangehörige, die im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis sind, aufgrund ihrer Aufenthaltszeiten und
ihrer tatsächlichen Lebenssituation nunmehr eine Niederlassungserlaubnis bzw.
zukünftig eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG erhalten könnten.
Aufgrund der ermittelten Daten konnte jedenfalls aufgezeigt werden, dass sowohl
Unionsbürger als auch türkische Staatsangehörige über vergleichbare Aufenthaltszeiten in Deutschland verfügen. Hierbei ist bei türkischen Staatsangehörigen
ein Unterschied insoweit festzustellen, als der Anteil von Personen mit einer Aufenthaltszeit von mehr als dreißig Jahren im Vergleich zu Unionsbürgern geringer
ist. Vergleicht man die Aufenthaltszeiten und den Aufenthaltsstatus nach dem alten Ausländergesetz, so lässt sich ein deutlicher Unterschied erkennen. Während
etwa 79 Prozent der hier lebenden Unionsbürger über einen sicheren Aufenthaltsstatus verfügten, lag der Anteil bei türkischen Staatsangehörigen bei etwa 61,4
Prozent. Zudem spricht manches dafür, dass viele der hier lebenden türkischen
Staatsangehörigen der zweiten und dritten Generation heute – anders als Unionsbürger dieser Gruppe – nicht über einen verfestigten bzw. sicheren Aufenthaltsstatus verfügen.
2.4 Integrationsstand
Die ermittelten Aufenthaltszeiten der Unionsbürger und türkischen Staatsangehörigen in Deutschland verdeutlichen, dass es vor allem die zweite und dritte Generation sein dürfte, die eine enge und tief greifende Verbindung zur Bundesrepublik hat. Die erste Generation der Zuwanderer ist primär durch ihre Jugend und
Sozialisierung im Herkunftsland gekennzeichnet. Sowohl die schulische als auch
die berufliche Ausbildung hat meist außerhalb Deutschlands stattgefunden, sofern diese überhaupt vorhanden war. Die erste Gastarbeitergeneration bestand
vorrangig aus ungelernten Arbeitern mit keinerlei Deutschkenntnissen. Dies
stellte für diese Generation zum damaligen Zeitpunkt allerdings kein Problem
dar, da der Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund des Arbeitermangels nicht er-
57 Bundesministerium des Innern (2006), Migrationsbericht des Bundesamts für Migration
und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung, Migrationsbericht 2005, Berlin, S. 104;
eigene Berechnungen.
52
schwert war. Grund der – teilweise bis heute – mangelnden Sprachkenntnisse, war
die ursprüngliche Erwartung von kurzen Aufenthaltszeiten in Deutschland.
Die Ausgangssituation der Kinder und Kindeskinder der ersten Generation ist
eine andere. Angehörige dieser Personengruppe wurden meist hier geboren und
wuchsen mit den deutschen Gegebenheiten auf. Die Sozialisation richtet sich primär an deutschen Normen und Werten aus. Die »Muttersprache« ist überwiegend
Deutsch.58 Der entscheidende Unterschied zur ersten Generation besteht in der
Tatsache, dass die Herkunftsstaaten ihrer Eltern bzw. Großeltern für sie fremd
sind und in ihrer Zukunftsplanung meist kaum Bedeutung haben. Ihre Zukunft
werden sie wohl ganz überwiegend hier – in ihrer eigentlichen Heimat – gestalten
und verbringen.
Ein weiterer Unterschied besteht in den veränderten Rahmenbedingungen, die
den Zugang zur Arbeitswelt definieren. Ein sich ständig ausdifferenzierender Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit und zunehmende Mitbewerber auf dem Arbeitsmarkt
verlangen hohe schulische bzw. berufliche Qualifikationen. Dies bedeutet, dass
eine chancenreiche Zukunftsplanung ohne Benachteiligung und Konflikte59 nur
durch eine solide und zukunftsorientierte Ausbildung gewährleistet bzw. erreicht
werden kann. Demzufolge kann der erreichte Integrationsstand anhand der Frage
erörtert werden, inwieweit eine gleichberechtigte Teilhabe in den Bereichen Bildung und Arbeit zu verzeichnen ist.
