Das Verhältnis des Flüchtlingsbegriffs zum Recht ist ein komplexes. Bereits die Regulierung territorialer Grenzen steht in Verbindung zum Begriff des Flüchtlings, insofern sie die Bezeichnung als normativ relevante hervorbringt. Dabei steht der Flüchtling für die Ausnahme von der willkürlichen staatlichen Entscheidung über Zugang zum Territorium. Zugleich folgt die rechtliche Festlegung von Kriterien, wer als Flüchtling gelten kann, wiederum der nationalstaatlichen Logik. Das daraus resultierende demokratische Paradox zeigt sich in zahlreichen Konstellationen, in denen die von staatlichen Entscheidungen Betroffenen keine Möglichkeit besitzen, die Prinzipien und Kriterien dieser Entscheidungen in Frage zu stellen. Der Flüchtlingsbegriff wirkt also in beide Richtungen: Einerseits zeigt er die Notwendigkeit an, einer Kategorie der Ausnahme zu genügen, um Grenzen zu passieren. Andererseits schafft er eben mit dieser Ausnahme eine der Logik des Nationalstaates zuwiderlaufende Kategorie. Diese beiden Seiten sehen wir in den Forderungen, ob und wie der Flüchtlingsbegriff verwendet werden solle, gespiegelt: Teilweise wird unter Hinweis auf die affirmative Seite des Begriffs gefordert, diesen zu vermeiden.84 Andererseits wird auf seine kosmopolitische Dimension und auf die Notwendigkeit verwiesen, diese im Lichte konkreter Herausforderungen zu aktualisieren.85 Ohne dabei einer Seite zuzustimmen, können wir diese Auseinandersetzungen über den Flüchtlingsbegriff als demokratische Iterationen verstehen. Für das Recht bedeuten diese demokratischen Iterationen vor allem, dass sie das Dilemma des Flüchtlingsschutzes sichtbar machen und so die Diskussion in wichtiger Weise verunsichern. Die Frage nach der Bedeutung des Flüchtlings für die nationalstaatliche Ordnung zeigt die historische Kontingenz rechtlicher Definitionen auf und stellt ihre Festlegung und Auslegung in ein anderes Licht der Rechtfertigungsbedürftigkeit. Neben der Frage nach den Rechten von Asylsuchenden und Flüchtlingen auf dem Territorium, die leichter Gegenstand von politischen Impulsen werden können, erlaubt es der Begriff des Flüchtlings es auch, den Zugang zum Territorium überhaupt als politische Frage zu formulieren.
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