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D. Innerstaatliche Geltung und Umsetzung der Konvention
Innerstaatliche Rechtspflichten auf der Grundlage der Behindertenrechtskonvention
entstehen, wenn ihr innerstaatliche Geltung zukommt. Nach dem dem Grundgesetz
zugrunde liegenden dualistischen Verständnis des Verhältnisses von nationalem und
Völkerrecht27 müssen völkerrechtliche Verpflichtungen in nationales Recht transformiert bzw. im nationalen Recht vollzogen werden,28 um innerstaatliche Geltung
zu erlangen. Soweit in der älteren Literatur davon ausgegangen wird, dass der Bund
auch im Bereich der Gegenstände alleiniger Ländergesetzgebungszuständigkeiten
die Transformations- bzw. Vollzugskompetenz besitzt,29 vermittelt der Konvention
das Vertragsgesetz des Bundes auch hinsichtlich der hier untersuchten bildungsrechtlichen Vorschriften innerstaatliche Geltung. Soweit diese Kompetenz bei den
Ländern gesehen wird,30 erfolgt die Transformation bzw. der Vollzug nach den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften zumeist im Zusammenhang mit der Erteilung der Zustimmung durch die Länder nach Art. 3 des Lindauer Abkommens.31
Soweit die in innerstaatliche Geltung gesetzten bildungsrechtlichen Vorschriften
der Konvention nicht unmittelbar anwendbar sind, richtet sich deren Umsetzung
nach der allgemeinen Kompetenzordnung des Grundgesetzes. Nach dieser sind die
Länder für das schulische Bildungsrecht zuständig und damit soweit erforderlich
auch für die Umsetzung der Konventionsregelungen. Nach dem Grundsatz der Bundestreue sind die Länder zur Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen, die der
Bund mit ihrem Einverständnis eingegangen ist, verfassungsrechtlich verpflichtet.32
27 BVerfGE 1, 396/411; 42, 263/284. Zum Streitstand zwischen monistischer und dualistischer
Grundauffassung s. M. Nettesheim, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Kommentar, 49. Lfg., 2007,
Art. 32, Rdnr. 61 ff.; M. Zuleeg, in: Alternativkommentar-GG, 3. Aufl., 2004, Art. 24
Abs. 3/Art. 25, Rdnr. 10 ff. jeweils m.w.N.
28 Zum Meinungsstand um die Transformations- und Vollzugstheorien vgl. O. Rojahn, in: I. v.
Münch/Ph. Kunig, GG-Kommentar, 5. Aufl. 2001, Art. 59, Rdnr. 33 ff.; B. Kempen, in: H. v.
Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG-Kommentar, 5. Aufl. 2005, Art. 59, Rdnr. 88 ff.; H. Butzer/Haas, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG-Kommentar, 11. Aufl. 2008, Art. 59,
Rdnr. 112.
29 S. D. Haas, Abschluss und Ratifikation internationaler Verträge, in: AÖR, 1952/1953,
S. 381/384 f.; W. Heckt, Abschlusskompetenz und Transformationskompetenz, in: DÖV,
1958, S. 445/446.
30 M. Zuleeg, Alternativ-Kommentar zum GG, 3. Aufl., 2004, Art. 32, Rdnr. 21; B. Kempen, in:
H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG-Kommentar, 5. Aufl. 2005, Art. 32, Rdnr. 55; R.
Streinz, in: M. Sachs, GG-Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 32 Rdnr. 34, 37.
31 Zu den einzelnen landesrechtlichen Verfahren und Regelungen M. Schweitzer, Staatsrecht III,
8. Aufl. 2004, Rdnr. 457a.
32 S. I. Pernice, in: H. Dreier, GG-Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl., 2006, Art. 32, Rdnr. 42.
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II. Regelungsgehalte der Behindertenrechtskonvention
Im Falle der Ratifikation wird der Regelungsgehalt der Behindertenrechtskonvention
bestimmt durch den Anwendungsbereich, den Inhalt der Verpflichtungen, den
Schranken sowie der Durchführung und Überwachung der Verpflichtungen.
A. Anwendungsbereich der Konvention
Der Anwendungsbereich der Behindertenrechtskonvention wird durch den Begriff
der Behinderung sowie den Begriff des Bildungssystems bestimmt.
1. Begriff des Bildungssystems
Die Verpflichtungen der Vertragsstaaten beziehen sich auf das „Bildungssystem“
insgesamt (Abs. 1 S. 2, Abs. 5). Dieser Begriff ist umfassend zu verstehen und umfasst nicht nur Schulen, sondern alle Einrichtungen, die zumindest auch einen Bildungsauftrag haben – vom Kindergarten bis zur postuniversitären Weiterbildung. Im
Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen allerdings die allgemeinbildenden
Schulen. Sie sind auch für das Abkommen zentral. Die Behindertenrechtskonvention
differenziert insoweit zwischen dem „Grundschulunterricht“ und der „Sekundarschulausbildung“ (Abs. 2 lit. a und b). Dem Wortlaut nach unterscheidet Art. 24
BRK nicht zwischen öffentlichen und privaten Schulen, sondern bezieht sich auf das
gesamte Bildungssystem unter Einschluss der privaten Schulen. Neben dem Wortlaut spricht für einen so umfassenden Begriff des Bildungssystems auch der Zweck
des Abkommens, der sonst in Staaten leerlaufen würde, in denen private Schulen
bedeutende Teile des schulischen Bildungsangebots zur Verfügung stellen. Bei der
Beurteilung, ob die Staaten ihre Verpflichtungen aus dem Abkommen erfüllen, muss
das gesamte schulische Bildungssystem einschließlich der privaten Schulen in die
Betrachtung einbezogen werden.
2. Begriff der Behinderung
Das Abkommen belässt es bei einer Teildefinition des Behindertenbegriffs. Art. 1
Abs. 2 Hs. 1 BRK fasst unter Menschen mit Behinderungen
„Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und
gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“
Zudem erläutert die Präambel in lit. e,
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References
Zusammenfassung
Das Recht auf Bildung gilt auch für Menschen mit Behinderungen. Die vorliegende Abhandlung untersucht den Inhalt und die Reichweite des Rechts auf Bildung aus Art. 24 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und untersucht die Frage, ob und inwieweit die Schulsysteme der deutschen Länder den Vorgaben dieser Konvention genügen. Die von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Behindertenrechtskonvention beschränkt sich nicht darauf, allgemein die Menschenrechte zu bekräftigen, die auch in anderen Menschenrechtsabkommen gewährleistet sind. Vielmehr garantiert sie für Menschen mit Behinderungen auch ein Recht auf Inklusion in das öffentliche Leben im Allgemeinen wie in das Bildungssystem im Besonderen, in dem der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung der Regelfall ist.