2.4.1 Ausländische Schüler an allgemeinbildenden Schulen nach Schularten
Bildung und Ausbildung von ausländischen Schülerinnen und Schülern in der
Bundesrepublik sind ohne Frage von höchster integrationspolitischer Bedeutung.
Die Bildungs- und Berufschancen bestimmen die Integration dieser jungen Menschen in das soziale und gesellschaftliche System der Bundesrepublik. Von daher
kommt ihnen ein besonderer Stellenwert zu, weil der Verlauf bzw. der Erfolg des
Integrationsprozesses zu einem wesentlichen Teil von der beruflichen Eingliederung abhängt.60 Die einfache Annahme, dass die zweite und dritte Generation der
Zuwanderer aufgrund ihrer Geburt und des Heranwachsens in der Bundesrepublik einen reibungslosen Integrationsprozess durchläuft, geht allerdings meist fehl.
Die Hoffnung, dass sich schulische, sprachliche und berufliche Probleme mit
steigender Aufenthaltsdauer quasi von selbst lösen, ist durch die Realität mittler-
58 Es soll nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass bei Angehörigen dieser Generation
oftmals massive Sprachprobleme bestehen. Dennoch ist die Ausdrucksfähigkeit in
Deutsch regelmäßig besser als die in der Sprache ihrer Eltern bzw. Großeltern.
59 Insbesondere Straffälligkeit.
60 Vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung (2006), Bildung in Deutschland – Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, S. 137 ff.
53
weile klar widerlegt worden.61 So konnte zwar bis in die 90er Jahre ein leichter
Trend zu höheren Schulabschlüssen und günstigeren Ausbildungsbeteiligungen
beobachtet werden. Die zweite und dritte Generation der Zuwanderer bleibt im
höheren Bildungs- und Ausbildungssystem jedoch nach wie vor klar unterrepräsentiert. Im Unterschied zu ihren deutschen Altersgenossen haben sie mit weitaus
größeren Zugangsschwierigkeiten in das berufliche Bildungsgefüge und Beschäftigungssystem zu kämpfen.
Abbildung 7:62
Bei einer differenzierten Betrachtung nach Schularten im Sekundarbereich zeigt
sich, dass von einer Angleichung an die Bildungs- und Ausbildungssituation
gleichaltriger deutscher Jugendlicher nicht gesprochen werden kann.63 Im schulischen Bereich besteht vielmehr ein deutlicher Rückstand. Nichtdeutsche Schülerinnen und Schüler sind an den Hauptschulen überrepräsentiert. Während etwa
40% der ausländischen Schüler die Hauptschulen besuchten, lag der entsprechende Anteil bei den deutschen Schülern bei ca. 18%. Dem entsprechend waren
ausländische Schüler an Realschulen und Gymnasien unterrepräsentiert. Nahezu
61 Vgl. ebenda, S. 145 ff.
62 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005), Daten – Fakten
– Trends, Bildung und Ausbildung, Stand 2004, Berlin, S. 7.
63 Sonderschulen können hier nicht wiedergegeben werden, da das Statistische Bundesamt
die Besuchszahlen bei dieser Schulart nicht getrennt nach Primar- und Sekundarbereich
ausweist.
