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Für Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und der Rechtschreibung
orientieren sich die Schulen und Schulaufsichtsbehörden an den entsprechenden
KMK-Empfehlungen. Da die entsprechenden Fördermaßnahmen bis zum Ende der
10. Jahrgangsstufe abgeschlossen sein sollen, greifen in der Sekundarstufe II die allgemeinen Leistungsanforderungen, wobei die Landesregierung davon ausgeht, dass
der Rechtschreibung in dieser Phase ohnehin nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung für die Leistungsbewertung zukommt. Allerdings sind zugunsten dieses
Schülerkreises auf Grundlage des bereits erwähnten § 31 der Abiturprüfungsordnung gegebenenfalls Arbeitserleichterungen möglich.231
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die rechtlichen Regelungen in Rheinland-Pfalz mittlerweile den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention weitgehend
entsprechen. Insbesondere besteht die Möglichkeit für einen zieldifferenten Unterricht an den allgemeinen Schulen. Auch ist ein angemessener Nachteilsausgleich bei
schulischen Prüfungen gewährleistet. Allerdings erscheint es fragwürdig, dass die
zuständigen Stellen nicht explizit dazu verpflichtet wurden, gegebenenfalls sonderpädagogisch geschulte Fachkräfte an der Entscheidung über einen Nachteilsausgleich zu beteiligen. Zudem bleibt abzuwarten, ob der weitere Ausbau der Schwerpunktschulen dazu führen wird, dass alle Schüler mit Behinderungen, die theoretisch
am Unterricht der allgemeinen Schulen teilnehmen könnten, auch die Möglichkeit
haben, diesen Unterricht zu besuchen. Erst dann wäre den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention in Bezug auf die Inklusion von Schülern mit Behinderungen
Rechnung getragen. Dabei ist zum einen zu beachten, dass es keinen Rechtsanspruch auf Zulassung zu diesen integrativen Unterrichtsformen gibt. Zum anderen
sind diese Schulen zumindest derzeit noch so breit gestreut, dass nur ein Teil der
Kinder ein wohnortnahes Angebot vorfindet und daher entsprechend den Vorgaben
der Behindertenrechtskonvention in der Gemeinschaft, in der sie leben, unterrichtet
werden können.
L. Saarland
1. Die Landesverfassung
Im Jahre 1999 wurde in Art. 12 Abs. 4 der Verfassung des Saarlandes eine mit
Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG übereinstimmende Regelung aufgenommen.232
Nach Art. 27 Abs. 3 der Verfassung des Saarlandes besteht das öffentliche
Schulwesen unter anderem aus den Schulen für Behinderte. Diese Bestimmung kann
und darf jedoch nicht in dem Sinne verstanden werden, dass alle Schüler mit Behinderungen dazu verpflichtet wären, diese Schulen zu besuchen. Allerdings kann man
aus dieser Bestimmung eine Verpflichtung des Staates herleiten, für diejenigen
231 Vgl. die Antwort des Kultusministeriums auf eine Anfrage der Abgeordneten Morsblech
(FDP), RP-LT-Drs. 15/1887.
232 Vgl. das Gesetz Nr. 1438 vom 25.8.1999, SaarABl. S. 1318.
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Schüler mit Behinderungen, die nicht am integrativen Unterricht der allgemeinen
Schulen teilnehmen können oder wollen, hinreichende Alternativen vorzuhalten.
2. Das Schulgesetz und die einschlägigen Ausführungsbestimmungen
Nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Saarland umfasst
der Unterrichts- und Erziehungsauftrag der allgemeinen Schulen grundsätzlich auch
die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Daher sind im Rahmen der
vorhandenen schulorganisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten geeignete Formen der gemeinsamen Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten zu entwickeln.233
Neben dem gemeinsamen Unterricht besteht auch die Möglichkeit zur Bildung
von Unterrichtsgruppen oder Integrationsklassen an den allgemeinen Schulen, vgl.
§ 4 Abs. 3 und § 38 Abs. 4 SaarSchOG.
Der Vorrang des gemeinsamen Unterrichts spiegelt sich auch in den Regelungen
des Schulpflichtgesetzes wider, nach dessen § 6 Abs. 1 Schüler mit sonderpädagogischem Förderungsbedarf in erster Linie zum Besuch des gemeinsamen Unterrichts
von Behinderten und Nichtbehinderten verpflichtet sind, die Sonderschulen oder der
Sonderunterricht außerhalb einer Schule werden erst danach genannt.234
Die Entscheidung, welche Schule ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu besuchen hat, liegt nach § 6 Abs. 2 SaarSchPflG bei der Schulaufsichtsbehörde, die zuvor die Erziehungsberechtigten anzuhören und ein Überprüfungsverfahren durchzuführen hat, in dessen Rahmen gegebenenfalls auch ein Schul- oder
Amtsarzt oder ein Schulpsychologe hinzugezogen werden kann.
