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Raeschke-Kessler66, § 522 Abs. 3 ZPO verletze Art. 103 Abs. 1 GG, weil kein Rechtsmittel – gemeint ist wohl kein Rechtsbehelf – gegen die erstmalige Verletzung von
Verfahrensgrundrechten bestehe, ist spätestens mit der Änderung des § 321 a ZPO und
der damit einhergehenden Erstreckung der Gehörsrüge auf den Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgeräumt worden.
2. Zum Recht auf den gesetzlichen Richter
Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen
werden. Entzogen wird der gesetzliche Richter, wenn die Verhandlung und Entscheidung einer Sache durch den gesetzlichen Richter von einem anderen Träger öffentlicher Gewalt verhindert oder beeinträchtigt wird67. Bei vordergründiger Betrachtung
ließe daher gegen die Regelungen des § 522 Abs. 2 und 3 ZPO einwenden, dass dem
Berufungskläger durch den Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO der Richter für
die Entscheidung über eine Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde vorenthalten
wird, da der Beschluss anders als im Urteilsverfahren nicht angefochten werden kann.
Diesen Einwand hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss
vom 05.08.2002 indes zurückgewiesen68. In den Entscheidungsgründen stellte das
Bundesverfassungsgericht fest, dass der Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO
das aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ? ießende Recht auf den gesetzlichen Richter nicht
verletze. Zur Begründung verwies das Bundesverfassungsgericht darauf, dass § 522
Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Berufungsgericht kein Handlungsermessen einräume, mittelbar über die Wahl des Beschluss- oder Urteilsverfahrens die Anfechtbarkeit seiner
Entscheidung zu steuern. Das Berufungsgericht müsse bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vielmehr durch Beschluss entscheiden. Der gesetzliche
Richter für die Entscheidung über eine Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde
werde daher nicht einmal mittelbar entzogen.
3. Zum Justizgewähranspruch
Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt ein Anspruch auf Rechtsschutz durch unabhängige
Gerichte (sog. Justizgewähranspruch)69. Der Anspruch umfasst „das Recht auf Zugang
zu den Gerichten und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prü-
66 Raeschke-Kessler, AnwBl 2004, 321, 324.
67 Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 101 Rdnr. 21.
68 BVerfG, Beschl. v. 05.08.2002 – 2 BvR 1108/02 –, NJW 2003, 281. Siehe auch BVerfG, Beschl.
v. 26.04.2005 – 1 BvR 1924/04 –, NJW 2005, 1931; Beschl. v. 11.02.2008 – 2 BvR 899/07 –,
NJW 2008, 1938; BerlVerfGH, Beschl. v. 30.04.2004 – VerfGH 2/04 –, NJW-RR 2004, 1719,
1720.
69 Siehe hierzu Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 Rdnr. 211 ff; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20
Rdnr. 91 ff; Sachs, in: Sachs, Art 20 Rdnr. 162 ff; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19
Abs. 4 Rdnr. 16 ff.; Huber, in: M/K/S, Art. 19 Rdnr. 363 ff.
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References
Zusammenfassung
Die Abhandlung gibt Antwort auf nahezu alle Fragen, die sich bei der Anwendung der Vorschriften über die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss im Zivilprozess stellen (§ 522 Abs. 2 und 3 ZPO). Sie geht nicht nur auf die Frage der zutreffenden Auslegung des § 522 Abs. 2 ZPO ein, sondern untersucht auch die rechtstatsächliche Situation vor und nach der Einführung des unanfechtbaren Zurückweisungsbeschlusses. Anhand der Justizgeschäftsstatistiken des Statistischen Bundesamtes wird nachgewiesen, dass die Einführung des Beschlussverfahrens zu einer erheblichen Verkürzung der Verfahrensdauer geführt hat. Kritisch hinterfragt wird die Auslegung des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO durch die Rechtsprechung sowie die stark unterschiedliche Praxis der Berufungsgerichte bei der Anwendung der Vorschriften über die Beschlusszurückweisung. Die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften wird gleichwohl nicht in Frage gestellt. Wegen des unterschiedlichen Zugangs zur Revisionsinstanz fordert der Autor allerdings die Abschaffung der Regelung des § 522 Abs. 3 ZPO über die Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses.