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1. Teil: Völkerrechtliche Verpflichtungen aus der Behindertenrechtskonvention
Im Rahmen des ersten Teils werden die rechtlichen Voraussetzungen der Ratifikation und Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sowie die schulrechtlichen Inhalte des Abkommens untersucht.
I. Ratifikation und Umsetzung der Behindertenrechtskonvention
Die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) erlangen völkerrechtlich Verbindlichkeit, wenn und soweit die Bundesrepublik Deutschland die Zustimmung erklärt,
durch das Übereinkommen gebunden zu sein. Auslöser für die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Übereinkommens ist nach dem Wiener Übereinkommen über die
Rechte der Verträge (WVK) entweder die bloße Unterzeichnung (Art. 11, 12) oder
die Ratifikation (Art. 11, 14) als zusätzliches Erfordernis.5 Die Behindertenrechtskonvention enthält neben dem Erfordernis der Unterzeichnung (Art. 42 BRK) dar-
über hinausgehend einen Ratifikationsvorbehalt (Art. 43 BRK).
A. Unterzeichnung
Das Übereinkommen liegt für alle Staaten am Sitz der Vereinten Nationen in New
York zur Unterzeichnung auf (Art. 42 BRK).6 Bedenken gegen die Unterzeichnung
durch Vertreter der Bundesregierung könnten sich ergeben, wenn es insoweit an der
Verbands- oder Organkompetenz fehlen würde.
5 Vgl. G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/3, 2. Aufl., 2002, S. 553.
6 Die Unterzeichnung enthält die Absichtserklärung, Schritte zu unternehmen, um sich zu einem späteren Zeitpunkt zu binden. Vgl. UN-Handbook for Parliamentarians, S. 40.
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1. Verbandskompetenz
Die Pflege der Beziehungen zu den auswärtigen Staaten fällt gemäß Art. 32 Abs. 1
GG grundsätzlich in die Kompetenz des Bundes. Dazu zählt auch der Abschluss
völkerrechtlicher Verträge. Art. 32 Abs. 3 GG sieht indes vor, dass die Länder mit
Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen
können, soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind. Es ist seit langem
verfassungsrechtlich umstritten, ob daraus eine exklusive Verbandskompetenz der
Länder folgt, die dann auch die Behindertenrechtskonvention im Hinblick auf das
Recht auf Bildung (Art. 24 BRK) erfassen könnte.7 Eine abschließende verfassungsrechtliche Klärung der Kompetenzfrage ist bisher nicht erfolgt. Der ständigen
Staatspraxis liegt das 1957 zwischen Bund und Ländern vereinbarte Lindauer Abkommen zugrunde.8 Für das Recht auf Bildung aus Art. 24 BRK ist die Ziffer 3 des
Lindauer Abkommens einschlägig. Diese lautet:
„Beim Abschluss von Staatsverträgen, die nach Auffassung der Länder deren ausschließliche
Kompetenz berühren …, wird wie folgt verfahren: Soweit völkerrechtliche Verträge auf Gebieten der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder eine Verpflichtung des Bundes oder der
Länder begründen sollen, soll das Einverständnis der Länder herbeigeführt werden. Dieses
Einverständnis soll vorliegen, bevor die Verpflichtung völkerrechtlich verbindlich wird. Falls
die Bundesregierung einen solchen Vertrag dem Bundesrat gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zuleitet,
wird sie die Länder spätestens zum gleichen Zeitpunkt um die Erteilung des Einverständnisses
bitten.“
Demzufolge behält der Bund die Abschlusskompetenz auch im Bildungsbereich,
wenn ein Einverständnis der Länder herbeigeführt wird. Der späteste Zeitpunkt für
die Erklärung des Einverständnisses liegt im Falle eines Vertrags nach Art. 59
Abs. 2 S. 1 GG vor der Zuleitung an den Bundesrat, im Übrigen vor der Abgabe der
Ratifikationserklärung. Bereits vor der Unterzeichnung der Verträge werden die
Länder über die Ständige Vertragskommission der Länder und die Ständige Konferenz der Kultusminister an den Beratungen beteiligt (vgl. Nr. 4 Lindauer Abkommen).
7 Die wohl überwiegende Ansicht geht von einer Abschlusskompetenz des Bundes auch im
Bereich ausschließlicher Ländermaterien aus: R. Bernhardt, Handbuch des Staatsrechts VII,
1992, § 174, Rdnr. 17; U. Fastenrath/T. Groh, in: K. Friauf/H. W. Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 11. Erg.-Lfg. 2004, Art. 32, Rdnr. 65; M. Zuleeg, in: E. Denninger/W.