Deutsche und ausländische Schüler an allgemeinbildenden
Schulen nach Schularten (2003/2004)
17,9%
24,3%
33,0%
9,3%
39,9%
17,9%
18,2%
13,2%
0% 10% 20% 30% 40% 50%
Hauptschulen
Realschulen
Gymnasien
Integrierte
Gesamtschulen
Deutsche Ausländer
54
17,9% der ausländischen Schüler besuchten die Realschule und ca.18,2% das
Gymnasium. Im Vergleich hierzu besuchten 24,3% der deutschen Schüler die Realschule und ein Drittel das Gymnasium.64
Seit den 1990er Jahren hat der Anteil der ausländischen Schüler an Realschulen
und Integrierten Gesamtschulen zugenommen und ihr Anteil an Hauptschulen abgenommen. Jedoch ist ihr Anteil an Gymnasien innerhalb dieses Zeitraums konstant niedrig geblieben.65
Hieraus kann geschlossen werden, dass der Zugang zu Berufen mit höherem
Bildungsprofil und weiterführenden Fach- und Hochschulen von nur wenigen
ausländischen Jugendlichen geschafft werden kann.
2.4.1.1 Ausländische Schüler nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten
Die oben aufgezeichnete Bildungsdivergenz setzt sich innerhalb der heterogenen
Gruppe der nichtdeutschen Jugendlichen fort. Hierbei lassen sich anhand des vorhandenen Datenmaterials folgende Differenzierungen auch zwischen Unionsbürgern und türkischen Staatsangehörigen aufzeigen.
64 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005), Daten
– Fakten – Trends, Bildung und Ausbildung, Stand 2004, Berlin, S. 7.
65 Ebd. Schuljahr 1992/1993, Anteil ausländischer Schüler an Hauptschulen 47,6%, Realschulen 16,2%, Gymnasien 18,2% und Integrierte Gesamtschulen 10,4%.
55
Abbildung 8:66
Jugendliche ukrainischer und russischer Herkunft stellen die erfolgreichsten nationalen Gruppen dar. Sie haben die höchsten Anteile von Schülern an Gymnasien. Während die Quote für ukrainische Schüler an Gymnasien mit 57% beziffert
werden konnte, so lag der Wert für russische Schüler an Gymnasien bei ca.
46,1%.67
Jugendliche spanischer Herkunft stellen neben denen aus Polen und Kroatien68
die erfolgreichste nationale Gruppe dar, die aus den alten EU-Anwerbestaaten
kommen. Jugendliche griechischer Herkunft sind nach den Spaniern stärker als
die meisten anderen ausländischen Nationalitäten an Gymnasien vertreten.
Für Jugendliche italienischer Herkunft gilt hingegen, dass ein besonders großer
Anteil (54%) von ihnen Hauptschulen und ein kleiner Anteil (13,1%) Gymnasien
besucht. Die Situation von Jugendlichen türkischer Herkunft ist ebenso durch relativ schlechte schulische Voraussetzungen gekennzeichnet. 49,3% der türkischen Schüler besucht eine Hauptschule, wohingegen lediglich 12% ein Gymnasium besucht. Sie sind im Gegensatz zu ihren Altersgenossen aus den Unionsstaaten in den Schulformen Gymnasium und Realschule unterrepräsentiert.
66 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005), Daten
– Fakten – Trends, Bildung und Ausbildung, Stand 2004, Berlin, S. 8.
67 Ebd. Vermutlich handelt es sich bei den Jugendlichen aus der Ukraine und der Russischen
Föderation um Kinder jüdischer Zuwanderer.
68 Ebd. Schulbesuchsquoten an Gymnasien: Jugendliche aus Polen (38,2%) und Kroatien
(31,8%).
Schüler an allgemeinbildenden Schulen nach ausgewählten
Staatsangehörigkeiten und ausgewählten Schularten
(2003/2004)
54
29,5
49,3
18,6
28,4
16,6
22,5
21,5
26,6
20,9
25,2 14,6
16,6
22,3 13,1
28,5
12
46,5 46,1 57
10 11,4 15,4 17,9 9,7 10,9 9,8
45,2
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Gr
iec
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Ita
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Sp
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Tü
rke
i
De
uts
ch
lan
d
Ru
ssi
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era
tio
n
Uk
rai
ne
56
Die Bildungsdivergenz zwischen den verschiedenen Nationalitäten weist auf ein
Gefälle im Bildungsniveau zwischen Schülern aus den Unionsstaaten und türkischen Schülern hin. Insgesamt kann festgestellt werden, dass türkische und italienische Jugendliche besonders schlechte Bildungsvoraussetzungen und besonders geringe Ausbildungschancen haben.
