39
kreises. Ein aktives Bekennen Deutschlands zu seinen Zuwanderern und die politische Forderung an diese, sich aktiv einzubringen bzw. zu integrieren, stellen die
zukünftigen Herausforderungen innerhalb der Zuwanderungspolitik dar.
2.2 Aufenthaltsdauer der ausländischen Bevölkerung in Deutschland
»Die Aufenthaltsdauer ist definiert als die Zeit von der ersten Einreise in das Bundesgebiet bis zum jeweiligen Auszählungsstichtag«.19 Von Bedeutung ist die Aufenthaltsdauer insofern, als sie Rückschlüsse auf die emotionalen, sozialen und
wirtschaftlichen Verflechtungen der Ausländer mit der Bundesrepublik zulässt
bzw. diese dokumentiert. Eine Aufenthaltsdauer von mehr als zehn Jahren lässt
mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Vermutung zu, dass diese Ausländer ihren
Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlagert haben. Nach 10-jähriger Aufenthaltsdauer findet kaum mehr eine Lebensgestaltung statt, die sich an kurzfristigen
oder vorübergehenden Phasen orientiert. Ein Beispiel für eine vorübergehende
Phase ist das klassische Beispiel des »Gastarbeiters«, der ohne Familie in einem
Männerwohnheim lebt und am Monatsende einen Teil seines Gehalts der Familie
im Herkunftsland zukommen lässt. Soziale Bindungen bestehen in der Regel lediglich zu Mitbewohnern im Wohnheim und Arbeitskollegen. Eine kleine soziale
Einheit, die isoliert der hiesigen Gesellschaft gegenübersteht. Das aus einer solchen Situation entstehende Gefühl des Fremdseins, ist wohl das charakteristischste Merkmal für eine kurze Aufenthaltsdauer zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in einem fremden Land.20 Mit der Zunahme der Aufenthaltsdauer löst sich
diese isolierte soziale Einheit kontinuierlich auf. Entscheidend ist hierfür auch
das subjektive Empfinden der Betroffenen. Die Fremde wird spätestens durch einen Familiennachzug »heimisch« – ja sogar zur Heimat. Die Kinder lernen die
Sprache der neuen Heimat, soziale Verflechtungen werden in Form von Familienund Arbeitsplatzfreundschaften komplexer bzw. durch wirtschaftliche Prosperität
stärker. Sowohl wirtschaftliche als auch soziale und emotionale Verflechtungen
verlagern den Lebensmittelpunkt und werden zu Ursachen von längeren Aufenthaltszeiten.
19 Statistisches Bundesamt (2001), Ausländische Bevölkerung in Deutschland, Wiesbaden, S. 16.
20 Ausschlaggebend sind hier auch die eigenen kulturellen und religiösen Werte, die im Vergleich zu denen des Aufenthaltsstaates gesetzt werden.
40
Abbildung 2:21
Betrachtet man die Aufenthaltsdauer der gesamten ausländischen Bevölkerung in
Deutschland, so waren zum Jahresende 2005 von den 6.755.811 Millionen Personen im Ausländerzentralregister mehr als 62% länger als 10 Jahre – darunter
knapp 34% mehr als 20 Jahre – in Deutschland ansässig. Mehr als 45% lebten seit
mehr als fünfzehn Jahren in Deutschland und mehr als 20% länger als 30 Jahre.22
Etwa 38% aller Ausländer lebten seit weniger als zehn Jahren in Deutschland. Die
durchschnittliche Aufenthaltsdauer aller in Deutschland aufhältigen Ausländer
betrug im Jahr 2005 etwa 16,8 Jahre.23
Dabei ist zu beobachten, dass es je nach Nationalitäten Unterschiede in der
Aufenthaltsdauer gibt. Im weiteren Verlauf werden – entsprechend dem Fokus der
Arbeit – zwei Gruppen gebildet und untersucht: Unionsbürger sowie türkische
Staatsangehörige.
21 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006), Migration, Asyl und Integration;
14. Aufl., Nürnberg, S. 83.
22 Vgl. ebenda; eigene Berechnungen.
23 Ebd. Der hohe Anteil von Personen mit einer Aufenthaltsdauer von weniger als zehn Jahren
ist unter anderem auf Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern in den 90er Jahren zurückzuführen. Gleichzeitig stellen afghanische, rumänische, pakistanische sowie polnische
Staatsangehörige die größten Gruppen innerhalb dieser Unterteilung dar.
Aufenthaltsdauer der ausländischen Bevölkerung in
Deutschland (2005)
Davon Aufenthaltsdauer von … bis unter … Jahren
0%
5%
10%
15%
20%
25%
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30
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400.000
600.000
800.000
1.000.000
1.200.000
1.400.000
1.600.000
41
2.2.1 Aufenthaltsdauer von Unionsbürgern
Von den mehr als 6,7 Millionen Ausländern, die Ende 2005 in Deutschland lebten,
waren etwa 2,1 Millionen der Ausländer aus einem EU-Staat.24 Der Anteil der
Unionsbürger beträgt gemessen an der Gesamtzahl etwa 32 Prozent. Das bedeutet, dass nur jeder dritte Ausländer in der Bundesrepublik Unionsbürger ist.25
Abbildung 3:26
24 Ebenda, S. 82. Die Anzahl der Ausländer aus EU-Staaten umfasst die Staatsangehörigen
der 24 EU-Staaten.