Die gesetzlichen Bestimmungen werden durch die Integrationsverordnung weiter
konkretisiert. Diese Verordnung nennt in ihrem § 2 zahlreiche Formen integrativer
Unterrichtung. Zum einen können Schüler mit Behinderungen am Unterricht der allgemeinen Schulen teilnehmen, wobei die Lehrkräfte durch Sonderschullehrkräfte
beraten oder durch sogenannte „Ambulanzlehrer“ unterstützt werden. Daneben ist es
möglich, dass Schüler überwiegend am Unterricht der allgemeinen Klassen teilnehmen und zusätzlich in einem der Art und Schwere der Behinderung angemessenen
Umfang von Sonderschullehrern unterrichtet werden. Wenn mehrere Schüler mit
Behinderungen am Unterricht einer allgemeinen Schule teilnehmen und die Art und
Schwere ihrer Behinderung dies erfordern, kann neben dem für die Unterrichtung
der Klasse vorgesehenen Lehrer gleichzeitig ein weiterer Lehrer in dieser Klasse unterrichten. Weiterhin ist die Bildung von Sonderklassen möglich, deren Schüler in
233 Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland (SaarSchOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.8.1996, SaarABl. S. 846, zuletzt geändert durch Gesetz vom
11.5.2005, SaarABl. S. 687.
234 Vgl. das Gesetz über die Schulpflicht im Saarland (SaarSchPflG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.8.1996, SaarABl. S. 864, zuletzt geändert durch das Gesetz vom
8.3.2005, SaarABl. S. 438.
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einzelnen Fächern an einem integrativen Unterricht teilnehmen, im Übrigen aber
zieldifferent unterrichtet werden. Und schließlich kommt eine Kooperation einer
Sonderschule mit einer allgemeinen Schule in Betracht, in deren Rahmen einzelne
behinderte Schüler in bestimmten Fächern auch am Unterricht der Schüler der allgemeinen Schule teilnehmen. Alle Formen des integrativen Unterrichts sind nach
§ 3 der Integrationsverordnung zielgleich oder zieldifferent möglich.235
Welche Form des gemeinsamen Unterrichts im Einzelfall gewählt wird, hängt
nach § 2 Abs. 1 von den baulichen, räumlichen, sächlichen, personellen und organisatorischen Gegebenheiten und den individuellen Bedürfnissen des betreffenden
Schülers ab, die sich aus der Art und Schwere seiner Behinderung sowie aus dem
Umfeld seines schulischen Lernens ergeben. Die Voraussetzungen müssen spätestens zu Beginn des integrativen Unterrichts gegeben sein.
Zuständig für die Zulassung zum integrativen Unterricht ist gemäß § 6 Abs. 1 der
Integrationsverordnung die Schulaufsichtsbehörde. Voraussetzung ist, dass zunächst
der sonderpädagogische Förderbedarf festgestellt wurde. Außerdem müssen die Eltern einen entsprechenden Antrag stellen. Danach wird ein Förderausschuss gebildet, dem der Schulleiter der allgemeinen Schule, eine weitere Lehrkraft – nach Möglichkeit die voraussichtliche Klassenlehrkraft – eine Lehrkraft einer entsprechenden
Sonderschule und die Erziehungsberechtigten angehören, die jeweils eine Stimme
haben. Der Förderausschuss kann auf die früheren Gutachten zurückgreifen und
Stellungnahmen des schulärztlichen oder schulpsychologischen Dienstes einholen.
Außerdem sind die Elternvertreter der allgemeinen Schule anzuhören. Die Empfehlung des Förderausschusses ist für die Schulaufsichtsbehörde nicht bindend.
In § 5 Abs. 1 der Integrationsverordnung ist ein Nachteilsausgleich zu Gunsten
von Schülern mit Behinderungen vorgesehen. Grundsätzlich gelten jedoch die allgemeinen Regelungen. Für Schüler mit einer geistigen oder Lernbehinderung ist nur
ein zieldifferenter Unterricht möglich, für den die Regelungen für die entsprechende
Sonderschule zur Anwendung kommen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Rechtslage im Saarland im Wesentlichen mit den Vorgaben der Behindertenrechtskonvention vereinbar ist. Der integrative Unterricht ist nicht nur auf Schulen des Primarbereichs beschränkt.
Zwar besteht kein Anspruch auf Zulassung zu den entsprechenden Einrichtungen.
Auch gibt es keine Pflicht, die entsprechenden Angebote weiter auszubauen. Die Eltern haben durch ihre Beteiligung am Verfahren jedoch weit reichende Einflussmöglichkeiten. Tatsächlich nimmt im Saarland ein relativ großer Anteil von Schülern mit
sonderpädagogischem Förderbedarf am Unterricht der allgemeinen Schulen teil.
