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Auf der Grundlage des Lindauer Abkommens konnte der Bund die Behindertenrechtskonvention somit unter Einschluss des Rechts auf Bildung aus Art. 24 BRK
unterzeichnen.
2. Organkompetenz
Der Bundespräsident hat nach Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich die ausschließliche Zuständigkeit, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im völkerrechtlichen Verkehr rechtserheblich zu handeln und damit auch das vorliegende Abkommen zu unterzeichnen. Die Bundesregierung stimmte der Unterzeichnung des Übereinkommens einschließlich des Fakultativprotokolls mit Beschluss der Bundesregierung vom 14. März 2007 zu.9 Das Übereinkommen nebst Fakultativprotokoll wurde
am 30. März 2007 am Sitz der Vereinten Nationen in New York durch den ständigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen10, der
durch Präsidialvollmacht des Bundespräsidenten bevollmächtigt war11, unterzeichnet.
B. Ratifikation
Die Verpflichtungen aus der Behindertenrechtskonvention erlangen für die Bundesrepublik Deutschland erst dann Verbindlichkeit, wenn die Behindertenrechtskonvention ratifiziert wird. Dies ergibt sich aus Art. 43 und 45 BRK.12
Zwar hatte die Bundesregierung vor der Unterzeichnung ihren Willen bekundet,
das Verfahren der Ratifizierung zügig einzuleiten.13 Bis dato hat die Bundesrepublik
9 Antwort der Bundesregierung vom 21.3.2007 auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter
und der Fraktion „Die Linke“ zur Ratifizierung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen, BT-Drs. 16/4744.
10 Antwort der Bundesregierung vom 13.4.2007 auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP zur Stellung der Bundesregierung zu dem Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen Vernor Munoz, BT-Drs. 16/5018.
11 Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 5.6.2008. Die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei den
Vereinten Nationen zur Unterzeichnung der Behindertenrechtskonvention ergibt sich aus
Art. 7 Abs. 1 lit. a WVK: Eine Person gilt hinsichtlich der Abgabe der Zustimmung eines
Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, als Vertreter eines Staates, wenn sie eine gehörige Vollmacht vorlegt.
12 „Ratifikation“ bedeutet nach Art. 2 Abs. 1 lit. b WVK die so bezeichnete völkerrechtliche
Handlung, durch die ein Staat im internationalen Bereich seine Zustimmung bekundet, durch
einen Vertrag gebunden zu sein. Die Ratifikation führt somit die endgültige Bindung herbei
im Gegensatz zur vorläufigen durch die Unterzeichnung, vgl. G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/3, 2. Aufl., 2002, S. 553.
13 Antwort der Bundesregierung vom 21.3.2007 auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter
und der Fraktion ‚Die Linke’ zur Ratifizierung der BRK, BT-Drs. 16/4744.
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Deutschland die Behindertenrechtskonvention jedoch noch nicht ratifiziert. Bisher
ist sie für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich noch nicht verbindlich.
Im Folgenden werden prospektiv die Voraussetzungen untersucht, unter denen die
Behindertenrechtskonvention völkerrechtliche Geltung erlangen kann.
1. Erforderlichkeit eines Vertragsgesetzes
Als völkerrechtlicher Vertrag wäre für die Behindertenrechtskonvention die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat in der Form eines Vertragsgesetzes notwendig,
wenn sich das Abkommen gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. GG auf Gegenstände
der Bundesgesetzgebung bezieht.
Ob sich ein Vertrag auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, ergibt sich
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht aus der
Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, sondern
daraus, ob im konkreten Fall ein Vollzugsakt unter Mitwirkung der gesetzgebenden
Körperschaften des Bundes oder der Länder erforderlich ist.14 Dies richtet sich nach
den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen.15
Zu den Verträgen nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zählen danach besonders solche,
deren Inhalt innerstaatlich den erstmaligen Erlass oder die Änderung eines Gesetzes
erfordern. Art. 24 Abs. 1 S. 2 BRK verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten. Für die Umsetzung dieser Ziele werden Änderungen in den Schulgesetzen der Länder erforderlich sein.16
Die Behindertenrechtskonvention erfordert somit die Beteiligung von Bundestag
und Bundesrat in der Form eines Vertragsgesetzes im Sinne von Art. 59 Abs. 2 GG.
a. Initiativrecht der Bundesregierung
Das Verfahren zum Erlass des Vertragsgesetzes richtet sich nach Art. 59 Abs. 2 S. 1
GG i.V.m. Art. 76 ff. GG. Es besteht in diesem Zusammenhang Einigkeit darüber,
dass jedenfalls die Bundesregierung ein Initiativrecht hat.17
14 Vgl. BVerfGE 1, 372/388; 68, 1/84 f.; 90, 286/351; 104, 151/94. R. Streinz, in: M. Sachs,
GG-Kommentar, 4. Aufl., 2007, Art. 59, Rdnr. 31; B. Kempen, in: H. v. Mangoldt/F.