25 Ebd.
26 Statistisches Bundesamt (2006), Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Ausländische Bevölkerung,
Ergebnisse des Ausländerzentralregisters, Fachserie 1 / Reihe 2, Stand 2005, Wiesbaden, S. 50 f.
Aufenthaltsdauer von ausgewählten Unionsbürgern in Deutschland (2005)
Davon Aufenthaltsdauer von … bis unter … Jahren Ausgewählte
Staatsangehörigkeiten
unter 1 1 bis 4 4 bis 6 6 bis 8 8 bis 10
10 bis
15
15 bis
20
20 bis
25
25 bis
30
30 und
mehr
durchschnittliche
Aufenthaltsdauer
in Jahren
Italien 6.700 21.300 18.500 23.600 25.500 59.000 61.700 49.200 66.100 209.200 24,3
Polen 43.900 68.800 30.300 25.500 24.500 52.400 50.900 19.800 4.800 5.800 9,5
Griechenland 3.300 13.200 12.000 13.700 13.900 42.800 46.400 19.100 22.900 122.400 23,3
Portugal 2.100 6.800 6.100 7.200 8.800 25.000 11.100 4.900 9.200 34.400 19,3
Spanien 3.700 4.600 4.500 4.000 3.600 7.700 5.800 5.200 7.700 58.100 26,1
Türkei 23.900 89.400 63.900 102.100 119.200 293.500 255.800 130.800 247.800 437.500 19,9
42
Abbildung 4:27
Betrachtet man die Aufenthaltsdauer von Unionsbürgern in Deutschland, fällt der
hohe Anteil von Personen mit langer Aufenthaltsdauer auf. Etwa 21% der Unionsbürger leben seit weniger als sechs Jahren und ca.11% seit sechs bis zehn Jahren in Deutschland. Der Anteil derjenigen, die länger als zehn Jahre hier leben,
ist mit 68% sehr hoch. Auffallend ist, dass 29,7% der hier lebenden Unionsbürger
eine Aufenthaltsdauer von mehr als dreißig Jahren vorweisen können.28
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Staatsangehörigen aus den klassischen (EU-) Anwerbestaaten verdeutlicht zudem, dass Ausländer aus diesen
Staaten über sehr lange Aufenthaltszeiten in Deutschland verfügen. So beträgt die
durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei Italienern ca. 24,3 Jahre, bei Griechen ca.
23,3 Jahre und bei Portugiesen ca. 19,3 Jahre.
Die Spanier verfügen innerhalb dieser Gruppe über die längste durchschnittliche Aufenthaltsdauer von ca. 26,1 Jahre.29
27 Ebd.
28 Vgl. ebenda; eigene Berechnungen.
29 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006), Migration, Asyl und Integration;
14. Aufl., Nürnberg, S. 83.
Aufenthaltsdauer von Unionsbürgern in Deutschland (2005),
gesamt
Davon Aufenthaltsdauer von … bis unter … Jahren
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
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700.000
43
2.2.2 Aufenthaltsdauer von türkischen Staatsangehörigen
Ende 2005 lebten 1.764.041 Millionen Menschen mit einer türkischen Staatsangehörigkeit in Deutschland und stellten die größte Gruppe unter den Ausländern
dar. Etwa 26% der Ausländer in Deutschland sind türkische Staatsangehörige.30
Abbildung 5:31
Auch bei den türkischen Staatsangehörigen in Deutschland ist ein ähnliches Bild
wie bei den Unionsbürgern zu erkennen. Etwa 10,1% der türkischen Staatsbürger
leben kürzer als sechs Jahre hier bzw. 12,6% von sechs bis zehn Jahren. Der Anteil derjenigen, die länger als 10 Jahre hier leben ist mit 77,3% sehr hoch.32 Auffallend ist, dass die Anzahl der türkischen Staatsangehörigen mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als dreißig Jahren im Vergleich zu Unionsbürgern mit etwa
24,8% eher gering ausfällt.33 Gründe hierfür können vor allem die Rückkehr vieler türkischer Staatsbürger sein, die in den ersten Anwerbejahren eingereist wa-
30 Ebenda, S. 82.
31 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2006), Migration, Asyl und Integration;
14. Aufl., Nürnberg, S. 83.
32 Vgl. ebenda; eigene Berechnungen.
33 Vgl. ebenda; eigene Berechnungen.
Aufenthaltsdauer von Türken in Deutschland (2005)
Davon Aufenthaltsdauer von … bis unter … Jahren
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
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350.000
400.000
450.000
500.000
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für straffällige Ausländer, die in Deutschland geboren oder im Kindesalter eingereist sind, stellt sich eine Ausweisung regelmäßig als „Doppelbestrafung“ dar. Auch die Verwurzelung im Bundesgebiet schützt nach nationalen Maßstäben hiervor nur begrenzt. Betrachtet man das sozioökonomische Profil der Ausgewiesenen, so zeigt sich, dass diese fast ausnahmslos der sog. Unterschicht angehören. Bildungsarmut, Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie der damit einhergehende unsichere Aufenthaltsstatus bestimmen ihr Leben. Im Gegensatz zum bisherigen nationalen Ausländerrecht stellt der Europäische Ausweisungsschutz nun insbesondere für Unionsbürger und assoziationsbegünstigte türkische Staatsangehörige stärker auf faktische Bindungen in der „Heimat“ ab. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist nachweisbar, dass er hierdurch ausgesprochen effektiv wirkt und die Ausweisungszahlen in der Ausländerpraxis deutlich reduziert hat.