2.4.1.2 Ausländische Schüler nach Abschlussarten und beruflicher
Qualifizierung
Auch wenn sich die Schulabschlüsse der Jugendlichen ausländischer Herkunft im
Laufe der letzten Dekaden verbessert haben, so bleiben sie im Vergleich zu ihren
deutschen Altersgenossen in den höheren Abschlussarten unterrepräsentiert.
Abbildung 9:69
Auffallend ist, dass 19,2% der ausländischen Jugendlichen über keinen Hauptschulabschluss verfügt, gegenüber 7,9% bei deutschen Jugendlichen. Dies bedeutet, dass von 80.145 ausländischen Schülern, die im Jahr 2003 die Schule verlassen haben, etwa jeder fünfte das allgemein bildende Schulsystem ohne formalen
69 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (2005), Daten
– Fakten – Trends, Bildung und Ausbildung, Stand 2004, Berlin, S. 9.
Deutsche und ausländische Schüler an
allgemeinbildenden Schulen nach Abschlußarten (2003)
7,9%
24,5%
41,6%
26,0%
19,2%
41,5%
29,1%
10,2%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
Ohne Hauptschulabschluß M it Hauptschulabschluß M it Realschulabschluß M it Hoch-/Fachhochschulreife
Deutsche Ausländer
57
Schulabschluss verließ. Diese Quote blieb auch im Zeitraum zwischen 1998 und
2003 relativ konstant.
Deutsche Jugendliche verfügen statistisch generell über eine höhere Abschlussart
als ausländische Jugendliche. Während ausländische Jugendliche überproportional in den unteren Abschlussarten vertreten sind, verlagert sich diese Verteilung
mit aufsteigender Abschlussart zugunsten deutscher Jugendlicher. Während jeder
vierte deutsche Jugendliche über eine allgemeine Hochschulreife verfügt, erlangt
eine solche bei ausländischen Jugendlichen lediglich jeder zehnte. Zwar hat sich
seit den 1990er Jahren die Quote der ausländischen Schüler in weiterführenden
Schulabschlüssen verbessert, jedoch ist seit Beginn des neuen Jahrzehnts eine
Stagnation in dieser Entwicklung zu beobachten. Der Anteil der ausländischen
Schüler mit einem Realschulabschluss stieg von 28,9% im Jahr 1998 auf 29,1%
im Jahr 2003. Gleichzeitig sank die Quote im Bereich der Hochschul- bzw. Fachhochschulreife von 11% im Jahr 2000 auf 10,2% im Jahr 2003.70
2.4.1.3 PISA – Soziokulturelle Herkunft und schulischer Erfolg
Mit dem »Programm for International Student Assesment« (PISA) untersucht die
OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) die
Stärken und Schwächen im Bildungssystem ihrer Mitgliedstaaten. Die Studie erfasst dabei gesondert die Erfolgschancen von Schülern mit Migrationshintergrund. Die vergleichende Analyse aus dem Jahr 2003 zeigte auf, dass erhebliche
Defizite im deutschen Bildungssystem vorhanden sind. Generell lässt sich sagen,
dass das deutsche Bildungssystem bei der Integration von Schülern mit Migrationshintergrund große Schwächen aufweist. Schüler mit Migrationshintergrund
erzielen geringere Leistungen als ihre einheimischen Altersgenossen. Bedingt
wird dieses Leistungsdefizit durch die soziokulturelle Herkunft dieser Schüler. Es
wird festgestellt, dass ein Großteil der Jugendlichen der unteren Sozialschicht angehört. Da die Chancen, eine höhere Schulform zu besuchen, in Deutschland relativ eng mit dem sozioökonomischen Status verbunden sind, liegt es nahe, dass
der überwiegende Teil dieser Jugendlichen Hauptschulen besucht. Bemerkenswert ist, dass die Leistungen der zweiten Generation in Deutschland abnehmen.