Daher besteht Anlass für die Vermutung, dass zumindest ein großer Teil derjenigen
Schüler mit Behinderungen, die an einem inklusiven Unterricht im Sinne der Behindertenrechtskonvention teilnehmen wollen, die Möglichkeit hierzu haben.
235 Vgl. die Schulordnung – über die gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform (Integrations-Verordnung) vom 4.8.1987, SaarABl.
S. 972, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 4.7.2003, SaarABl. S. 1910.
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M. Sachsen
1. Die Landesverfassung
Die Verfassung des Freistaates Sachsen enthält keine mit Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vergleichbare Bestimmung. Zwar bekennt sich das Land in Art. 7 Abs. 2 der Verfassung ausdrücklich zur Verpflichtung der Gemeinschaft, behinderte Menschen zu unterstützen und auf die Gleichwertigkeit ihrer Lebensbedingungen hinzuwirken. Hieraus ergeben sich jedoch keine Leistungsansprüche.
2. Das Schulgesetz und die einschlägigen Ausführungsbestimmungen
Nach § 13 Abs. 1 SächsSchG werden Schüler, die wegen der Beeinträchtigung einer
oder mehrerer physischer oder psychischer Funktionen auch durch besondere Hilfen
in den anderen allgemein bildenden Schulen nicht oder nicht hinreichend integriert
werden können und deshalb über einen längeren Zeitraum einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, in den Förderschulen unterrichtet.236
§ 13 Abs. 1 SächsSchG verlangt nicht, dass die betroffenen Schüler in der Lage
sein müssen, die Bildungsziele der jeweiligen Schulen zu erreichen. Vielmehr impliziert der vom Gesetzgeber verwendete Begriff der „Integration“, dass es vor allem
auf die soziale Einbindung ankommen soll. Damit ist sowohl ein zielgleicher als
auch ein zieldifferenter Unterricht möglich.
Diesem Umstand kommt auch für die Auslegung des § 30 Abs. 1 S. 1 SächsSchG
entscheidende Bedeutung zu, in dem die Förderschulpflicht geregelt wurde. Nach
dem Wortlaut dieser Bestimmung sind Schulpflichtige, die über eine längere Zeit
einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, für die Dauer ihrer Beeinträchtigung zum Besuch der für sie geeigneten Förderschule verpflichtet. Wenn der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Begriff der „sonderpädagogischen Förderung“ ausdrücklich auf § 13 Abs. 1 S. 1 SächsSchG verwiesen hat, so wird deutlich,
dass es für die Zuweisung zu einer Förderschule nicht darauf ankommt, ob ein Schüler aufgrund seiner Behinderung überhaupt der sonderpädagogischen Förderung bedarf, sondern vielmehr darauf, ob er trotz dieser Förderung nicht in die allgemeinen
Schulen integriert werden kann.237
236 Vgl. Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SächsSchG) in der Fassung der Bekanntmachung
vom 16.7.2004, SächsGVBl. S. 52, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 15.12.2006,
SächsGVBl S. 515, 518.
237 In der Kommentierung des § 13 SächsSchG durch L. Niebes/B. Becher/A. Pollmann (Schulgesetz im Freistaat Sachsen, 4. Auflage, Stuttgart et al. 2004, Rdnr. 3 zu § 13 SächsSchG) ist
davon die Rede, dass Schüler mit Behinderungen auch dann nicht „hinreichend gefördert“
werden könnten, wenn die notwendigen besonderen Hilfen nicht finanzierbar sind. Der
Grundsatz der Chancengleichheit gebiete keine Integration um jeden Preis. Diese Aussage
spiegelt sich im Wortlaut des § 13 SächsSchG allerdings nicht wider. Zumindest ist ein sehr
strenger Maßstab anzulegen und einem Schüler mit Behinderungen darf der Zugang zur Re-
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References
Zusammenfassung
Das Recht auf Bildung gilt auch für Menschen mit Behinderungen. Die vorliegende Abhandlung untersucht den Inhalt und die Reichweite des Rechts auf Bildung aus Art. 24 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und untersucht die Frage, ob und inwieweit die Schulsysteme der deutschen Länder den Vorgaben dieser Konvention genügen. Die von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Behindertenrechtskonvention beschränkt sich nicht darauf, allgemein die Menschenrechte zu bekräftigen, die auch in anderen Menschenrechtsabkommen gewährleistet sind. Vielmehr garantiert sie für Menschen mit Behinderungen auch ein Recht auf Inklusion in das öffentliche Leben im Allgemeinen wie in das Bildungssystem im Besonderen, in dem der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung der Regelfall ist.