Klein/Ch. Starck, GG-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 59, Rdnr. 66; H. D. Jarass, in:
H. D. Jarass/B. Pieroth, GG-Kommentar, 9. Aufl. 2007, Rdnr. 13a.
15 O. Rojahn, in: I. v. Münch/Ph. Kunig, GG-Kommentar, 5. Aufl. 2001, Art. 59, Rdnr. 25.
16 Die Erforderlichkeit von Gesetzesänderungen wird auch in der Konvention antizipiert, nach
deren Art. 4 Abs. 1 S. 2 lit. a i.V.m. Art. 24 BRK alle geeigneten Gesetzgebungsmaßnahmen
zur Umsetzung des Rechts auf Bildung zu treffen sind.
17 S. R. Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: Veröffentlichungen der Vereinigung
der Deutschen Staatsrechtslehrer 56, 1997, 38/48 f. Nach a.A. kommt auch dem Bundestag
ein Initiativrecht zu, R. Streinz, in: M. Sachs, GG-Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 59,
17
b. Mitwirkung des Bundesrates
Die Behindertenrechtskonvention bedarf gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen
Körperschaften durch ein Bundesgesetz. Die Unterscheidung nimmt Bezug auf die
Beteiligung des Bundesrates in der Form des Zustimmungs- oder Einspruchsverfahrens gemäß Art. 77 Abs. 2 bis 4 GG.18 Jedenfalls nach überwiegender und zutreffender Ansicht richtet sich die Zustimmungsbedürftigkeit auch für Vertragsgesetze allein nach den ausdrücklichen Zustimmungsregelungen des Grundgesetzes.19
Nach der Neuregelung der Zustimmungsbedürftigkeit von Verfahrens- und Organisationsregelungen in Art. 84 Abs. 1 S. 2 bis 4 GG durch die Föderalismusreform
sind entsprechende bundesgesetzliche Vorgaben nur im Falle eines Abweichungsverbots i.S.v. Art. 84 Abs. 1 S. 5 und 6 GG zustimmungspflichtig. Ein solcher Fall
läge bei einem Vertragsgesetz zur Behindertenrechtskonvention nicht vor.
Hinsichtlich der schulrechtlichen Vorgaben könnte sich die Zustimmungsbedürftigkeit jedoch aus Art. 104a Abs. 4 GG ergeben. Die in der Behindertenrechtskonvention vorgesehenen Leistungsverpflichtungen zur Gewährleistung eines integrativen Schulangebots treffen letztlich die Länder. Jedoch bezieht sich die Zustimmungspflicht aus Art. 104a GG nur auf Leistungspflichten, die durch die Länder im
Wege der Auftragsverwaltung oder der Verwaltung als eigene Angelegenheit unter
Aufsicht des Bundes ausgeführt werden. Dies kommt jedoch bei Materien nicht in
Betracht, für die die Gesetzgebungskompetenzen allein bei den Ländern liegen, wie
dies für die hier untersuchten schulrechtlichen Gehalte des Abkommens nach Art. 30
und 70 ff. GG der Fall ist. Für diejenigen, die den Ländern im Bereich ihrer alleinigen Gesetzgebungskompetenzen auch die Transformation bzw. den Vollzug völkerrechtlicher Verträge zuordnen,20 folgt dies schon daraus, dass der Vertrag erst durch
einen Rechtsakt der Länder innerstaatliche Geltung erlangt. Aber auch für die früher
häufiger vertretene Ansicht, die dem Bund auch in diesen Fällen eine Transformations- bzw. Vollzugkompetenz einräumt,21 ergibt sich nichts anderes. Die ausschließlich Landesgesetzgebungsmaterien betreffenden Verpflichtungen aus völkerrechtli-
Rdnr. 55. BVerfGE 68, 1/66 hat offen gelassen, ob neben der Bundesregierung auch andere
Verfassungsorgane ein Initiativrecht bei Vertragsgesetzen haben.
18 O. Rojahn, in: I. v. Münch/Ph. Kunig, GG-Kommentar, 5. Aufl., 2001, Art. 59, Rdnr. 27.
19 Vgl. R. Schweitzer, Staatsrecht III, 8. Aufl., 2004, § 3, Rdnr. 171, 180; O. Rojahn, in: I. v.
Münch/Ph. Kunig, GG-Kommentar, 5. Aufl., 2001, Rdnr. 27; B. Kempen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 59, Rdnr. 74. Nach a.A.
ist eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich, soweit es sich um Gegenstände der Landesgesetzgebung handelt, s. T. Maunz, in: T. Maunz/G. Dürig, GG-Kommentar, Art. 59,
Rdnr. 19.