Jugendliche der ersten Generation (beide Elternteile sind im Ausland geboren,
der Jugendliche selbst wurde in Deutschland geboren), weisen höhere Leistungsdefizite auf, als zugewanderte Jugendliche. Ferner zeigt die Studie auf, dass das
deutsche Schulsystem im Bereich der Sprachförderung und der Etablierung von
Schulstandards Mängel aufweist. Fest etablierte Sprachförderprogramme mit definierten Zielen und Standards sind nicht vorhanden.71
70 Ebd.
71 Vgl. OECD (2006), Wo haben Schüler mit Migrationshintergrund die größten Erfolgschancen: Eine vergleichende Analyse von Leistung und Engagement in PISA 2003, S. 1 ff.
58
2.4.1.4 Determinanten für die schlechte Bildungsbeteiligung von
ausländischen Schülern
Wie dargestellt, kann die Situation von ausländischen Schülern im deutschen
Schulsystem als besorgniserregend bezeichnet werden. Die Daten zeigen, dass
ausländische Schüler nicht über die gleichen Bildungschancen verfügen, wie ihre
deutschen Altersgenossen. Auch in der PISA-Studie wurde nachgewiesen, dass in
allen schulischen Bereichen ausländische Schüler schlechtere Ergebnisse erzielen als einheimische Kinder.72
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze und Deutungsmuster für die Bildungsbenachteiligung ausländischer Schüler im Schulsystem. Einen theoretischen Rahmen zur Integration der unterschiedlichen Erklärungsansätze bildet der Ressourcenansatz. Dieser geht davon aus, dass Individuen eine begrenzte Anzahl von
Ressourcen zur Verfügung stehen, die sie zur Verwirklichung ihrer Ziele einsetzen können. Als Ressourcen werden Eigenschaften, Positionen, Güter etc. angesehen, derer sich ein Individuum bedienen kann. Jedoch ist die Ressourcenausstattung des Menschen begrenzt, so dass er in seinem Handeln entsprechenden
Restriktionen unterworfen ist. Dies hat zur Folge, dass die Verwirklichung der eigenen Ziele nicht immer möglich ist. Aufgrund der unterschiedlichen Ressourcenausstattung in verschiedenen Bevölkerungsgruppen ergeben sich somit unterschiedliche Möglichkeiten, die jeweiligen Ziele zu erreichen.73
Die Kulturdifferenzhypothese ist der populärste Erklärungsansatz, der in diesem
Zusammenhang herangezogen wird. Ihr zufolge ist die Situation ausländischer
Schüler durch die anderskulturelle Sozialisation bedingt. Normen und Werte, die
nicht denen der deutschen Gesellschaft entsprechen, schaffen eine kulturelle Differenz zwischen dem Schüler und der Mehrheitsgesellschaft. Eine defizitäre Persönlichkeit, die zu Anpassungsschwierigkeiten an schulische Erfordernisse führt,
wird als Folge konstatiert. Somit wird als Ursache für das schulische Versagen
das soziokulturelle Milieu des Kindes aufgeführt, das als defizitäres Sozialisationsumfeld beschrieben wird.74 Die PISA-Studie stellte hierzu fest, dass nicht primär die anderskulturelle Sozialisation, sondern die soziale Schichtzugehörigkeit
einen nennenswerten Einfluss auf den Erfolg bzw. Misserfolg der ausländischen
Schüler zu haben scheint. Demnach wird die strukturelle Benachteiligung von
ausländischen Schülern eher ihrer sozialen Herkunft, der überwiegenden Zuge-
72 Vgl. Kristen, Cornelia (2003), Ethnische Unterschiede im deutschen Schulsystem, in: Aus
Politik und Zeitgeschichte, B 21-22/2003, S. 29.