Hoffmann-Riem, Alternativ-Kommentar zum GG, 3. Aufl., 2004, Art. 32, Rdnr. 20; B. Kempen, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Rdnr. 55;
H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 9. Aufl., 2007, Art. 32, Rdnr. 6, R. Bernhardt, Handbuch des Staatsrechts VII, 1992, § 174, Rdnr. 17. Für eine Abschlusskompetenz
der Länder hingegen: O. Rojahn, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. 2,
5. Aufl. 2001, Art. 32, Rdnr. 42; T. Maunz/G. Dürig, GG-Kommentar, 5. Erg.-Lfg. 1961,
Art. 32, Rdnr. 29 ff. Eine vermittelnde Ansicht etwa bei I. Pernice, in: H. Dreier, GG-
Kommentar, Bd. 2, 2. Aufl., 2006, Art. 43: Abschlusskompetenz des Bundes nach Vertragsgesetzen der Länder in analoger Anwendung von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG.
8 BT-Drs. 7/5924, S. 236; abgedruckt in ZaöRV 20 (1959/1960), S. 116 f. und in R. Bernhardt,
in: Handbuch des Staatsrechts VII, 1992, § 174, Rdnr. 17.
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Auf der Grundlage des Lindauer Abkommens konnte der Bund die Behindertenrechtskonvention somit unter Einschluss des Rechts auf Bildung aus Art. 24 BRK
unterzeichnen.
2. Organkompetenz
Der Bundespräsident hat nach Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich die ausschließliche Zuständigkeit, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland im völkerrechtlichen Verkehr rechtserheblich zu handeln und damit auch das vorliegende Abkommen zu unterzeichnen. Die Bundesregierung stimmte der Unterzeichnung des Übereinkommens einschließlich des Fakultativprotokolls mit Beschluss der Bundesregierung vom 14. März 2007 zu.9 Das Übereinkommen nebst Fakultativprotokoll wurde
am 30. März 2007 am Sitz der Vereinten Nationen in New York durch den ständigen Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen10, der
durch Präsidialvollmacht des Bundespräsidenten bevollmächtigt war11, unterzeichnet.
B. Ratifikation
Die Verpflichtungen aus der Behindertenrechtskonvention erlangen für die Bundesrepublik Deutschland erst dann Verbindlichkeit, wenn die Behindertenrechtskonvention ratifiziert wird. Dies ergibt sich aus Art. 43 und 45 BRK.12
Zwar hatte die Bundesregierung vor der Unterzeichnung ihren Willen bekundet,
das Verfahren der Ratifizierung zügig einzuleiten.13 Bis dato hat die Bundesrepublik
9 Antwort der Bundesregierung vom 21.3.2007 auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter
und der Fraktion „Die Linke“ zur Ratifizierung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen, BT-Drs. 16/4744.
10 Antwort der Bundesregierung vom 13.4.2007 auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP zur Stellung der Bundesregierung zu dem Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen Vernor Munoz, BT-Drs. 16/5018.
11 Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 5.6.2008. Die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei den
Vereinten Nationen zur Unterzeichnung der Behindertenrechtskonvention ergibt sich aus
Art. 7 Abs. 1 lit. a WVK: Eine Person gilt hinsichtlich der Abgabe der Zustimmung eines
Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein, als Vertreter eines Staates, wenn sie eine gehörige Vollmacht vorlegt.
12 „Ratifikation“ bedeutet nach Art. 2 Abs. 1 lit. b WVK die so bezeichnete völkerrechtliche
Handlung, durch die ein Staat im internationalen Bereich seine Zustimmung bekundet, durch
einen Vertrag gebunden zu sein. Die Ratifikation führt somit die endgültige Bindung herbei
im Gegensatz zur vorläufigen durch die Unterzeichnung, vgl. G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/3, 2. Aufl., 2002, S. 553.
13 Antwort der Bundesregierung vom 21.3.2007 auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter
und der Fraktion ‚Die Linke’ zur Ratifizierung der BRK, BT-Drs. 16/4744.
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References
Zusammenfassung
Das Recht auf Bildung gilt auch für Menschen mit Behinderungen. Die vorliegende Abhandlung untersucht den Inhalt und die Reichweite des Rechts auf Bildung aus Art. 24 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und untersucht die Frage, ob und inwieweit die Schulsysteme der deutschen Länder den Vorgaben dieser Konvention genügen. Die von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete Behindertenrechtskonvention beschränkt sich nicht darauf, allgemein die Menschenrechte zu bekräftigen, die auch in anderen Menschenrechtsabkommen gewährleistet sind. Vielmehr garantiert sie für Menschen mit Behinderungen auch ein Recht auf Inklusion in das öffentliche Leben im Allgemeinen wie in das Bildungssystem im Besonderen, in dem der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung der Regelfall ist.