20 M. Zuleeg, Alternativ-Kommentar zum GG, 3. Aufl., 2004, Art. 32, Rdnr. 21; B. Kempen, in:
H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG-Kommentar, 5. Aufl. 2005, Art. 32, Rdnr. 55; R.
Streinz, in: M. Sachs, GG-Kommentar, 4. Aufl. 2007, Art. 32 Rdnr. 34, 37.
21 D. Haas, Abschluss und Ratifikation internationaler Verträge, in: AÖR, 1952/1953,
S. 381/384 f.; W. Heckt, Abschlusskompetenz und Transformationskompetenz, in: DÖV,
1958, S. 445/446.
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chen Verträgen werden weder – wie es Art. 104a Abs. 4 GG voraussetzt – im Auftrag des Bundes noch unter Aufsicht des Bundes als eigene Angelegenheit der Länder ausgeführt, sondern soweit erforderlich durch den Landesgesetzgeber und durch
eine reine Landesverwaltung umgesetzt.22 Auch für eine analoge Anwendung von
Art. 104a Abs. 4 GG auf bildungsrechtliche Leistungspflichten besteht ihm Rahmen
der dem Lindauer Abkommen folgenden Staatspraxis kein Bedarf. Die Interessen
der Länder werden hinreichend durch das insoweit im Lindauer Abkommen geforderte Einverständnis eines jeden Landes zur Ratifikation des Vertrags geschützt.23
Aus den die Schulbildung betreffenden Regelungen der Behindertenrechtskonvention ergibt sich keine Zustimmungspflicht nach Art. 104a Abs. 4 GG. Dies schließt
nicht aus, dass andere – hier nicht untersuchte – Regelungsgehalte der Konvention
das Vertragsgesetz zustimmungspflichtig machen.24
2. Ratifikation durch den Bundespräsidenten
Das Vertragsgesetz ermächtigt den Bundespräsidenten zur Ratifikation.25 Die Abgabe der völkerrechtlichen Bindungserklärung erfolgt durch die Unterzeichnung der
Ratifikationsurkunde.26 Die Ratifikation erfordert gemäß Art. 58 S. 1 GG die Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister. Das Vertragsgesetz wird im Bundesgesetzblatt II verkündet.
C. Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention
Im Falle der Ratifikation tritt die Behindertenrechtskonvention nach Art. 45 Nr. 1
BRK am dreißigsten Tag nach Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikations- oder
Beitrittsurkunde völkerrechtlich in Kraft. Am 3. April 2008 erfolgte die 20. Ratifikation. Seit dem 3. Mai 2008 ist die Behindertenrechtskonvention völkerrechtlich in
Kraft getreten. Nach Art. 8 FakPr kann jeder Vertragsstaat auch noch zum Zeitpunkt
der Ratifikation des Fakultativprotokolls erklären, dass er die im Untersuchungsverfahren vorgesehene Zuständigkeit des Ausschusses nicht anerkennt.
22 Vgl. M. Schweitzer, Staatsrecht III, 8. Aufl. 2004, Rdnr. 181: keine Zustimmungspflichtigkeit
bei Verträgen über Gegenstände der Landesgesetzgebung.
23 S. oben I. 1. a.
24 Die Zustimmungspflichtigkeit bejahen ohne nähere Begründung: K. Lachwitz, UNO-
Generalversammlung verabschiedet Konvention zum Schutz der Rechte behinderter Menschen – Teil 1, in: Rechtsdienst der Lebenshilfe, 2007, S. 37/38; A. Welke, Das Internationale
Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 2007, S. 60/64.
25 BVerfGE 1, 396/410.
26 R. Bernhardt, Handbuch des Staatsrechts VII, § 174, Rdnr. 7.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Recht auf Bildung gilt auch für Menschen mit Behinderungen. Die vorliegende Abhandlung untersucht den Inhalt und die Reichweite des Rechts auf Bildung aus Art. 24 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und untersucht die Frage, ob und inwieweit die Schulsysteme der deutschen Länder den Vorgaben dieser Konvention genügen. Die von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Behindertenrechtskonvention beschränkt sich nicht darauf, allgemein die Menschenrechte zu bekräftigen, die auch in anderen Menschenrechtsabkommen gewährleistet sind. Vielmehr garantiert sie für Menschen mit Behinderungen auch ein Recht auf Inklusion in das öffentliche Leben im Allgemeinen wie in das Bildungssystem im Besonderen, in dem der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung der Regelfall ist.