73 Vgl. ebenda, S. 30.
74 Vgl. Karaka?o?lu-Aydin, Yasemin (2001), Kinder aus Zuwandererfamilien im Bildungssystem, in: Böttcher, Wolfgang/Klemm, Klaus/Rauschenbach, Thomas (Hrsg.), Bildung
und Soziales in Zahlen – Statistisches Handbuch zu Daten und Trends im Bildungsbereich,
S. 291 f.
59
hörigkeit zur Arbeiterschicht, als der ethnischen Zugehörigkeit zugeschrieben
(Unterschichtungshypothese).75
Ein weiterer Grund für die Situation der ausländischen Schüler wird in der
Wechselwirkung des Mikrosystems der Familie, Eltern und Lehrer des ausländischen Schülers wie auch in der Makroperspektive des Schul- bzw. Gesellschaftssystem gesehen (sozialökologischer Ansatz). Es wird davon ausgegangen,
dass die individuelle Entwicklung des Kindes im Übergang dieser Systeme stattfindet, der sowohl entwicklungsfördernde als auch entwicklungshemmende Faktoren in sich birgt. Neben der Schichtzugehörigkeit des ausländischen Schülers
als ausschlaggebender Faktor für Erfolg oder Misserfolg im Bildungssystem wird
hier im Systembereich die mangelnde Fähigkeit der deutschen Schule, auf die
spezifischen Probleme der ausländischen Schüler einzugehen, kritisiert.
»Standardisierte Prüfungen von Intelligenz und Leistungsniveau auf der Basis verbal und schriftlich vorgegebener Anweisungen (stark sprachgebundene Tests)
mißachten die aufgrund spezifischer sprachlicher Probleme bestehenden Leistungsdefizite der Migrantenkinder im Grundschulalter und schreiben »Lernbehinderung« zu, wo lediglich sprachliche Defizite vorherrschen. (…) Wesentliches Selektionskriterium ist die Angepasstheit der Schülerpopulation an das Leitbild eines
durchschnittlichen Schüler aus einer deutschen Mittelschichtfamilie«.76
Ein weiterer Grund für die Bildungsbenachteiligung von ausländischen Schülern
wird in der Organisation Schule, ihren Arbeitsprogrammen, dem Know-How des
Lehrpersonals, das den geänderten Bedingungen von Schule nicht angepasst ist,
gesehen. Der Fokus wird auf die Einstellung der Lehrer und Schulleiter gegenüber ausländischen Schülern gerichtet. Es wird kritisiert, dass die Institution
Schule keine adäquaten Hilfsinstrumente heranzieht, um auf die qualitativ und
quantitativ veränderte Schülerpopulation zu reagieren.77
Langzeitstudien und die Ergebnisse der PISA-Studie führen zur Erklärung der
Problematik mehrere kumulierende Indikatoren auf. Es wird festgestellt, dass das
Bildungsniveau des Haushaltsvorstandes einen größeren Einfluss auf den Bildungserfolg der nächsten Generation hat, als dessen Beruf. Eltern mit einem höheren Bildungsprofil können die zur Förderung des Schulerfolgs notwendige Unterstützung gewährleisten. Dies kann neben der Hilfe bei Hausaufgaben auch das
Wissen über das Bildungssystem und der strategischen schulischen Zukunftspla-
75 Vgl. Karaka?o?lu-Aydin, Yasemin (2002), Benachteiligung durch kulturelle Zugehörigkeit?, in: Weegen, Michael/Böttcher, Wolfgang/Bellenberg, Gabriele/van Ackeren, Isabell
(Hrsg.), Bildungsforschung und Politikberatung – Schule, Hochschule und Berufsbildung
an der Schnittstelle von Erziehungswissenschaft und Politik, S. 209.
76 Karaka?o?lu-Aydin, Yasemin (2001), Kinder aus Zuwandererfamilien im Bildungssystem,
in: Böttcher, Wolfgang/Klemm, Klaus/Rauschenbach, Thomas (Hrsg.), Bildung und Soziales in Zahlen – Statistisches Handbuch zu Daten und Trends im Bildungsbereich, S. 292.
77 Vgl. ebenda, S. 293.
60
nung sein.78 Allerdings zeigt sich, dass die Mehrheit der ausländischen Familien
über weniger bildungsrelevantes Wissen verfügen als die Mehrheit der deutschen
Eltern. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wurde doch die Mehrheit der ausländischen Arbeitnehmer der ersten Generation als ungelernte Aushilfskräfte angeworben. Hier ergeben sich naturgemäß deutlich schlechtere Ausgangsvoraussetzungen für eine effektive Unterstützung der Kinder als in deutschen Familien.79
Weiterhin stellt die Aufenthaltsdauer einen der wichtigsten Faktoren für die
Schulkarriere eines ausländischen Schülers dar. Je höher das Einreisealter ist und
je später der Schulbesuch erfolgt, desto geringer sind die Chancen für eine höhere
Schulausbildung.80 Dies ist nicht zuletzt ein Resultat fehlender altersadäquater
Sprachkenntnisse. Fehlende Sprachkenntnisse und die damit eintretenden schulischen Misserfolge werden jedoch auch durch den Wohnort beeinflusst. Ethnisch
homogene Wohngebiete begünstigen die Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft. Die Folgen sind, dass in der Sprache des Herkunftslandes der Eltern kommuniziert wird, was wiederum kulturelle Differenzen begünstigt.81 Mit Hilfe
dieses Erklärungsansatzes lassen sich die unterschiedlichen Erfolge bzw. Misserfolge bestimmter Nationalitätengruppen erklären. Langzeitstudien lassen erkennen, dass Türken eine ausgeprägte Ethnizität aufweisen, ausgedrückt in schlechteren Deutschkenntnissen der Elterngeneration und im Aufwachsen in ethnisch
homogenen Wohngebieten in Deutschland.82 Hierdurch dürfen sich auch partiell
die Ursachen für die schlechte Bildungssituation türkischer Schüler erklären lassen. Die so genannte Communitybildung – persönliches Bekenntnis der kulturellen Differenz zur Mehrheitsgesellschaft, sich nicht als Deutscher zu identifizieren, Gründung von eigenen ethnischen Vereinen – kann jedoch nicht per se als
Ursache für das Bildungsdefizit ausländischer Schüler herangezogen werden.
Ausschlaggebend ist vielmehr die Zielsetzung dieser Communitybildung. Gemein ist ihnen der Wille zur Selbsthilfe. Während bei Italienern lediglich 2,5%
der organisierten Selbsthilfeaktivitäten in Deutschland sich mit Fragen der Schulbildung italienischer Kinder beschäftigt, ist bei Spaniern jeder vierte Verein ein
Elternverein, der Eltern bei der Organisation der Hausaufgabenhilfe und schulischen Laufbahnbetreuung hilft. Auch bei griechischen Vereinen lassen sich qualitativ solche Aktivitäten beobachten.83 Eine Folge hiervon dürfte sein, dass spanische und griechische Schulkinder, wie aufgezeigt wurde, Erfolge unter den ausländischen Schülern aufweisen.
78 Vgl. Kristen, Cornelia (2003), Ethnische Unterschiede im deutschen Schulsystem, in: Aus
Politik und Zeitgeschichte, B 21-22/2003, S. 31.
79 Vgl. ebenda.
80 Vgl. ebenda.
81 Vgl. Karaka?o?lu-Aydin, Yasemin (2002), Benachteiligung durch kulturelle Zugehörigkeit?, in: Weegen, Michael/Böttcher, Wolfgang/Bellenberg, Gabriele/van Ackeren, Isabell
(Hrsg.), Bildungsforschung und Politikberatung – Schule, Hochschule und Berufsbildung
an der Schnittstelle von Erziehungswissenschaft und Politik, S. 212.
82 Vgl. ebenda.
83 Vgl. ebenda, S. 213.
61
2.4.2 Berufsausbildung
Die geringere Abschlussart von ausländischen Jugendlichen hat natürlich erhebliche Auswirkungen auf ihre weitere berufliche Qualifizierung. Das mögliche Berufsspektrum der Jugendlichen ausländischer Herkunft wird hierdurch viel enger
im Vergleich zu deutschen Gleichaltrigen. Zusätzlich hat sich ein ungünstiger
Trend verfestigt. In den letzten Jahren ist ein erheblicher Rückgang bei der Ausbildungsbeteiligung junger Ausländer festzustellen. In allen Ausbildungsbereichen werden diese im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil unterdurchschnittlich ausgebildet.84
Der Vergleich zwischen Auszubildenden aus den Unionsstaaten und Türken weist
hierbei keine signifikanten Unterschiede auf. Beide Gruppen sind vorwiegend in
Industrie, Handel und Handwerk vertreten.85 Und beide Gruppen sind im Vergleich zu ihren deutschen Altersgenossen im Bereich öffentlicher Dienst unterrepräsentiert.
2.4.3 Erwerbsbeteiligung und Arbeitslosigkeit
Der Integrationsprozess bzw. -erfolg von Zuwanderern wird neben der (Aus-) Bildungssituation maßgeblich auch durch ihre Erwerbssituation bestimmt. Arbeitnehmer und Selbstständige nehmen eine aktive Rolle innerhalb des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehens ein. Neben der Schaffung von Arbeitsplätzen zahlen sie Steuern und Beiträge zu den Sozialversicherungssystemen.
Jedoch unterscheidet sich die Erwerbssituation der Ausländer im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung. Ausländische Haushalte sind statistisch mit einem höheren
Risiko behaftet, auf Sozialleistungen angewiesen zu sein. Diese ist auf eine höhere Erwerbslosigkeit zurückzuführen, die aus der geringeren Bildungs- und
Ausbildungsbeteiligung resultiert.
Die Entwicklung der Erwerbssituation von Ausländern ist weitaus stärker mit
den ökonomischen Strukturveränderungen verbunden als bei der Gesamtbevölkerung.86 Die Arbeitslosenquote der ausländischen Bevölkerung betrug im Jahr
2004 etwa 20,4% und war damit nahezu doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung mit 11,7%. Ausländer sind mithin etwa doppelt so stark von Arbeitslosigkeit betroffen als Deutsche.
84 Vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (2002), Daten und Fakten
zur Ausländersituation, Berlin, S. 15 f.
85 Vgl. ebenda, S. 46. Die am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe sind: Kaufmann, Friseur, Kraftfahrzeugmechaniker, Arzthelfer.
86 Vgl. Lebenslagen in Deutschland (2005), Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 161.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für straffällige Ausländer, die in Deutschland geboren oder im Kindesalter eingereist sind, stellt sich eine Ausweisung regelmäßig als „Doppelbestrafung“ dar. Auch die Verwurzelung im Bundesgebiet schützt nach nationalen Maßstäben hiervor nur begrenzt. Betrachtet man das sozioökonomische Profil der Ausgewiesenen, so zeigt sich, dass diese fast ausnahmslos der sog. Unterschicht angehören. Bildungsarmut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie der damit einhergehende unsichere Aufenthaltsstatus bestimmen ihr Leben. Im Gegensatz zum bisherigen nationalen Ausländerrecht stellt der Europäische Ausweisungsschutz nun insbesondere für Unionsbürger und assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige stärker auf faktische Bindungen in der „Heimat“ ab. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist nachweisbar, dass er hierdurch ausgesprochen effektiv wirkt und die Ausweisungszahlen in der Ausländerpraxis deutlich reduziert hat.